Eine Art Held

Der Mann ist seiner Alemannia seit 50 Jahren treu. Seit einem Jahrzehnt hat er so gut wie keinen Kick am Tivoli ausgelassen – ob Meisterschaft, Pokal oder Freundschaftsspiel. Und doch hat er seine Jungs ebenso lange nicht mehr spielen sehen. Josef Radermacher ist eines der wirklich letzten Originale rund um die Krefelder Straße.
Foto: Carl Brunn

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Sei­ne Hal­tung ist leicht gebückt, wenn er einem ent­ge­gen­kommt. Der Mann wirkt auf den ers­ten Blick zier­lich und zer­brech­lich. Die leicht ein­ge­fan­ge­nen Wan­gen beto­nen die prä­gnan­te Nase. Die Fal­ten sind nicht zu über­se­hen. Stol­ze 76 Lebens­jah­re gehen eben nicht spur­los an einem vorüber.

Doch dann sind da die­se Augen. Sie sind blau, über­ra­schend klar und wach. Sie bli­cken unge­heu­er freund­lich. Und das tun sie vor allem, wenn es um „sei­ne“ Alemannia geht. Die sieht er seit nun­mehr zehn Jah­ren aus einer ganz beson­de­ren Per­spek­ti­ve. So lan­ge ist Josef Rader­ma­cher schon der gute Geist der Her­ren­toi­let­te unter­halb der über­dach­ten Steh­ge­ra­den.

Der Ver­ein ist Josef Rader­ma­chers gro­ße Lie­be, war es schon immer und wird es auch blei­ben. Josef ist Ur-Öcher. Das hört man aus jeder Sil­be, und nicht nur auf­grund die­ses unver­wech­sel­ba­ren Sing­sangs und der sym­pa­thi­schen Unfä­hig­keit, ein kor­rek­tes „ch“ aus­zu­spre­chen. Aachens wohl bekann­tes­ter Toi­let­ten­mann ist sei­ner Geburts­stadt immer treu geblie­ben. Er war nie weg. War­um auch? Hier ist alles, was er braucht. Hier lebt sei­ne Fami­lie. Hier kennt er die Stra­ßen. Hier weiß er wohin und woher. Und vor allem: Hier ist die Alemannia.

Immer wie­der die Alemannia. Im Gespräch mit Josef Rader­ma­cher dreht sich nicht nur vie­les um den Ver­ein, son­dern ziem­lich alles. Längst ist der Tivo­li zum Fix­punkt sei­nes Lebens geworden.

Alemannia über­all

Dabei ist die­ses Leben auch ansons­ten wahr­lich nicht arm an Bezugs­per­so­nen. Doch über­all trifft man auf das schwarz-gel­be Virus. Er hat sei­nen Bru­der Lud­wig. Der ist zwölf Jah­re jün­ger und von Josef längst auch zur Kre­fel­der Stra­ße gelotst wor­den. Lud­wig betreut seit einem hal­ben Jahr­zehnt die Damen­toi­let­ten unter­halb der „AM-Tri­bü­ne“. Gleich neben­an hat Josef den Nach­wuchs­mann bes­tens unter Kontrolle.

Dann gibt es noch den Groß­nef­fen Yan­nick. Der Zahn­jäh­ri­ge spielt zwar bei der West­wacht, doch sei­nen Stamm­platz hat der Knirps im Juni­or­block auf dem Tivo­li. „Die gan­ze Fami­lie war schon immer Alemannia-ver­rückt“, grinst Josef. Nur sei­ne Schwes­ter, bei der er heu­te zu Hau­se ist, will sich nicht so recht für den TSV begeis­tern. Man kann eben nicht alles haben.

„In unse­rer The­ken­mann­schaft spiel­ten sogar eini­ge von den Jungs. Dirk Leh­mann und Jup­pi Zschau, zum Beispiel.“

Josef hat­te auch mal eine Kneipe

Josef Rader­ma­chers Geburts­haus steht in der Jakobstra­ße. Doch er hat schon an vie­len Ecken der Stadt gewohnt. „Eine Zeit lang sogar fast gegen­über vom Tivo­li“, wie er nicht zu beto­nen ver­gisst. Eigent­lich könn­te man den Rent­ner als so etwas wie einen bun­ten Hund bezeich­nen. Als Jugend­li­cher hat er bei der Reichs­bahn Gleis­bau­er gelernt. Spä­ter ver­dien­te er sei­ne Bröt­chen unter ande­rem als Lager­ar­bei­ter. Und dann gehör­te ihm für drei Jah­re sogar eine Knei­pe: die „DAB-The­ke“ an der Sand­kaul­stra­ße. „In unse­rer The­ken­mann­schaft spiel­ten sogar eini­ge von den Jungs. Dirk Leh­mann und Jup­pi Zschau, zum Bei­spiel.“ Da ist sie wie­der, die Alemannia.

Es ist nicht zu ver­ken­nen: Auch nach fünf Jahr­zehn­ten inten­si­ver Bezie­hung zur guten alten Dame vom Tivo­li ist Josef Rader­ma­cher immer noch bis über bei­de Ohren ver­knallt. Und wie das bei Lie­ben­den so ist, zau­bert allein der Gedan­ke dar­an ein Lächeln auf die Lip­pen und einen ganz spe­zi­el­len Glanz in die Augen. Mit ihnen hat er sie alle spie­len gese­hen: die Der­walls und Schütts, die Mar­ti­nel­lis und Klos­ter­manns, die Fer­di­nands und Breu­ers, die Kehrs und Montanes.

Die vie­len Akteu­re unse­li­ger Regio­nal­li­ga­zei­ten und die der jüngs­ten, bes­se­ren Alemannia-Geschich­te kennt er hin­ge­gen nur von den Begeg­nun­gen auf dem Sta­di­on­ge­län­de. Denn sein Job inmit­ten des Gesche­hens lässt ihm kaum Zeit. Schließ­lich ist es sein Ver­dienst, dass die Toi­let­ten unab­hän­gig vom Andrang und zu jeder Zeit pico­bel­lo aussehen.

Kur­ze Ausflüge

Damit dies auch immer der Fall ist, beginnt der Spiel­tag für Josef Rader­ma­cher schon etwa 28 Stun­den vor dem Anstoß. Dann unter­zieht er das meis­tens gar nicht so stil­le Ört­chen einer Grund­rei­ni­gung und letz­ten Inspek­ti­on. Am Tag dar­auf trifft er eine hal­be Stun­de bevor die Tore öff­nen an sei­nem Arbeits­platz ein.

„Es gibt sogar Leu­te, die sehen nur den Bier­stand und das Klo. Die krie­gen vom Spiel nichts mit.“

Josef über Kund­schaft mit span­nen­den Prioritäten

Hier ver­bringt er dann die kom­men­den gut fünf Stun­den, im Gepäck eine Ther­mos­kan­ne mit Kaf­fee, beleg­te Bro­te und im Win­ter eine Sup­pe. „Wir blei­ben so lan­ge, bis der Letz­te das Sta­di­on ver­las­sen hat. Und das kann dau­ern. Denn da sind ja auch noch die Fern­seh­leu­te.“ Die Zeit wird jedoch nie lang­wei­lig. „Hier unten ist immer was los, ganz egal, was da oben pas­siert. Es gibt sogar Leu­te, die sehen nur den Bier­stand und das Klo. Die krie­gen vom Spiel nichts mit.“

Zu den Fans hat Josef Rader­ma­cher ein gutes Ver­hält­nis. An Ärger kann er sich nicht erin­nern. Im Gegen­teil: Sie unter­hal­ten sich mit ihm, auch über Pri­va­tes. Sie ver­sor­gen ihn mit Zwi­schen­stän­den und wol­len von ihm Ergeb­nis­tipps. Und sie bie­ten ihm sogar ab und an ein Bier­chen an. „Aber ich trin­ke nichts. Jeden­falls nicht im Dienst.“

Bei­na­he nie­mals ver­wei­gert jemand sei­nen Obo­lus auf das Tel­ler­chen. „Das ist bei den Frau­en schon etwas anders. Die geben nicht so ger­ne“, wen­det sich Josef an sei­nen Bru­der Lud­wig. „Dafür bekom­me ich die Küss­chen“, lacht der zurück.

Gele­gent­lich, wenn die Stim­mung auf den Rän­gen über­schwappt, wenn er spürt, dass das Spiel hin und her wogt, hält es Josef Rader­ma­cher doch nicht mehr an sei­nem Arbeits­platz. Dann geht er die Stu­fen zur Tri­bü­ne hoch, bleibt in der Tür zum S‑Block ste­hen und wagt eini­ge Bli­cke auf den Rasen. Aus­ge­dehnt sind die­se sel­te­nen Aus­flü­ge jedoch nie. Er hat einen Job zu tun. Und den nimmt er ernst.

Ein Fei­ner

Die oft tur­bu­len­te Alemannia-Geschich­te hat Josef Rader­ma­cher mehr als ein hal­bes Leben mit­er­lebt. Befragt nach sei­nen schöns­ten Erleb­nis­sen, erin­nert er sich zunächst an die Freund­schafts­spie­le gegen renom­mier­te Geg­ner: „Die hat­ten alle die Hose voll, wenn sie an den Tivo­li kamen. Ob sie Duk­la Prag oder Borus­sia Dort­mund hie­ßen.“ Und nach kur­zem Zögern ergänzt er: „Und natür­lich die Vize­meis­ter­schaft 1969. Das war der Höhe­punkt.“ Auf die jüngs­te Geschich­te und beson­ders den Wie­der­auf­stieg ange­spro­chen, ver­klärt sich sein Blick ein wenig, sei­ne Mund­win­kel lächeln trau­rig, sei­ne Augen schim­mern und er sagt die weni­gen Wor­te sehr lei­se: „Wer­ner Fuchs, das war ein Feiner.“

Josef Rader­ma­cher ist ein Ori­gi­nal. Er wird erkannt, am Tivo­li sowie­so, aber auch in sei­nem Vier­tel rund um die Ste­phan­stra­ße und sogar in der Stadt. Vie­le Men­schen grü­ßen ihn, wer­fen ihm freund­li­che Wor­te zu. Und Josef? Der grüßt zurück. Auch, wenn er mit­un­ter gar nicht weiß, wem er da gera­de zunickt. Denn Josef Rader­ma­cher ist ’ne Lej­ve, wie der Aache­ner zu sagen pflegt.

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