Eine Art Held

Der Mann ist seiner Alemannia seit 50 Jahren treu. Seit einem Jahrzehnt hat er so gut wie keinen Kick am Tivoli ausgelassen – ob Meisterschaft, Pokal oder Freundschaftsspiel. Und doch hat er seine Jungs ebenso lange nicht mehr spielen sehen. Josef Radermacher ist eines der wirklich letzten Originale rund um die Krefelder Straße.
Foto: Carl Brunn

4 Min. Lesezeit

Sei­ne Hal­tung ist leicht gebückt, wenn er einem ent­ge­gen­kommt. Der Mann wirkt auf den ers­ten Blick zier­lich und zer­brech­lich. Die leicht ein­ge­fan­ge­nen Wan­gen beto­nen die prä­gnan­te Nase. Die Fal­ten sind nicht zu über­se­hen. Stol­ze 76 Lebens­jah­re gehen eben nicht spur­los an einem vorüber.

Doch dann sind da die­se Augen. Sie sind blau, über­ra­schend klar und wach. Sie bli­cken unge­heu­er freund­lich. Und das tun sie vor allem, wenn es um „sei­ne“ Alemannia geht. Die sieht er seit nun­mehr zehn Jah­ren aus einer ganz beson­de­ren Per­spek­ti­ve. So lan­ge ist Josef Rader­ma­cher schon der gute Geist der Her­ren­toi­let­te unter­halb der über­dach­ten Steh­ge­ra­den.

Der Ver­ein ist Josef Rader­ma­chers gro­ße Lie­be, war es schon immer und wird es auch blei­ben. Josef ist Ur-Öcher. Das hört man aus jeder Sil­be, und nicht nur auf­grund die­ses unver­wech­sel­ba­ren Sing­sangs und der sym­pa­thi­schen Unfä­hig­keit, ein kor­rek­tes „ch“ aus­zu­spre­chen. Aachens wohl bekann­tes­ter Toi­let­ten­mann ist sei­ner Geburts­stadt immer treu geblie­ben. Er war nie weg. War­um auch? Hier ist alles, was er braucht. Hier lebt sei­ne Fami­lie. Hier kennt er die Stra­ßen. Hier weiß er wohin und woher. Und vor allem: Hier ist die Alemannia.

Immer wie­der die Alemannia. Im Gespräch mit Josef Rader­ma­cher dreht sich nicht nur vie­les um den Ver­ein, son­dern ziem­lich alles. Längst ist der Tivo­li zum Fix­punkt sei­nes Lebens geworden.

Alemannia über­all

Dabei ist die­ses Leben auch ansons­ten wahr­lich nicht arm an Bezugs­per­so­nen. Doch über­all trifft man auf das schwarz-gel­be Virus. Er hat sei­nen Bru­der Lud­wig. Der ist zwölf Jah­re jün­ger und von Josef längst auch zur Kre­fel­der Stra­ße gelotst wor­den. Lud­wig betreut seit einem hal­ben Jahr­zehnt die Damen­toi­let­ten unter­halb der „AM-Tri­bü­ne“. Gleich neben­an hat Josef den Nach­wuchs­mann bes­tens unter Kontrolle.

Dann gibt es noch den Groß­nef­fen Yan­nick. Der Zahn­jäh­ri­ge spielt zwar bei der West­wacht, doch sei­nen Stamm­platz hat der Knirps im Juni­or­block auf dem Tivo­li. „Die gan­ze Fami­lie war schon immer Alemannia-ver­rückt“, grinst Josef. Nur sei­ne Schwes­ter, bei der er heu­te zu Hau­se ist, will sich nicht so recht für den TSV begeis­tern. Man kann eben nicht alles haben.

„In unse­rer The­ken­mann­schaft spiel­ten sogar eini­ge von den Jungs. Dirk Leh­mann und Jup­pi Zschau, zum Beispiel.“

Josef hat­te auch mal eine Kneipe

Josef Rader­ma­chers Geburts­haus steht in der Jakobstra­ße. Doch er hat schon an vie­len Ecken der Stadt gewohnt. „Eine Zeit lang sogar fast gegen­über vom Tivo­li“, wie er nicht zu beto­nen ver­gisst. Eigent­lich könn­te man den Rent­ner als so etwas wie einen bun­ten Hund bezeich­nen. Als Jugend­li­cher hat er bei der Reichs­bahn Gleis­bau­er gelernt. Spä­ter ver­dien­te er sei­ne Bröt­chen unter ande­rem als Lager­ar­bei­ter. Und dann gehör­te ihm für drei Jah­re sogar eine Knei­pe: die „DAB-The­ke“ an der Sand­kaul­stra­ße. „In unse­rer The­ken­mann­schaft spiel­ten sogar eini­ge von den Jungs. Dirk Leh­mann und Jup­pi Zschau, zum Bei­spiel.“ Da ist sie wie­der, die Alemannia.

Es ist nicht zu ver­ken­nen: Auch nach fünf Jahr­zehn­ten inten­si­ver Bezie­hung zur guten alten Dame vom Tivo­li ist Josef Rader­ma­cher immer noch bis über bei­de Ohren ver­knallt. Und wie das bei Lie­ben­den so ist, zau­bert allein der Gedan­ke dar­an ein Lächeln auf die Lip­pen und einen ganz spe­zi­el­len Glanz in die Augen. Mit ihnen hat er sie alle spie­len gese­hen: die Der­walls und Schütts, die Mar­ti­nel­lis und Klos­ter­manns, die Fer­di­nands und Breu­ers, die Kehrs und Montanes.

Die vie­len Akteu­re unse­li­ger Regio­nal­li­ga­zei­ten und die der jüngs­ten, bes­se­ren Alemannia-Geschich­te kennt er hin­ge­gen nur von den Begeg­nun­gen auf dem Sta­di­on­ge­län­de. Denn sein Job inmit­ten des Gesche­hens lässt ihm kaum Zeit. Schließ­lich ist es sein Ver­dienst, dass die Toi­let­ten unab­hän­gig vom Andrang und zu jeder Zeit pico­bel­lo aussehen.

Kur­ze Ausflüge

Damit dies auch immer der Fall ist, beginnt der Spiel­tag für Josef Rader­ma­cher schon etwa 28 Stun­den vor dem Anstoß. Dann unter­zieht er das meis­tens gar nicht so stil­le Ört­chen einer Grund­rei­ni­gung und letz­ten Inspek­ti­on. Am Tag dar­auf trifft er eine hal­be Stun­de bevor die Tore öff­nen an sei­nem Arbeits­platz ein.

„Es gibt sogar Leu­te, die sehen nur den Bier­stand und das Klo. Die krie­gen vom Spiel nichts mit.“

Josef über Kund­schaft mit span­nen­den Prioritäten

Hier ver­bringt er dann die kom­men­den gut fünf Stun­den, im Gepäck eine Ther­mos­kan­ne mit Kaf­fee, beleg­te Bro­te und im Win­ter eine Sup­pe. „Wir blei­ben so lan­ge, bis der Letz­te das Sta­di­on ver­las­sen hat. Und das kann dau­ern. Denn da sind ja auch noch die Fern­seh­leu­te.“ Die Zeit wird jedoch nie lang­wei­lig. „Hier unten ist immer was los, ganz egal, was da oben pas­siert. Es gibt sogar Leu­te, die sehen nur den Bier­stand und das Klo. Die krie­gen vom Spiel nichts mit.“

Zu den Fans hat Josef Rader­ma­cher ein gutes Ver­hält­nis. An Ärger kann er sich nicht erin­nern. Im Gegen­teil: Sie unter­hal­ten sich mit ihm, auch über Pri­va­tes. Sie ver­sor­gen ihn mit Zwi­schen­stän­den und wol­len von ihm Ergeb­nis­tipps. Und sie bie­ten ihm sogar ab und an ein Bier­chen an. „Aber ich trin­ke nichts. Jeden­falls nicht im Dienst.“

Bei­na­he nie­mals ver­wei­gert jemand sei­nen Obo­lus auf das Tel­ler­chen. „Das ist bei den Frau­en schon etwas anders. Die geben nicht so ger­ne“, wen­det sich Josef an sei­nen Bru­der Lud­wig. „Dafür bekom­me ich die Küss­chen“, lacht der zurück.

Gele­gent­lich, wenn die Stim­mung auf den Rän­gen über­schwappt, wenn er spürt, dass das Spiel hin und her wogt, hält es Josef Rader­ma­cher doch nicht mehr an sei­nem Arbeits­platz. Dann geht er die Stu­fen zur Tri­bü­ne hoch, bleibt in der Tür zum S‑Block ste­hen und wagt eini­ge Bli­cke auf den Rasen. Aus­ge­dehnt sind die­se sel­te­nen Aus­flü­ge jedoch nie. Er hat einen Job zu tun. Und den nimmt er ernst.

Ein Fei­ner

Die oft tur­bu­len­te Alemannia-Geschich­te hat Josef Rader­ma­cher mehr als ein hal­bes Leben mit­er­lebt. Befragt nach sei­nen schöns­ten Erleb­nis­sen, erin­nert er sich zunächst an die Freund­schafts­spie­le gegen renom­mier­te Geg­ner: „Die hat­ten alle die Hose voll, wenn sie an den Tivo­li kamen. Ob sie Duk­la Prag oder Borus­sia Dort­mund hie­ßen.“ Und nach kur­zem Zögern ergänzt er: „Und natür­lich die Vize­meis­ter­schaft 1969. Das war der Höhe­punkt.“ Auf die jüngs­te Geschich­te und beson­ders den Wie­der­auf­stieg ange­spro­chen, ver­klärt sich sein Blick ein wenig, sei­ne Mund­win­kel lächeln trau­rig, sei­ne Augen schim­mern und er sagt die weni­gen Wor­te sehr lei­se: „Wer­ner Fuchs, das war ein Feiner.“

Josef Rader­ma­cher ist ein Ori­gi­nal. Er wird erkannt, am Tivo­li sowie­so, aber auch in sei­nem Vier­tel rund um die Ste­phan­stra­ße und sogar in der Stadt. Vie­le Men­schen grü­ßen ihn, wer­fen ihm freund­li­che Wor­te zu. Und Josef? Der grüßt zurück. Auch, wenn er mit­un­ter gar nicht weiß, wem er da gera­de zunickt. Denn Josef Rader­ma­cher ist ’ne Lej­ve, wie der Aache­ner zu sagen pflegt.

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Über den Pratsch

Als wir die ersten Buchstaben tippten, um unsere fixe Idee eines Alemannia-Magazins in die Tat umzusetzen, spielte Henri Heeren noch in Schwarz-Gelb. Jupp Ivanovic machte drei Buden am Millerntor und trotzdem träumte niemand von Bundesliga oder Europapokal. Das ist lange her. In der Zwischenzeit waren wir mit dem TSV ganz oben. Wir sind mit ihm ziemlich unten. Aufgehört haben wir unterwegs irgendwie nie. Neue Ausgaben kamen mal in größeren, mal in kleineren Abständen. Und jetzt schreiben wir halt auch noch das Internet voll.

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