No one likes us, but we care

Kaum eine Fangruppierung sieht sich heftigeren Attacken ausgesetzt als die „Aachen Ultras“. Die Fronten auch innerhalb der Fanszene scheinen verhärtet. Grund genug für IN DER PRATSCH, sich auf die Spur zu begeben.
Foto: Carl Brunn

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Das sol­len sie also sein? Die je nach Denk­hal­tung Grals­hü­ter Aache­ner Fan­kul­tur oder die bösen Buben der Tivo­li­sze­ne? Die drei jun­gen Leu­te zwi­schen 18 und 29 Jah­ren, die sich bei Kaf­fee und Cola dem Gespräch stel­len, schei­nen in kei­nes der bei­den Kli­schees zu pas­sen. Die lei­sen Töne über­wie­gen dort, wo man voll­mun­di­ge Ankla­gen und ker­ni­ge Glau­bens­be­kennt­nis­se erwar­tet hät­te. Das Trio ist sicht­lich hin und her geris­sen zwi­schen einer uner­schüt­ter­li­chen Lie­be zur Alemannia und der mehr als kri­ti­schen Distanz zum offi­zi­el­len Ver­ein. Was hat es mit den Ultras also auf sich?

Schüch­ter­ne Bestre­bun­gen, die eige­ne Kur­ve im Sti­le der gro­ßen süd­eu­ro­päi­schen und süd­ame­ri­ka­ni­schen Fan­or­ga­ni­sa­tio­nen zu gestal­ten, gab es schon zu Beginn der 90er-Jah­re. Und fast über­all rekla­miert man, zu den deut­schen Bahn­bre­chern der Idee zu gehö­ren. Doch die Keim­zel­len befan­den sich an Orten, die einem bei die­sem The­ma nicht gleich in den Sinn kom­men: zum Bei­spiel in Lever­ku­sen bei den dama­li­gen „Soc­cer Boyz“, bei den im Umfeld des SC For­tu­na Köln agie­ren­den „For­tu­na Eagles“, im Ruhr­pott beim „Com­man­do Bochum“ und bei den Münch­ner „Chao­ten 1860“.

Unge­ach­tet des­sen bekam die Ultra­sze­ne ihren rich­ti­gen Schub erst durch Fans der Frank­fur­ter Ein­tracht. Auch dort hat­te es Mit­te der 90er-Jah­re zar­te Ansät­ze gege­ben. Im Juli 1997 nahm das Gan­ze jedoch rich­tig Fahrt auf, als sich erst­ma­lig in Deutsch­land ver­schie­de­ne Grup­pie­run­gen unter einem Dach in gro­ßem Stil zusam­men­fan­den. Inso­fern müs­sen die „Ultras Frank­furt“, heu­te UF97, als Pio­nie­re der Sze­ne gelten.

Treue und Unabhängigkeit

Unbe­ding­te Treue zum Ver­ein, kom­pro­miss­lo­se Unab­hän­gig­keit und bedin­gungs­lo­ser Zusam­men­halt in der Grup­pe, 24 Stun­den am Tag, sie­ben Tage in der Woche. Fern­ab von jeder her­kömm­li­chen Fan­club-Bekömm­lich­keit. Men­ta­li­tät statt simp­ler Anhän­ger­schaft. Lebens­ein­stel­lung statt spie­ßi­gem Wochen­end­ver­gnü­gen. Das waren und sind die selbst gesetz­ten Eck­pfei­ler der Bewe­gung. Der Zulauf war unge­heu­er. Schnell stell­ten die UF mit zeit­wei­se über 700 Mit­glie­dern den größ­ten Block im dama­li­gen Wald­sta­di­on. Ihre Stimm­ge­walt, ihre Insze­nie­run­gen und ihr geschlos­se­nes Auf­tre­ten waren für deut­sche Spiel­stät­ten etwas völ­lig Neu­es. Etwas Spek­ta­ku­lä­res. Beson­ders auch in frem­den Arenen.

So dau­er­te es natur­ge­mäß nicht lan­ge, bis man an ande­ren Orten begann, dem Frank­fur­ter Vor­bild zu fol­gen. Die UF wur­den qua­si zur Blau­pau­se für die Ende der 90er-Jah­re über­all in der Fuß­ball­re­pu­blik aus dem Boden sprie­ßen­den, sich gut orga­ni­sie­ren­den Ultra­grup­pen. Bei­na­he par­al­lel zu den Hes­sen ging unter ande­rem in Köln die „Wil­de Hor­de“ an den Start. In Stutt­gart wur­de das „Com­man­do Cannstatt“ gebo­ren. An der Weser bil­de­te sich die „East­side Bre­men“. In der Haupt­stadt waren es die „Har­le­kins Ber­lin“, im Fran­ken­land die „Ultras Nürn­berg“. Und und und. Anders zum Bei­spiel in Dort­mund, bei den Bay­ern, auf Schal­ke und in Dres­den. Dort beweg­te sich erst etwas im Lau­fe der ver­gan­ge­nen fünf Jahre.

Anfän­ge, Gene­ra­ti­ons­wech­sel und Neubeginn

In Aachen gehör­te man zu den eher frü­hen Strei­tern für die neue, wie auch immer gear­te­te Fan­kul­tur. Am Tivo­li taten sich 1999 Mit­glie­der der Fan­clubs „Grenz­land Power“, „Eure­gio Kings“ und „Schwar­ze Adler“ zum „Infer­no Bad Aachen“ (IBA) zusam­men. Des­sen Stär­ke ver­dop­pel­te sich bereits wäh­rend der ers­ten zwölf Mona­te des Bestehens auf etwa 50 Per­so­nen. Man orga­ni­sier­te sich inklu­si­ve Sat­zung, Mit­glieds­bei­trag, Schatz­meis­ter und eige­nen Mer­chan­di­sing­ar­ti­keln. Alles wie bei einem ordi­nä­ren Fan­club, auch wenn das so nicht gera­de ger­ne gehört wird.

Defi­ni­tiv unter­schied­lich war jedoch das Auf­tre­ten. Zum ers­ten Mal erleb­te man im Umfeld der Schwarz-Gel­ben pyro­tech­ni­sche Aktio­nen, erblick­te Dop­pel­hal­ter und Spruch­bän­der. Im Lau­fe der kom­men­den Jah­re ereil­te aller­dings auch die Aache­ner Hard­core-Frak­ti­on das Schick­sal vie­ler ihrer Geis­tes­brü­der zwi­schen Ham­burg und Mün­chen: Irgend­wann zer­stritt man sich über die eige­ne Aus­rich­tung, lös­te sich bei­na­he auf, erleb­te einen Gene­ra­ti­ons­wech­sel, fand sich in einem har­ten Kern als „Akti­ve Alemannia-Fans“ wie­der zusam­men, bis man 2004 unter der Bezeich­nung „Aachen Ultras“ (ACU) im Grun­de genom­men von Neu­em begann.

Heu­te zählt die Grup­pe wie­der um die 70 Mit­glie­der. Mit Bran­chen­grö­ßen wie der rund 700 Per­so­nen star­ken „Schi­cke­ria“ der Münch­ner Bay­ern, den jeweils etwa 350 Leu­te auf die Bei­ne stel­len­den Ultras in Dort­mund und auf Schal­ke oder der nach eige­nen Anga­ben gar 1.000 Anhän­ger aus­ma­chen­den Nürn­ber­ger Grup­pie­rung kann man zwar nicht mit­hal­ten. Doch die ACU fin­den sich gleich­wohl in einer Liga unter ande­rem mit den Ber­li­nern und Ham­bur­gern wie­der. Wäh­rend sich die Orga­ni­sa­tio­nen in Bre­men und Bie­le­feld sogar zumin­dest fürs Ers­te auf­ge­löst haben.

Ultras im Zwie­spalt: Für die Alemannia, aber …
Foto: Carl Brunn

Außer­dem ver­fü­gen die Kai­ser­städ­ter seit dem ver­gan­ge­nen Som­mer über eine eige­ne Nach­wuchs­or­ga­ni­sa­ti­on. „Deren Ziel ist es, fuß­ball­be­geis­ter­ten Jun­gen und Mäd­chen eine attrak­ti­ve Anlauf­stel­le zu bie­ten. Sie an die Alemannia, an das The­ma Sup­port und selbst­ver­ständ­lich auch an die Ultras her­an­zu­füh­ren“, wie es der 18-jäh­ri­ge Lukas Fran­zen, selbst Mit­glied des Nach­wuch­ses, for­mu­liert. Die Unter­grup­pie­rung trifft sich min­des­tens ein­mal im Monat, zum Bei­spiel, um Cho­reo­gra­fien zu pla­nen, ver­ab­re­det Aktio­nen und orga­ni­siert ihre eige­nen Aus­wärts­fahr­ten. Mit 35 Leu­ten stellt sie zur­zeit immer­hin die Hälf­te aller Aache­ner Ultras.

Doch wenn es nach den Frank­fur­tern gin­ge, wären vie­le der deut­schen Kol­le­gen, und wohl auch die Aache­ner, ledig­lich ein Teil jener „Mon­gos“, auf die man nur mit Ver­ach­tung her­un­ter­blickt. Mit die­sem Schimpf­wort der übels­ten Sor­te distan­zie­ren sich die Hes­sen in ihrem stel­len­wei­se erschre­ckend selbst­herr­li­chen Mani­fest aus­drück­lich von der „so genann­ten deut­schen Ultra­sze­ne“, deren größ­tes Glück dar­in bestehe, „im Inter­net völ­lig sinn­lo­se Dis­kus­sio­nen zu führen“.

Genau die­se Geis­tes­hal­tung der trot­zig zur Schau gestell­ten Arro­ganz, Voll­kom­men­heit und eige­nen Erha­ben­heit ist es, durch die sich die Ultras über­all zuneh­mend selbst ins Abseits drän­gen. Hin­zu kom­men immer wie­der keh­ren­de Berich­te über tat­säch­li­che oder angeb­li­che Gewalt­ta­ten sowie die oft­mals unter­stell­te rechts­ra­di­ka­le Unter­wan­de­rung der Sze­ne. In Köln macht inzwi­schen die rest­li­che Fan­ku­lis­se mas­siv mobil gegen die eige­ne „Wil­de Horde“.

Öl auf das Feuer

Am Tivo­li hat sich die Dis­kus­si­on um die Rol­le der Ultras wäh­rend der ver­gan­ge­nen Mona­te eben­falls hef­tig ent­zün­det. Initi­al­zün­dung war eine im Spät­som­mer rund um die Kre­fel­der Stra­ße laut ent­brann­te Ras­sis­mus­de­bat­te. In deren Ver­lauf wur­den die ACU schnell und ger­ne als Hort allen Übels iden­ti­fi­ziert. Man pro­ble­ma­ti­sier­te die feh­len­de poli­ti­sche Kor­rekt­heit. Recht und Sinn von Sta­di­on­ver­bo­ten wur­den ins Feld geführt. Und geschwind war auch noch das ver­meint­li­che Über­le­gen­heits­ge­fühl aus dem Köcher gezogen.

Sol­che Dis­pu­te sind Öl auf das Feu­er der­je­ni­gen in den obe­ren Ver­bands- und Ver­ein­se­ta­gen, denen die tra­di­tio­nel­le Sta­di­on­kul­tur eh ein hef­tig ste­chen­der Dorn im Auge ist. Die viel lie­ber brav zah­len­de, bequem sit­zen­de, freund­lich klat­schen­de, aber auf jeden Fall unkri­ti­sche Kino­be­su­cher auf den Scha­len­sit­zen sehen wol­len – Mar­ke „Fan­club Natio­nal­mann­schaft“. Die Münch­ner Bay­ern lie­fern das Para­de­bei­spiel für eine sys­te­ma­ti­sche Ver­drän­gung des sin­gen­den Volkes.

Die Iro­nie des Schick­sals will es, dass aus­ge­rech­net die­je­ni­gen stark zu die­ser Ent­wick­lung bei­tra­gen, die sich als letz­te Auf­rech­te im Kampf um das unver­fälsch­te Tri­bü­nen­er­leb­nis sehen. Auch in Aachen wür­den die Ultras sicher­lich auf offe­ne­re Ohren sto­ßen, wenn sie sich nicht von den übri­gen Fans mal mehr mal weni­ger merk­lich abgren­zen wür­den. Sogar bei der „Inter­es­sens­ge­mein­schaft der Alemannia Fans und Fan-Clubs“ (IG) ist man nicht all­zu glück­lich mit man­chen Auf­trit­ten der ACU, obwohl die­se Mit­glied im Dach­ver­band sind.

„Ein nicht unwe­sent­li­cher Teil von ihnen meint, dass sie bes­ser nichts mit dem Rest der Aache­ner Anhän­ger zu tun haben soll­ten“, beklagt sich Achim Foki. Der IG-Spre­cher zeigt sich beson­ders davon ent­täuscht, dass die Ultras die übri­gen Fan­ak­ti­vi­tä­ten igno­rie­ren und nur dann die Inter­es­sens­ge­mein­schaft beach­ten wür­den, wenn es um Sta­di­on­ver­bo­te oder die Nut­zung des Fan­hau­ses gehen würde.

„Wir füh­len uns in kei­ner Wei­se als Eli­te. Viel­mehr wün­schen wir uns eine eini­ge Fanszene.“

ACU-Mit­glied Roc­co Bartsch räumt mit einem gän­gi­gen Vor­ur­teil über Ultras auf

Ein solch eli­tä­res Geha­be ist Roc­co Bartsch im Grun­de genom­men fremd. Der 29-Jäh­ri­ge ist ACU-Grün­dungs­mit­glied und einer der eher beson­nen und dif­fe­ren­ziert urtei­len­den Köp­fe. „Wir füh­len uns in kei­ner Wei­se als Eli­te. Wir sind nicht bes­ser als alle ande­ren Fans, die unse­re Mann­schaft mit Herz­blut unter­stüt­zen. Viel­mehr wün­schen wir uns eine eini­ge Fan­sze­ne.“ Doch wie so oft folgt einer sol­chen Zusa­ge die Ein­schrän­kung auf dem Fuß. Alex­an­der Küs­ters (23), eben­falls Mann der ers­ten Stun­de, betont, dass sie es schließ­lich sei­en, die die Kur­ve am Leben erhal­ten wür­den und man sich fol­ge­rich­tig an deren Spit­ze set­zen wolle.

„Schon lan­ge vor den Ultras hat es immer wie­der Grup­pie­run­gen gege­ben, die stär­ker im Blick­punkt stan­den als ande­re. Ich hal­te das für nicht so schlimm.“

Als alter Fah­rens­mann isst Alemannia-Fan Man­fred Bres­ser die Eli­ten-Dis­kus­si­ons-Sup­pe nicht so heiß, wie sie gekocht wird

Aber viel­leicht wird die Eli­te­dis­kus­si­on auch über­be­wer­tet. So sieht es jeden­falls Man­fred Bres­ser. Der 41-Jäh­ri­ge gehört als Mit­glied des ältes­ten Alemannia-Fan­clubs, „Schwarz-Gelb ’81“, bei­na­he zu den Vete­ra­nen unter den orga­ni­sier­ten Anhän­gern und kann sich noch sehr gut an die Ver­gan­gen­heit erin­nern: „Schon lan­ge vor den Ultras hat es immer wie­der Grup­pie­run­gen gege­ben, die stär­ker im Blick­punkt stan­den als ande­re. Frü­her waren wir das auch eine Zeit lang. Ich hal­te das für nicht so schlimm.“

IG-Chef Achim Foki ist es durch­aus bewusst, dass es die Ultras sind, die die Stim­mung hoch­hal­ten. Am Tivo­li und aus­wärts erst recht. Ohne die Grup­pe wäre es stil­ler auf den Rän­gen. Aller­dings zeigt er sich ent­täuscht, dass „die Jungs ihr Geschick, die Leu­te mit­rei­ßen zu kön­nen, nicht kon­se­quent nut­zen und sich statt­des­sen zu sehr auf sich selbst konzentrieren“.

Uni­for­me Nonkonformisten?

Die Ambi­va­lenz, das Hin und Her zie­hen sich wie ein roter Faden durch jeg­li­che Dis­kus­si­on mit und über die Ultras. Es wird sich ger­ne gewun­den und, so gut es geht, jeg­li­che Ein­deu­tig­keit ver­mie­den. Die Zer­ris­sen­heit zwi­schen der coo­len Ein­zel­gän­gerat­ti­tü­de und dem Bedürf­nis nach Aner­ken­nung ist spür­bar. Man will anders sein, ohne jedoch die Zuge­hö­rig­keit zu einem gro­ßen Gan­zen völ­lig ver­mis­sen zu wol­len. Wie sonst wäre das ultra­ty­pi­sche Uni­for­mier­te zu erklä­ren, mit dem der zur Schau getra­ge­ne Non­kon­for­mis­mus trans­por­tiert wird?

Wer sich allein die vie­len Mani­fes­te und Selbst­ver­ständ­nis­se der unzäh­li­gen Grup­pie­run­gen im Lan­de durch­liest, wird schnell fest­stel­len, dass die­se weit­ge­hend wort­gleich sind. Das Auf­tre­ten in den Sta­di­en und rund um die Ver­ei­ne scheint eben­falls gleich­ge­schal­tet. Ultras im All­ge­mei­nen zitie­ren oft den so genann­ten Main­stream als ihren erklär­ten Geg­ner. Dabei rea­li­sie­ren sie nicht, bereits selbst auf dem bes­ten Weg zu einer amor­phen Mit­te zu sein. Auch die ACU machen da kaum eine Aus­nah­me, meint Achim Foki: „Wie ger­ne beto­nen sie, dass Aachen anders sei. Aber anstatt die­sem Grund­satz zu fol­gen und sich auch inner­halb ihrer Sze­ne ihr eige­nes Pro­fil zu geben, kopie­ren sie doch oft­mals auch nur ande­re Ultra-Grup­pie­run­gen bezie­hungs­wei­se pfle­gen die­sel­ben Ritua­le wie alle Grup­pie­run­gen in Deutschland.“

Die­se Grup­pen­dy­na­mik funk­tio­niert auch inner­halb der ACU selbst. Es wird immer wie­der deut­lich, dass man sich auf kei­nen Fall von den übri­gen Mit­glie­dern abgren­zen oder gar distan­zie­ren will. Für Alex­an­der Küs­ters kommt ein Aus­ein­an­der­di­vi­die­ren nicht in Fra­ge. „Jeder von uns hat sicher­lich sei­ne ganz per­sön­li­che Mei­nung zu gewis­sen Din­gen. Aber als Ultras tre­ten wir geschlos­sen auf. Gegen­sätz­lich­kei­ten und unter­schied­li­che Mei­nun­gen wer­den intern geäußert.“

In der Rol­le des Angegriffenen

Beson­ders fata­le Aus­wir­kun­gen hat­te die­se Grund­hal­tung wäh­rend der hohe Wel­len schla­gen­den Aus­ein­an­der­set­zung um ras­sis­ti­sche sowie aus­län­der­feind­li­che Ten­den­zen inner­halb des Alemannia-Anhangs. Jedem Ken­ner der Mate­rie sind sol­che Aus­rei­ßer bekannt. Doch glei­cher­ma­ßen dürf­te auch jedem Betrach­ter rasch deut­lich wer­den, dass es völ­lig aus der Luft gegrif­fen wäre, das Aache­ner Publi­kum pau­schal als rechts­las­tig zu dif­fa­mie­ren. Der bei vie­len beson­ders berüch­tig­te Teil des S‑Blocks ist alles in allem nicht pein­li­cher als so manch kra­kee­len­der Sitzplatzbesucher.

Die den­noch ins Visier der ver­öf­fent­lich­ten Mei­nung gera­te­nen Ultras hät­ten dem­nach die­se die gesam­te Alemannia-Gemein­de schä­di­gen­de Dis­kus­si­on im Keim ersti­cken kön­nen. Zumal sie sich immer wie­der der Tat­sa­che aus­ge­setzt sehen, dass „irgend­wel­che Idio­ten sich in den Dunst­kreis der ACU bege­ben und Mist bau­en. Wir haben dann zwar nichts damit zu tun. Aber es ist ja so ein­fach, bei jeder Gele­gen­heit mit dem Fin­ger auf uns zu zei­gen“, merkt Lukas Fran­zen an. Wenn sie sich nur kon­se­quent dazu durch­ge­run­gen hät­ten, ein­mal und für alle Zei­ten unmiss­ver­ständ­lich auf Distanz zu jeg­li­chem brau­nen Unfug zu gehen. Aber davor scheu­te man viel zu lan­ge zurück und igel­te sich in der Rol­le des zu Unrecht Ange­grif­fe­nen ein.

… gegen den Ver­ein.
Foto: Carl Brunn

Ähn­lich elas­tisch reagier­te man zunächst auf wider­li­che anti­se­mi­ti­sche Schmie­re­rei­en am Aache­ner West­bahn­hof. In der Nacht vor dem Meis­ter­schafts­spiel gegen die Nach­barn vom Nie­der­rhein wur­de neben der Foh­len-Rau­te der Spruch „Juden – your end is near“ auf die Wand gesprüht. Laut Aus­sa­ge des Ver­eins waren vor­der­hand fünf ACU-Mit­glie­der der Tat drin­gend ver­däch­tig. Wobei die Betei­li­gung eines jun­gen Man­nes aus dem Quin­tett zumin­dest strit­tig zu sein scheint.

Mit dem obli­ga­to­ri­schen Hin­weis auf das schwe­ben­de Ver­fah­ren ver­wei­gern die Ultras jeg­li­che Stel­lung­nah­me. Ein­mal mehr schie­ben sie die unpo­li­ti­sche Aus­rich­tung und Hete­ro­ge­ni­tät der Grup­pe mit Mit­glie­dern vie­ler Schat­tie­run­gen und Natio­na­li­tä­ten vor. „Chan­ce ver­tan“, urteilt Achim Foki.

Denk­pro­zess

Doch offen­bar hat inzwi­schen ein Denk­pro­zess ein­ge­setzt. In einer Pres­se­er­klä­rung distan­zier­ten sich die ACU jüngst end­lich von jeg­li­chen neo­na­zis­ti­schen Akti­vi­tä­ten und Grup­pie­run­gen und schlos­sen sogar ein Mit­glied ihrer Nach­wuchs­grup­pe aus. Auch beim Ver­ein will man kei­nes­falls den Ein­druck hin­ter­las­sen, die Ultras als beson­ders pro­ble­ma­ti­sche Fans zu betrach­ten. Für den für die­se Belan­ge zustän­di­gen bis­he­ri­gen Geschäfts­stel­len­lei­ter Bernd Maas tra­gen sie eini­ges zur Kul­tur des Clubs und zur ein­zig­ar­ti­gen posi­ti­ven Tivo­li-Atmo­sphä­re bei. Da habe man am Son­nen­weg ganz ande­re im Visier, zum Bei­spiel die Kame­rad­schaft Aache­ner Land.

Die­se ent­spann­te Sicht­wei­se wol­len die so Gelob­ten nicht recht tei­len. Sie sehen sich von den Ver­ant­wort­li­chen eher gegän­gelt. Vor allem die Sta­di­on­ver­bo­te brin­gen sie immer wie­der gegen den Ver­ein auf. Dabei stel­len sie die Stra­fe als sol­che nicht grund­sätz­lich in Fra­ge. „Kein Zwei­fel, es gibt auch in Aachen gerecht­fer­tig­te Sta­di­on­ver­bo­te“, macht Roc­co Bartsch klar.

„Das deut­sche Rechts­sys­tem räumt jedem Beschul­dig­ten das Recht ein, sich zu ver­tei­di­gen. Ver­ei­ne und DFL sehen dar­über schon lan­ge ein­fach hinweg.“

Ultra Alex­an­der Küs­ters über Sta­di­on­ver­bo­te ohne Chan­ce auf Rechtfertigung

Doch die in ihren Augen häu­fig will­kür­lich und wenig dif­fe­ren­zie­rend ver­häng­ten Aus­sper­run­gen sind es, die sie wütend machen. Vor die­sem Hin­ter­grund hat­ten sie immer wie­der ein Anhö­rungs­recht ver­langt. „Das deut­sche Rechts­sys­tem räumt jedem Beschul­dig­ten das Recht ein, sich zu ver­tei­di­gen. Ver­ei­ne und DFL sehen dar­über schon lan­ge ein­fach hin­weg“, klagt Alex­an­der Küs­ters nicht ohne Logik.

Anhö­rungs­recht

Die Alemannia schien ein­sich­tig und guten Wil­lens. Man traf sich im Früh­jahr 2006 zu einem Gespräch und Prä­si­dent Horst Hein­richs mach­te das Zuge­ständ­nis, Beschul­dig­ten künf­tig ein Anhö­rungs­recht ein­zu­räu­men. Aller­dings geschah nichts der­glei­chen. Als die ACU an die Zusa­ge erin­ner­ten, kam es zu einem zwei­ten Tref­fen. Im Bei­sein von Vor­stands­mit­glied Klaus Die­ter Wolf und Pres­se­spre­cher Thors­ten Pracht erneu­er­te der Ver­eins­chef sein Ver­spre­chen. Und wie­der folg­ten dem Wort kei­ne Taten.

Nicht zuletzt auch des­halb, weil es Pro­fes­sor Hein­richs unter­ließ, mit Bernd Maas zumin­dest den eigent­lich Zustän­di­gen von der Ver­ein­ba­rung in Kennt­nis zu set­zen. Erst nach­dem der Geschäfts­stel­len­lei­ter vor weni­gen Wochen davon erfuhr und Jür­gen Frant­zen, heu­ti­ger Fan­ver­tre­ter im Auf­sichts­rat, insis­tier­te, kam Bewe­gung in die Sache.

Seit­dem gewährt der TSV „als ein­zi­ger Pro­fi­ver­ein in Deutsch­land“, wie Maas wis­sen lässt, ein Anhö­rungs­recht bei Sta­di­on­ver­bo­ten. Alle Betrof­fe­nen, die nach dem 16. Sep­tem­ber mit einer ent­spre­chen­den Stra­fe belegt wor­den sind, kön­nen sich direkt beim Ver­ein oder über den Umweg der Inter­es­sens­ge­mein­schaft der Alemannia Fans und Fan-Clubs mel­den, um ihre Situa­ti­on zu besprechen.

Eine für bei­de Par­tei­en annehm­ba­re Vor­ge­hens­wei­se, die bereits beim aller­ers­ten Fall Resul­ta­te brach­te, als zwei Jugend­li­che im Son­der­zug von der Bun­des­po­li­zei beim Hasch­kon­sum erwischt wor­den waren. Das zunächst von den Behör­den gefor­der­te frag­wür­di­ge Straf­maß von fünf Jah­ren Sta­di­on­ver­bot redu­zier­ten die Alemannia-Ver­ant­wort­li­chen nach einer Anhö­rung auf ein Spiel.

Die Poli­zei auf den Fersen

Foto: Carl Brunn

Eine Kla­ge, die die ACU in die­sem Zusam­men­hang immer wie­der an die Adres­se der Ver­eins­ge­wal­ti­gen rich­ten, ist die unre­flek­tier­te Über­nah­me von Poli­zeidar­stel­lun­gen. Das Vor­ge­hen der Ord­nungs­macht wür­de zu wenig hin­ter­fragt. In ers­ter Linie sind es die so genann­ten sze­ne­kun­di­gen Beam­ten (SKB), deren Ruf bei den Fans ein mehr als zwei­fel­haf­ter ist. Die sei­en schlecht aus­ge­bil­det, auf die spe­zi­fi­sche Auf­ga­be nicht vor­be­rei­tet und sähen in den Ultras eh nur einen Feind, des­sen Füh­rungs­per­so­nen man aus dem Sta­di­on dau­er­haft ent­fer­nen müsse.

So berich­tet ein Mit­glied der Grup­pe denn auch von einer schier unglaub­li­chen Arbeits­wei­se. Der jun­ge Mann, des­sen Name hier bewusst nicht genannt wird, sei im ver­gan­ge­nen Som­mer nach einem Heim­spiel bis in den spä­ten Abend hin­ein von den SKB beschat­tet wor­den. Noch um 23.00 Uhr hät­ten die Poli­zis­ten ihm im Sau­sa­li­tos am Markt auf den Fer­sen gehangen.

Nicht min­der bedenk­lich klingt der Vor­wurf, beim Heim­spiel gegen Borus­sia Mön­chen­glad­bach hät­ten Zivil­be­am­te ver­sucht, selbst eine Schlä­ge­rei zu ver­ab­re­den, nur um die so in die Fal­le Gelock­ten ding­fest machen zu kön­nen. Aus dem Poli­zei­prä­si­di­um gab es hier­zu erwar­tungs­ge­mäß nichts zu hören. Dort äußer­te man ledig­lich die Sor­ge, dass es eine Anzahl von Fans aus dem Umfeld der Ultras gäbe, „die in den Bereich der gewalt­ori­en­tier­ten Per­so­nen abglei­ten und somit zu Pro­blem­fans werden.“

Ein wei­te­res Kapi­tel sind die immer enger wer­den­den Gren­zen für die ultra­ty­pi­schen Cho­reo­gra­fien. Zu frü­hen Zweit­li­ga­zei­ten gab es aller­höchs­tens dann Rei­bun­gen, wenn etwa die Spiel­ka­me­ra­den aus Mön­chen­glad­bach in ein­deu­tig zwei­deu­ti­ger Zwei­sam­keit mit Köl­nern abge­bil­det wur­den. Bereits im Lau­fe der Auf­stiegs­sai­son und erst recht seit dem Anpfiff zur ers­ten Liga war aller­dings Schluss mit lustig.

Man müs­se mitt­ler­wei­le den Ein­druck bekom­men, dass sol­che Aktio­nen gene­rell nicht erwünscht sei­en. Auf Nach­fra­ge nennt der hier­für zustän­di­ge Bernd Maas drei grund­sätz­li­che Kri­te­ri­en, die es ein­zu­hal­ten gel­te: kei­ne gesetz­wid­ri­gen Dar­stel­lun­gen, Ver­zicht auf belei­di­gen­de Inhal­te sowie kein Ver­stoß gegen ele­men­ta­re Inter­es­sen des Vereins.

Kri­tik durch den Rost?

Das drit­te Merk­mal schafft den engst­mög­li­chen Rah­men über­haupt. Dass gut zah­len­de Spon­so­ren nicht ver­grault wer­den dür­fen, wird jedem noch so Kom­pro­miss­lo­sen ein­leuch­ten. Aber zäh­len nicht auch die vor­aus­ei­len­de Artig­keit gegen­über der all­mäch­ti­gen DFL und das blen­den­de Ver­hält­nis zum Bezahl­fern­se­hen zu den ele­men­ta­ren Inter­es­sen eines Erst­li­ga­clubs? Muss die Alemannia sich als Gast­ge­ber nicht auch um das Wohl­ge­fühl des Geg­ners sor­gen? Auf die­se Wei­se fal­len prak­tisch sämt­li­che kri­tisch-iro­nisch auf­zu­spie­ßen­de The­men von vorn­her­ein durch den Rost.

Übrig blei­ben nur noch bra­ve Hul­di­gun­gen an wen auch immer. Robert Jacobs, Fan­be­auf­trag­ter des Ver­eins, will das so nicht ste­hen las­sen. „Von Brav­heit kann doch kei­ne Rede sein. Kri­ti­sche Töne wer­den bei uns nicht von vorn­her­ein aus­ge­schlos­sen. So gab es durch­aus Pla­ka­te zum Bei­spiel gegen Sta­di­on­ver­bo­te oder Fernsehpraktiken.“

Für IG-Spre­cher Achim Foki muss das auch so sein: „Man soll­te hier nicht päpst­li­cher als der Papst sein, auch wenn man dann die eine oder ande­re lei­se Pro­vo­ka­ti­on in Kauf neh­men müss­te. Denn alles in allem kann man auf das Fin­ger­spit­zen­ge­fühl der Jungs ver­trau­en. Schließ­lich wol­len sie eines bestimmt nicht: den Ver­ein schädigen.“

Robert Jacobs zeigt sich da doch erheb­lich des­il­lu­sio­nier­ter. Bei ihm müs­sen sämt­li­che Aktio­nen wie Cho­reo­gra­fien und Spruch­bän­der ange­mel­det wer­den, ohne dass er jedoch die kon­kre­ten Ent­wür­fe sehen will. „Ich hal­te sehr viel vom Prin­zip Ver­trau­en. Mir genügt die Zusa­ge, sich an die Regeln des Anstands und des Geset­zes zu hal­ten. Lei­der haben gera­de die Ultras sich das eine oder ande­re Mal an bespro­che­ne Abma­chun­gen und Ver­spre­chun­gen nicht gehal­ten. So zum Bei­spiel beim Heim­spiel gegen Borus­sia Mön­chen­glad­bach. Da muss sich nie­mand wun­dern, wenn man viel­leicht etwas skep­ti­scher wird.“ Den­noch will der Fan­be­auf­trag­te nichts davon wis­sen, das bis­he­ri­ge Ver­fah­ren zu ändern.

Ver­söhn­li­che Töne

Trotz allem wol­len sich die Ultras ihre Lie­be zur Alemannia in kei­nem Fall neh­men las­sen. Und des­halb kommt es ihnen bei allem Rebel­len­tum auch nicht in den Sinn, das Tisch­tusch völ­lig zu zer­schnei­den. Da ver­le­gen sie ihre Akti­vi­tä­ten dann schon lie­ber ab und an zu der in der Ober­li­ga erfolg­reich spie­len­den U23 und regel­mä­ßig sogar in die Vol­ley­ball­hal­le des Damenzweitligateams.

Dort gibt es die durch Ver­band und Fern­se­hen maß­geb­lich zu ver­ant­wor­ten­den Zwän­ge nicht. Und sie sind sich auch kei­nes­falls zu scha­de, ver­söhn­li­che Töne anzu­schnei­den. So wie Lukas Fran­zen, der meint, dass „auch wir viel­leicht eini­ge Feh­ler began­gen haben“.

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