Unmittelbar nach dem Verlassen der Autobahn ist klar: Hier geht es um Dorffußball. Felder rechts und links, durchschnitten nur von staubigen Wirtschaftswegen. Flache Häuser, jedes fünfte ein Hof mit Scheunen und Ställen. Viele akkurate Vorgärten, noch mehr fremde Blicke abwehrende Hecken. Dieser Ort ist selbst für Fünfjährige überschaubar.
Was ausgerechnet hier jemand, der noch vor nicht allzu vielen Wochen auf der mehr oder minder großen Zweitligabühne zu Hause war und dessen Anhang von hingebungsvollen Zehntausend nun auf vielleicht zwei Hand voll Senioren geschrumpft ist? Oder sind das alles vielleicht nur Vorurteile? Wir wollen es wissen und wagen uns in die Ruhe Freialdenhovens.
Stephan Lämmermann erwartet uns am örtlichen Sportplatz oder – wie es stolz heißt – am „Stadion an der Ederener Straße“. Er kommt in Zivil, das Poloshirt lässig über den Jeans. Lämmermann wirkt nahbar und locker wie immer. Alemannias ewige Nummer 16 bittet uns auf die Wiese. Hier wird sich hingehockt. Stilecht eben.
Und der erste Eindruck täuscht nicht. Da ist nicht die Spur von Arroganz seinem neuen Umfeld gegenüber spürbar. Im Gegenteil: Der Ex-Profi scheint sich der Gefahr seines Oberliga-Engagements durchaus bewusst zu sein. Er zeigt Respekt, als er gleich zu Beginn die Fronten klärt: „Das Wichtigste für mich ist, den Leuten hier schnell klarmachen zu können, dass ich nicht zum Abzocken hergekommen bin. Ich will hier Fußball spielen. Und ich will Spaß und Erfolg dabei haben.“
Saisonziel: Drinbleiben und guter Fußball
Wie wird das vom Umfeld gesehen? Peter Pinell ist Wirt der Dorfkneipe und wird uns später blumig erklären, dass man mit Alemannen immer gut gefahren sei. Schließlich haben schon illustre Tivoli-Helden wie Jo Montanes, Jupp Zschau, Volker Hammers oder Peter Stops für die Landborussia gegen den Ball getreten. Mike Zimmermann und Edin Hadzic gehören noch zum aktuellen Kader. Sowohl last, als auch least zwinkert einem Ex-Trainer Winnie Hannes von der Ahnengalerie zu. Und „Lämmi“ sei in dem Kontext jetzt die Krönung. Wunderbar, einmalig. Der Herbergsvater ist überzeugt.
„Larifari funktioniert hier nicht. Auch hier ist Leistung gefragt.“
Lämmi nimmt die vierte Liga ernst
Doch es gibt auch skeptischere Töne. Da ist dann von Ex-Stars die Rede, die auf ihre alten Tage einige Klassen tiefer eine ruhige Kugel schieben. Die ständig verletzt sind oder unmotiviert über den Platz stolpern, während sie noch einmal den Geldbautel füllen. Stephan Lämmermann kann die Bedenken verstehen. Doch er hält unvermittelt dagegen: „Larifari funktioniert hier nicht. Auch hier ist Leistung gefragt. Schließlich hat der Verein Ehrgeiz. Und das ist in der ganzen Mannschaft zu spüren. Da ziehen alle an einem Strang. Verstecken kann auch ich mich nicht.“
Die Borussia ist in der vergangenen Saison nur knapp am Abstieg in die fünfte Klasse vorbeigeschrammt. Eine ähnliche Zitterpartie soll in dieser Spielzeit unbedingt vermieden werden. Ein Zuckerschlecken wird das sicher nicht. Doch hat man mit Stephan Lämmermann nicht einen Garanten für das Gelingen geholt? Der ist trotz aller Ernsthaftigkeit weit davon entfernt, sich unter Druck setzen zu lassen: „Zuerst mal ist Drinbleiben das erklärte Ziel. Und dabei wollen die Leute einfach guten Fußball sehen. Und dann wollen sie auf jeden Fall feiern. Die sind hier regelrecht fußballverrückt. Das sind super Voraussetzungen, um tolle Spiele abzuliefern.“
„Egal, ob es um das Spielfeld, die Tribüne oder die Kabinen geht: Jeder packt mit an. Und zwar aus Spaß und Überzeugung.“
Stephan Lämmermann ist begeistert von der Begeisterung der Dorfbewohner
Hat der gute Stephan gerade „fußballverrückt“ gesagt? Ausgerechnet im kleinsten Oberliga-Spielort Deutschlands? Mit der selbstzufriedenen Gewissheit, zu den besten Fans der Welt zu gehören, schaltet unser Gesuchtsausdruck auf Mitleid. Doch Lämmermann mäht unsere Überheblichkeit von der Wiese. „Nee, lasst mal! Guckt Euch hier einfach nur mal um. Egal, ob es um das Spielfeld, die Tribüne oder die Kabinen geht: Jeder packt mit an. Und zwar aus Spaß und Überzeugung.“
Wir folgen seiner Aufforderung. Und tatsächlich: Wie bestellt schrauben ein paar Herren noch etwas an den Werbebanden herum. Unterdessen sprengt die Jugendfeuerwehr den Rasenplatz und im Inneren des Vereinsheimes herrscht ebenfalls reges Treiben.
Back to the roots
Dass Alemannias Aufstiegsheld von 99 in keiner Thekenliga gelandet ist, wird mit einem Blick auf die übrigen Oberligisten deutlich. Da finden sich so klangvolle Adressen wie Fortuna Düsseldorf, Fortuna Köln, Schwarz-Weiß Essen, sowie die B‑Teams von Borussia Mönchengladbach und Bayer Leverkusen. Und nicht zu vergessen: Alemannias Amateure sind aus der Perspektive Freialdenhovens unterklassig.
Dementsprechend stolz ist der Verein, ja, das ganze Dorf. Das Verlangen, etwas Großes zu leisten, ist überall spürbar. So wird derzeit viel trainiert bei der Borussia. Gelaufen wird im Feld, gespielt auf dem Sportplatz des Nachbarortes Merzenhausen. Bis zum Saisonstart am 24. August gegen Germania Ratingen wird noch viel Schweiß fließen.
Die Rahmenbedingungen für die Spieler könnten besser nicht sein, wie uns Lämmermann glaubhaft versichert. Eine schmucke Anlage, ein hervorragendes Geläuf und eine konsequente Vereinsführung. Dass er jetzt seine Schuhe wieder selber putzen muss, quittiert der Vorzeigesportler mit einem Grinsen. „Ist schon witzig, nachdem man jahrelang den Hintern nachgetragen bekommen hat. Doch ich kehre damit sozusagen in die Kinderstube meiner Laufbahn zurück. Beim SC Brück wurde das auch so gehalten.“
„Das Training fängt bei uns Amateuren zu einer Zeit an, zu der ich früher schon längst zu Hause war.“
In der Oberliga fängt der späte Vogel die Würmer
Zu schaffen macht ihm allerdings die rabiate Umstellung seines Tagesrhytmus: „Das Training fängt bei uns Amateuren zu einer Zeit an, zu der ich früher schon längst zu Hause war. Momentan komme ich um 22 Uhr nach Hause und bin dann ganz schön erledigt.“
In diesem Moment kommt ein Auto über den heftig staubenden Schotterweg auf uns zu. Am Steuer sitzt Mike Zimmermann. Für uns bedeutet das Erscheinen des anderen Ex-Alemannen das Ende unseres Gesprächs. „Training! Und damit nehmen sie es hier ganz genau“, verabschiedet sich Stephan Lämmermann. Während er sich mit seinem neuen alten Mitspieler in Richtung Umkleidekabine verschwindet, gehen wir in den Ort. Der Besuch in der Dorfkneipe mit angeschlossenem Biergarten ist ein Muss. Hier befindet sich die Nachrichtenbörse des Vereins.
Blick zum Tivoli
Es erwartet uns Wirt, Sponsor, Fan, Caterer und nicht zuletzt Trainingskiebitz Peter Pinell. Und der stellt direkt einmal klar: „Lämmermann ist in meinen Augen der beste Transfer seit Montanes.“ Für den Zeremonienmeister des Clubs passt der Ex-Profi wie Pott auf Deckel in die Truppe. „Der ist im Training total engagiert und hat überhaupt keine Starallüren. Das ist nicht selbstverständlich. Schließlich war der letzte Saison noch im Fernsehen.“
Fotos: Carl Brunn
Je länger wir dem guten Peter zuhören, desto deutlicher wird es uns: „Lämmi“ hat es gut getroffen. Auch wir sind von dem Idyll angetan. So wie Stephan Lämmermann, als er uns auf der Wiese aufklärte: „Ich habe im Fußball eine Menge Erfahrungen gemacht, sowohl gute als auch schlechte. Und jetzt bin ich wieder da, wo alles etwas familiärer zugeht.“
Bei aller Zufriedenheit ist da aber noch etwas anderes spürbar. Denn bevor er sich auf den Weg in die Kabine machte, wandte Lämmermann seinen Blick ab: „Der Tivoli ist ja nicht weit entfernt. Und schließlich bin ich immer noch Mitglied der Alemannia.“