Das sollen sie also sein? Die je nach Denkhaltung Gralshüter Aachener Fankultur oder die bösen Buben der Tivoliszene? Die drei jungen Leute zwischen 18 und 29 Jahren, die sich bei Kaffee und Cola dem Gespräch stellen, scheinen in keines der beiden Klischees zu passen. Die leisen Töne überwiegen dort, wo man vollmundige Anklagen und kernige Glaubensbekenntnisse erwartet hätte. Das Trio ist sichtlich hin und her gerissen zwischen einer unerschütterlichen Liebe zur Alemannia und der mehr als kritischen Distanz zum offiziellen Verein. Was hat es mit den Ultras also auf sich?
Schüchterne Bestrebungen, die eigene Kurve im Stile der großen südeuropäischen und südamerikanischen Fanorganisationen zu gestalten, gab es schon zu Beginn der 90er-Jahre. Und fast überall reklamiert man, zu den deutschen Bahnbrechern der Idee zu gehören. Doch die Keimzellen befanden sich an Orten, die einem bei diesem Thema nicht gleich in den Sinn kommen: zum Beispiel in Leverkusen bei den damaligen „Soccer Boyz“, bei den im Umfeld des SC Fortuna Köln agierenden „Fortuna Eagles“, im Ruhrpott beim „Commando Bochum“ und bei den Münchner „Chaoten 1860“.
Ungeachtet dessen bekam die Ultraszene ihren richtigen Schub erst durch Fans der Frankfurter Eintracht. Auch dort hatte es Mitte der 90er-Jahre zarte Ansätze gegeben. Im Juli 1997 nahm das Ganze jedoch richtig Fahrt auf, als sich erstmalig in Deutschland verschiedene Gruppierungen unter einem Dach in großem Stil zusammenfanden. Insofern müssen die „Ultras Frankfurt“, heute UF97, als Pioniere der Szene gelten.
Treue und Unabhängigkeit
Unbedingte Treue zum Verein, kompromisslose Unabhängigkeit und bedingungsloser Zusammenhalt in der Gruppe, 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche. Fernab von jeder herkömmlichen Fanclub-Bekömmlichkeit. Mentalität statt simpler Anhängerschaft. Lebenseinstellung statt spießigem Wochenendvergnügen. Das waren und sind die selbst gesetzten Eckpfeiler der Bewegung. Der Zulauf war ungeheuer. Schnell stellten die UF mit zeitweise über 700 Mitgliedern den größten Block im damaligen Waldstadion. Ihre Stimmgewalt, ihre Inszenierungen und ihr geschlossenes Auftreten waren für deutsche Spielstätten etwas völlig Neues. Etwas Spektakuläres. Besonders auch in fremden Arenen.
So dauerte es naturgemäß nicht lange, bis man an anderen Orten begann, dem Frankfurter Vorbild zu folgen. Die UF wurden quasi zur Blaupause für die Ende der 90er-Jahre überall in der Fußballrepublik aus dem Boden sprießenden, sich gut organisierenden Ultragruppen. Beinahe parallel zu den Hessen ging unter anderem in Köln die „Wilde Horde“ an den Start. In Stuttgart wurde das „Commando Cannstatt“ geboren. An der Weser bildete sich die „Eastside Bremen“. In der Hauptstadt waren es die „Harlekins Berlin“, im Frankenland die „Ultras Nürnberg“. Und und und. Anders zum Beispiel in Dortmund, bei den Bayern, auf Schalke und in Dresden. Dort bewegte sich erst etwas im Laufe der vergangenen fünf Jahre.
Anfänge, Generationswechsel und Neubeginn
In Aachen gehörte man zu den eher frühen Streitern für die neue, wie auch immer geartete Fankultur. Am Tivoli taten sich 1999 Mitglieder der Fanclubs „Grenzland Power“, „Euregio Kings“ und „Schwarze Adler“ zum „Inferno Bad Aachen“ (IBA) zusammen. Dessen Stärke verdoppelte sich bereits während der ersten zwölf Monate des Bestehens auf etwa 50 Personen. Man organisierte sich inklusive Satzung, Mitgliedsbeitrag, Schatzmeister und eigenen Merchandisingartikeln. Alles wie bei einem ordinären Fanclub, auch wenn das so nicht gerade gerne gehört wird.
Definitiv unterschiedlich war jedoch das Auftreten. Zum ersten Mal erlebte man im Umfeld der Schwarz-Gelben pyrotechnische Aktionen, erblickte Doppelhalter und Spruchbänder. Im Laufe der kommenden Jahre ereilte allerdings auch die Aachener Hardcore-Fraktion das Schicksal vieler ihrer Geistesbrüder zwischen Hamburg und München: Irgendwann zerstritt man sich über die eigene Ausrichtung, löste sich beinahe auf, erlebte einen Generationswechsel, fand sich in einem harten Kern als „Aktive Alemannia-Fans“ wieder zusammen, bis man 2004 unter der Bezeichnung „Aachen Ultras“ (ACU) im Grunde genommen von Neuem begann.
Heute zählt die Gruppe wieder um die 70 Mitglieder. Mit Branchengrößen wie der rund 700 Personen starken „Schickeria“ der Münchner Bayern, den jeweils etwa 350 Leute auf die Beine stellenden Ultras in Dortmund und auf Schalke oder der nach eigenen Angaben gar 1.000 Anhänger ausmachenden Nürnberger Gruppierung kann man zwar nicht mithalten. Doch die ACU finden sich gleichwohl in einer Liga unter anderem mit den Berlinern und Hamburgern wieder. Während sich die Organisationen in Bremen und Bielefeld sogar zumindest fürs Erste aufgelöst haben.

Foto: Carl Brunn
Außerdem verfügen die Kaiserstädter seit dem vergangenen Sommer über eine eigene Nachwuchsorganisation. „Deren Ziel ist es, fußballbegeisterten Jungen und Mädchen eine attraktive Anlaufstelle zu bieten. Sie an die Alemannia, an das Thema Support und selbstverständlich auch an die Ultras heranzuführen“, wie es der 18-jährige Lukas Franzen, selbst Mitglied des Nachwuchses, formuliert. Die Untergruppierung trifft sich mindestens einmal im Monat, zum Beispiel, um Choreografien zu planen, verabredet Aktionen und organisiert ihre eigenen Auswärtsfahrten. Mit 35 Leuten stellt sie zurzeit immerhin die Hälfte aller Aachener Ultras.
Doch wenn es nach den Frankfurtern ginge, wären viele der deutschen Kollegen, und wohl auch die Aachener, lediglich ein Teil jener „Mongos“, auf die man nur mit Verachtung herunterblickt. Mit diesem Schimpfwort der übelsten Sorte distanzieren sich die Hessen in ihrem stellenweise erschreckend selbstherrlichen Manifest ausdrücklich von der „so genannten deutschen Ultraszene“, deren größtes Glück darin bestehe, „im Internet völlig sinnlose Diskussionen zu führen“.
Genau diese Geisteshaltung der trotzig zur Schau gestellten Arroganz, Vollkommenheit und eigenen Erhabenheit ist es, durch die sich die Ultras überall zunehmend selbst ins Abseits drängen. Hinzu kommen immer wieder kehrende Berichte über tatsächliche oder angebliche Gewalttaten sowie die oftmals unterstellte rechtsradikale Unterwanderung der Szene. In Köln macht inzwischen die restliche Fankulisse massiv mobil gegen die eigene „Wilde Horde“.
Öl auf das Feuer
Am Tivoli hat sich die Diskussion um die Rolle der Ultras während der vergangenen Monate ebenfalls heftig entzündet. Initialzündung war eine im Spätsommer rund um die Krefelder Straße laut entbrannte Rassismusdebatte. In deren Verlauf wurden die ACU schnell und gerne als Hort allen Übels identifiziert. Man problematisierte die fehlende politische Korrektheit. Recht und Sinn von Stadionverboten wurden ins Feld geführt. Und geschwind war auch noch das vermeintliche Überlegenheitsgefühl aus dem Köcher gezogen.
Solche Dispute sind Öl auf das Feuer derjenigen in den oberen Verbands- und Vereinsetagen, denen die traditionelle Stadionkultur eh ein heftig stechender Dorn im Auge ist. Die viel lieber brav zahlende, bequem sitzende, freundlich klatschende, aber auf jeden Fall unkritische Kinobesucher auf den Schalensitzen sehen wollen – Marke „Fanclub Nationalmannschaft“. Die Münchner Bayern liefern das Paradebeispiel für eine systematische Verdrängung des singenden Volkes.
Die Ironie des Schicksals will es, dass ausgerechnet diejenigen stark zu dieser Entwicklung beitragen, die sich als letzte Aufrechte im Kampf um das unverfälschte Tribünenerlebnis sehen. Auch in Aachen würden die Ultras sicherlich auf offenere Ohren stoßen, wenn sie sich nicht von den übrigen Fans mal mehr mal weniger merklich abgrenzen würden. Sogar bei der „Interessensgemeinschaft der Alemannia Fans und Fan-Clubs“ (IG) ist man nicht allzu glücklich mit manchen Auftritten der ACU, obwohl diese Mitglied im Dachverband sind.
„Ein nicht unwesentlicher Teil von ihnen meint, dass sie besser nichts mit dem Rest der Aachener Anhänger zu tun haben sollten“, beklagt sich Achim Foki. Der IG-Sprecher zeigt sich besonders davon enttäuscht, dass die Ultras die übrigen Fanaktivitäten ignorieren und nur dann die Interessensgemeinschaft beachten würden, wenn es um Stadionverbote oder die Nutzung des Fanhauses gehen würde.
„Wir fühlen uns in keiner Weise als Elite. Vielmehr wünschen wir uns eine einige Fanszene.“
ACU-Mitglied Rocco Bartsch räumt mit einem gängigen Vorurteil über Ultras auf
Ein solch elitäres Gehabe ist Rocco Bartsch im Grunde genommen fremd. Der 29-Jährige ist ACU-Gründungsmitglied und einer der eher besonnen und differenziert urteilenden Köpfe. „Wir fühlen uns in keiner Weise als Elite. Wir sind nicht besser als alle anderen Fans, die unsere Mannschaft mit Herzblut unterstützen. Vielmehr wünschen wir uns eine einige Fanszene.“ Doch wie so oft folgt einer solchen Zusage die Einschränkung auf dem Fuß. Alexander Küsters (23), ebenfalls Mann der ersten Stunde, betont, dass sie es schließlich seien, die die Kurve am Leben erhalten würden und man sich folgerichtig an deren Spitze setzen wolle.
„Schon lange vor den Ultras hat es immer wieder Gruppierungen gegeben, die stärker im Blickpunkt standen als andere. Ich halte das für nicht so schlimm.“
Als alter Fahrensmann isst Alemannia-Fan Manfred Bresser die Eliten-Diskussions-Suppe nicht so heiß, wie sie gekocht wird
Aber vielleicht wird die Elitediskussion auch überbewertet. So sieht es jedenfalls Manfred Bresser. Der 41-Jährige gehört als Mitglied des ältesten Alemannia-Fanclubs, „Schwarz-Gelb ’81“, beinahe zu den Veteranen unter den organisierten Anhängern und kann sich noch sehr gut an die Vergangenheit erinnern: „Schon lange vor den Ultras hat es immer wieder Gruppierungen gegeben, die stärker im Blickpunkt standen als andere. Früher waren wir das auch eine Zeit lang. Ich halte das für nicht so schlimm.“
IG-Chef Achim Foki ist es durchaus bewusst, dass es die Ultras sind, die die Stimmung hochhalten. Am Tivoli und auswärts erst recht. Ohne die Gruppe wäre es stiller auf den Rängen. Allerdings zeigt er sich enttäuscht, dass „die Jungs ihr Geschick, die Leute mitreißen zu können, nicht konsequent nutzen und sich stattdessen zu sehr auf sich selbst konzentrieren“.
Uniforme Nonkonformisten?
Die Ambivalenz, das Hin und Her ziehen sich wie ein roter Faden durch jegliche Diskussion mit und über die Ultras. Es wird sich gerne gewunden und, so gut es geht, jegliche Eindeutigkeit vermieden. Die Zerrissenheit zwischen der coolen Einzelgängerattitüde und dem Bedürfnis nach Anerkennung ist spürbar. Man will anders sein, ohne jedoch die Zugehörigkeit zu einem großen Ganzen völlig vermissen zu wollen. Wie sonst wäre das ultratypische Uniformierte zu erklären, mit dem der zur Schau getragene Nonkonformismus transportiert wird?
Wer sich allein die vielen Manifeste und Selbstverständnisse der unzähligen Gruppierungen im Lande durchliest, wird schnell feststellen, dass diese weitgehend wortgleich sind. Das Auftreten in den Stadien und rund um die Vereine scheint ebenfalls gleichgeschaltet. Ultras im Allgemeinen zitieren oft den so genannten Mainstream als ihren erklärten Gegner. Dabei realisieren sie nicht, bereits selbst auf dem besten Weg zu einer amorphen Mitte zu sein. Auch die ACU machen da kaum eine Ausnahme, meint Achim Foki: „Wie gerne betonen sie, dass Aachen anders sei. Aber anstatt diesem Grundsatz zu folgen und sich auch innerhalb ihrer Szene ihr eigenes Profil zu geben, kopieren sie doch oftmals auch nur andere Ultra-Gruppierungen beziehungsweise pflegen dieselben Rituale wie alle Gruppierungen in Deutschland.“
Diese Gruppendynamik funktioniert auch innerhalb der ACU selbst. Es wird immer wieder deutlich, dass man sich auf keinen Fall von den übrigen Mitgliedern abgrenzen oder gar distanzieren will. Für Alexander Küsters kommt ein Auseinanderdividieren nicht in Frage. „Jeder von uns hat sicherlich seine ganz persönliche Meinung zu gewissen Dingen. Aber als Ultras treten wir geschlossen auf. Gegensätzlichkeiten und unterschiedliche Meinungen werden intern geäußert.“
In der Rolle des Angegriffenen
Besonders fatale Auswirkungen hatte diese Grundhaltung während der hohe Wellen schlagenden Auseinandersetzung um rassistische sowie ausländerfeindliche Tendenzen innerhalb des Alemannia-Anhangs. Jedem Kenner der Materie sind solche Ausreißer bekannt. Doch gleichermaßen dürfte auch jedem Betrachter rasch deutlich werden, dass es völlig aus der Luft gegriffen wäre, das Aachener Publikum pauschal als rechtslastig zu diffamieren. Der bei vielen besonders berüchtigte Teil des S‑Blocks ist alles in allem nicht peinlicher als so manch krakeelender Sitzplatzbesucher.
Die dennoch ins Visier der veröffentlichten Meinung geratenen Ultras hätten demnach diese die gesamte Alemannia-Gemeinde schädigende Diskussion im Keim ersticken können. Zumal sie sich immer wieder der Tatsache ausgesetzt sehen, dass „irgendwelche Idioten sich in den Dunstkreis der ACU begeben und Mist bauen. Wir haben dann zwar nichts damit zu tun. Aber es ist ja so einfach, bei jeder Gelegenheit mit dem Finger auf uns zu zeigen“, merkt Lukas Franzen an. Wenn sie sich nur konsequent dazu durchgerungen hätten, einmal und für alle Zeiten unmissverständlich auf Distanz zu jeglichem braunen Unfug zu gehen. Aber davor scheute man viel zu lange zurück und igelte sich in der Rolle des zu Unrecht Angegriffenen ein.

Foto: Carl Brunn
Ähnlich elastisch reagierte man zunächst auf widerliche antisemitische Schmierereien am Aachener Westbahnhof. In der Nacht vor dem Meisterschaftsspiel gegen die Nachbarn vom Niederrhein wurde neben der Fohlen-Raute der Spruch „Juden – your end is near“ auf die Wand gesprüht. Laut Aussage des Vereins waren vorderhand fünf ACU-Mitglieder der Tat dringend verdächtig. Wobei die Beteiligung eines jungen Mannes aus dem Quintett zumindest strittig zu sein scheint.
Mit dem obligatorischen Hinweis auf das schwebende Verfahren verweigern die Ultras jegliche Stellungnahme. Einmal mehr schieben sie die unpolitische Ausrichtung und Heterogenität der Gruppe mit Mitgliedern vieler Schattierungen und Nationalitäten vor. „Chance vertan“, urteilt Achim Foki.
Denkprozess
Doch offenbar hat inzwischen ein Denkprozess eingesetzt. In einer Presseerklärung distanzierten sich die ACU jüngst endlich von jeglichen neonazistischen Aktivitäten und Gruppierungen und schlossen sogar ein Mitglied ihrer Nachwuchsgruppe aus. Auch beim Verein will man keinesfalls den Eindruck hinterlassen, die Ultras als besonders problematische Fans zu betrachten. Für den für diese Belange zuständigen bisherigen Geschäftsstellenleiter Bernd Maas tragen sie einiges zur Kultur des Clubs und zur einzigartigen positiven Tivoli-Atmosphäre bei. Da habe man am Sonnenweg ganz andere im Visier, zum Beispiel die Kameradschaft Aachener Land.
Diese entspannte Sichtweise wollen die so Gelobten nicht recht teilen. Sie sehen sich von den Verantwortlichen eher gegängelt. Vor allem die Stadionverbote bringen sie immer wieder gegen den Verein auf. Dabei stellen sie die Strafe als solche nicht grundsätzlich in Frage. „Kein Zweifel, es gibt auch in Aachen gerechtfertigte Stadionverbote“, macht Rocco Bartsch klar.
„Das deutsche Rechtssystem räumt jedem Beschuldigten das Recht ein, sich zu verteidigen. Vereine und DFL sehen darüber schon lange einfach hinweg.“
Ultra Alexander Küsters über Stadionverbote ohne Chance auf Rechtfertigung
Doch die in ihren Augen häufig willkürlich und wenig differenzierend verhängten Aussperrungen sind es, die sie wütend machen. Vor diesem Hintergrund hatten sie immer wieder ein Anhörungsrecht verlangt. „Das deutsche Rechtssystem räumt jedem Beschuldigten das Recht ein, sich zu verteidigen. Vereine und DFL sehen darüber schon lange einfach hinweg“, klagt Alexander Küsters nicht ohne Logik.
Anhörungsrecht
Die Alemannia schien einsichtig und guten Willens. Man traf sich im Frühjahr 2006 zu einem Gespräch und Präsident Horst Heinrichs machte das Zugeständnis, Beschuldigten künftig ein Anhörungsrecht einzuräumen. Allerdings geschah nichts dergleichen. Als die ACU an die Zusage erinnerten, kam es zu einem zweiten Treffen. Im Beisein von Vorstandsmitglied Klaus Dieter Wolf und Pressesprecher Thorsten Pracht erneuerte der Vereinschef sein Versprechen. Und wieder folgten dem Wort keine Taten.
Nicht zuletzt auch deshalb, weil es Professor Heinrichs unterließ, mit Bernd Maas zumindest den eigentlich Zuständigen von der Vereinbarung in Kenntnis zu setzen. Erst nachdem der Geschäftsstellenleiter vor wenigen Wochen davon erfuhr und Jürgen Frantzen, heutiger Fanvertreter im Aufsichtsrat, insistierte, kam Bewegung in die Sache.
Seitdem gewährt der TSV „als einziger Profiverein in Deutschland“, wie Maas wissen lässt, ein Anhörungsrecht bei Stadionverboten. Alle Betroffenen, die nach dem 16. September mit einer entsprechenden Strafe belegt worden sind, können sich direkt beim Verein oder über den Umweg der Interessensgemeinschaft der Alemannia Fans und Fan-Clubs melden, um ihre Situation zu besprechen.
Eine für beide Parteien annehmbare Vorgehensweise, die bereits beim allerersten Fall Resultate brachte, als zwei Jugendliche im Sonderzug von der Bundespolizei beim Haschkonsum erwischt worden waren. Das zunächst von den Behörden geforderte fragwürdige Strafmaß von fünf Jahren Stadionverbot reduzierten die Alemannia-Verantwortlichen nach einer Anhörung auf ein Spiel.
Die Polizei auf den Fersen

Eine Klage, die die ACU in diesem Zusammenhang immer wieder an die Adresse der Vereinsgewaltigen richten, ist die unreflektierte Übernahme von Polizeidarstellungen. Das Vorgehen der Ordnungsmacht würde zu wenig hinterfragt. In erster Linie sind es die so genannten szenekundigen Beamten (SKB), deren Ruf bei den Fans ein mehr als zweifelhafter ist. Die seien schlecht ausgebildet, auf die spezifische Aufgabe nicht vorbereitet und sähen in den Ultras eh nur einen Feind, dessen Führungspersonen man aus dem Stadion dauerhaft entfernen müsse.
So berichtet ein Mitglied der Gruppe denn auch von einer schier unglaublichen Arbeitsweise. Der junge Mann, dessen Name hier bewusst nicht genannt wird, sei im vergangenen Sommer nach einem Heimspiel bis in den späten Abend hinein von den SKB beschattet worden. Noch um 23.00 Uhr hätten die Polizisten ihm im Sausalitos am Markt auf den Fersen gehangen.
Nicht minder bedenklich klingt der Vorwurf, beim Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach hätten Zivilbeamte versucht, selbst eine Schlägerei zu verabreden, nur um die so in die Falle Gelockten dingfest machen zu können. Aus dem Polizeipräsidium gab es hierzu erwartungsgemäß nichts zu hören. Dort äußerte man lediglich die Sorge, dass es eine Anzahl von Fans aus dem Umfeld der Ultras gäbe, „die in den Bereich der gewaltorientierten Personen abgleiten und somit zu Problemfans werden.“
Ein weiteres Kapitel sind die immer enger werdenden Grenzen für die ultratypischen Choreografien. Zu frühen Zweitligazeiten gab es allerhöchstens dann Reibungen, wenn etwa die Spielkameraden aus Mönchengladbach in eindeutig zweideutiger Zweisamkeit mit Kölnern abgebildet wurden. Bereits im Laufe der Aufstiegssaison und erst recht seit dem Anpfiff zur ersten Liga war allerdings Schluss mit lustig.
Man müsse mittlerweile den Eindruck bekommen, dass solche Aktionen generell nicht erwünscht seien. Auf Nachfrage nennt der hierfür zuständige Bernd Maas drei grundsätzliche Kriterien, die es einzuhalten gelte: keine gesetzwidrigen Darstellungen, Verzicht auf beleidigende Inhalte sowie kein Verstoß gegen elementare Interessen des Vereins.
Kritik durch den Rost?
Das dritte Merkmal schafft den engstmöglichen Rahmen überhaupt. Dass gut zahlende Sponsoren nicht vergrault werden dürfen, wird jedem noch so Kompromisslosen einleuchten. Aber zählen nicht auch die vorauseilende Artigkeit gegenüber der allmächtigen DFL und das blendende Verhältnis zum Bezahlfernsehen zu den elementaren Interessen eines Erstligaclubs? Muss die Alemannia sich als Gastgeber nicht auch um das Wohlgefühl des Gegners sorgen? Auf diese Weise fallen praktisch sämtliche kritisch-ironisch aufzuspießende Themen von vornherein durch den Rost.
Übrig bleiben nur noch brave Huldigungen an wen auch immer. Robert Jacobs, Fanbeauftragter des Vereins, will das so nicht stehen lassen. „Von Bravheit kann doch keine Rede sein. Kritische Töne werden bei uns nicht von vornherein ausgeschlossen. So gab es durchaus Plakate zum Beispiel gegen Stadionverbote oder Fernsehpraktiken.“
Für IG-Sprecher Achim Foki muss das auch so sein: „Man sollte hier nicht päpstlicher als der Papst sein, auch wenn man dann die eine oder andere leise Provokation in Kauf nehmen müsste. Denn alles in allem kann man auf das Fingerspitzengefühl der Jungs vertrauen. Schließlich wollen sie eines bestimmt nicht: den Verein schädigen.“
Robert Jacobs zeigt sich da doch erheblich desillusionierter. Bei ihm müssen sämtliche Aktionen wie Choreografien und Spruchbänder angemeldet werden, ohne dass er jedoch die konkreten Entwürfe sehen will. „Ich halte sehr viel vom Prinzip Vertrauen. Mir genügt die Zusage, sich an die Regeln des Anstands und des Gesetzes zu halten. Leider haben gerade die Ultras sich das eine oder andere Mal an besprochene Abmachungen und Versprechungen nicht gehalten. So zum Beispiel beim Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach. Da muss sich niemand wundern, wenn man vielleicht etwas skeptischer wird.“ Dennoch will der Fanbeauftragte nichts davon wissen, das bisherige Verfahren zu ändern.
Versöhnliche Töne
Trotz allem wollen sich die Ultras ihre Liebe zur Alemannia in keinem Fall nehmen lassen. Und deshalb kommt es ihnen bei allem Rebellentum auch nicht in den Sinn, das Tischtusch völlig zu zerschneiden. Da verlegen sie ihre Aktivitäten dann schon lieber ab und an zu der in der Oberliga erfolgreich spielenden U23 und regelmäßig sogar in die Volleyballhalle des Damenzweitligateams.
Dort gibt es die durch Verband und Fernsehen maßgeblich zu verantwortenden Zwänge nicht. Und sie sind sich auch keinesfalls zu schade, versöhnliche Töne anzuschneiden. So wie Lukas Franzen, der meint, dass „auch wir vielleicht einige Fehler begangen haben“.
Soziale Aachener