Der Vereinsvorsitzende der Alemannia galt stets als Verlierer der nationalsozialistischen ‚Machtergreifung‘ vom Januar 1933: die vom Hof gejagte Galionsfigur, die man durch einen „strammen“ Parteigenossen ersetzte. So hat es Karl Moll nach dem Krieg selbst dargestellt. So ging es ein in die Überlieferung des Vereins. Auch in die Chronik, die im Jahr 2000 zum einhundertsten Jubiläum der Alemannia erschien.
Dieses mit viel Herzblut gestaltete Werk behandelt die Zeit von 1933 bis 1945 auf elf Seiten, die in erster Linie das sportliche Geschehen beschreiben. Wie sich die Hitler-Diktatur auf das Vereinsleben auswirkte, wird allenfalls gestreift.
Zwar fehlte es den Autoren nicht an Mut zu kritischen Seitenblicken: Doch das Gesamtbild ist wegen des dürftigen Materials, das ihnen zur Verfügung stand, überaus lückenhaft. Von der „internen Gleichschaltung“ des Vereins ist zu lesen. Von nazifreundlichen Kreisen, die diese Gleichschaltung durchsetzten. Wer diese Kreise sind, die auf den neuen Kurs einschwenkten, wird nicht gesagt. Sie bleiben anonym, wirken überschaubar und stehen einer braven Funktionärselite gegenüber, die den Club von der Krefelder Straße auf den Trümmern des Zweiten Weltkrieges neu aufbaute.
Die Ehrentafel des TSV huldigt den Namen dieser Elite. Namen, die man in Danksagungen und Chroniken, in Laudationes und Nachrufen ausführlich gewürdigt hat. Namen, deren Träger von Stadt und Verein mit Auszeichnungen überhäuft worden sind. Namen, die sich schließlich auch in trüben Kontexten finden, über die nach dem Krieg nur sehr ungern gesprochen wurde: in Statistiken und Mitgliederlisten der NSDAP, der SA und der SS. Unter den rund neunzig Alemannen, die der Verein im August 1950 für langjährige Treue und besondere Verdienste auszeichnete, waren mehr als zwei Dutzend ehemalige Parteigenossen. In Mehrheit Opportunisten und Mitläufer.
Aber auch solche, die die NS-Zeit in führender Position aktiv gestalteten. Letzteres gilt auch für Karl Moll. Wie schnell er sich dem Regime anpasste, wie leichtfertig der von ihm geführte Verein seine jüdischen Mitglieder preisgab, wie weit er und andere Funktionäre sich auf den Nationalsozialismus einließen, wie sie zwischen 1933 und 1945 politisch dachten und handelten, ist bis heute weder angemessen untersucht noch zur Darstellung gebracht.
Ruhe und Ordnung
Karl Moll stieß bereits 1910 zur Aachener Alemannia. Mehrere Jahre vertrat der Liebhaber des runden Leders die Fußballabteilung im Vorstand, bis ihn die Mitglieder 1929 zum ersten Vorsitzenden wählten. Als einer der führenden Männer erlebte der Katholik die wirtschaftlichen Notlagen und existenziellen Krisen hautnah mit, die der Verein in den zwanziger Jahren durchmachte.

Foto: Alemannia Aachen
Wie so viele Repräsentanten des Aachener Bürgertums dürfte er die elfjährige Besatzung durch belgisches Militär, für die man das Bild von der „Stadt in Ketten“ geprägt hat, als Demütigung empfunden haben.
Nach dem Abzug der Belgier folgte die Zeit der politischen Straßenkämpfe. Mit den Nationalsozialisten, die am 30. Januar 1933 die Macht im Deutschen Reich übernahmen, verband der 40-Jährige nunmehr die Hoffnung, dass sie diese Kämpfe beenden und „in dem von Partei und Hader zerklüfteten Deutschland Ruhe und Ordnung wiederherstellen“ würden. Ein Gefühl, das der ehemalige Korpsstudent mit Millionen Deutschen teilte.
In den ersten sechs Monaten unter dem neuen Reichskanzler Adolf Hitler konnte er nun erleben, wie die braune Bewegung sich diese Ruhe und Ordnung vorstellte. Politische Gegner wurden eiskalt entfernt, ideologiefeindliche Interessengruppen zielstrebig zerschlagen, die Schlüsselpositionen im Staats- und Verwaltungsapparat mit zuverlässigen Gefolgsleuten besetzt, Juden und andere Minderheiten brutal drangsaliert.
Auch die Leibesübungen blieben von der Gleichschaltung nicht verschont. Allerdings ließ sich das Regime mit der Neuordnung des Sports vergleichsweise viel Zeit. Erst Ende April 1933 ernannte das Innenministerium einen Reichssportkommissar, der die zersplitterte deutsche Turn- und Sportbewegung zentralisieren und durch ein System der politischen Leibeserziehung ersetzen sollte.
Die monatelange Ungewissheit machte die Funktionäre nervös. Die Sportverbände, die ihre Auflösung befürchteten, überschlugen sich mit Beweisen ihrer Gesinnungstreue. In schwülstigen Telegrammen stellten sie sich hinter die Ziele der „nationalen Regierung“. Ihre demokratischen Köpfe traten ab oder besorgten sich schnell ein neues Parteibuch.
„Nationale Erhebung“
Vor diesem gewaltigen Hintergrundrauschen hielt es auch Karl Moll für klug, sich dem neuen politischen Klima anzupassen. Anfang Mai 1933 trat der Vorsitzende des größten Aachener Sportvereins in die NSDAP ein. Der Anschluss an die ‚Bewegung‘ sollte offenbar auch seine Position im Verein stärken. Dieses Vorhaben erwies sich jedoch als Trugschluß.
Im Juni 1933 tagte eine Mitgliederversammlung. Wichtigste Punkte der Tagesordnung: Einführung des Führerprinzips und Wahl des neuen Vereinsführers. Gemäß dem Führerprinzip sollten die auf zwölf Jahre gewählten Vereinsführer autoritäre Leitungsbefugnisse erhalten, weshalb der Person des Vereinsführers künftig noch mehr Gewicht zufiel als einfachen Vereinspräsidenten.
Es kam zu einer Kampfabstimmung, die Moll mit 55 zu 96 Stimmen gegen den Tuchfabrikanten Hubert Essers verlor. Die Gründe für diese deutliche Niederlage sind längst nicht so eindeutig, wie es den Anschein hat. Vielleicht trauten die Mitglieder ihrem alten Vorsitzenden den neuen autoritären Führungsstil nicht zu, den der NS-Staat verlangte.

Denkbar ist jedoch auch, dass Moll seit seinem Parteibeitritt in nazifreundlichen wie naziskeptischen Kreisen den fragwürdigen Ruf des Opportunisten genoss. Auf ein fehlendes Parteibuch lässt sich sein Sturz jedenfalls nicht zurückführen. Zum einen war er bereits Parteigenosse. Zum anderen wurde er nicht, wie man gemeint hat, durch einen „alten Kämpfer“ der NS-Bewegung ersetzt. Jedenfalls nicht direkt.
Sein Nachfolger, Hubert Essers, gehörte keiner NS-Organisation an. Auch scheint der Geschäftsführer der Aachen-Burtscheider Tuchfabrik den vulgären Antisemitismus der Nationalsozialisten nicht geteilt zu haben. Als er fünf Jahre später, wenige Monate vor der Reichspogromnacht, eine Feintuchfabrik erwarb, zahlte er den jüdischen Besitzern einen Preis, der sich am Marktwert der Firma orientierte. Damals, als die Juden gezwungen waren, ihren Besitz zu Schleuderpreisen zu veräußern, eine äußerst seltene Ausnahme.
Essers war am Tivoli ein bekanntes Gesicht. Der 53-Jährige war dreizehn Jahre älter als Moll und bereits seit 1903 im Verein, den er von 1908 bis 1909 schon einmal geführt hatte. Als ehemaliger Soldat, der im Ersten Weltkrieg in russische Kriegsgefangenschaft geraten war und fünf Jahre in einem sibirischen Kriegsgefangenenlager zugebracht hatte, dürfte er zudem in national denkenden Kreisen ein gewisses Ansehen genossen haben. Somit war er ein typischer Kompromisskandidat. Mit einem Kompromiss konnten sich die Nationalsozialisten im ATSV Alemannia jedoch nur schwer anfreunden.
Ein Sammelbecken aktiver Nazis war die Handballabteilung des Vereins, deren prominenteste Mitglieder durch ihre Tätigkeit in der Stadtverwaltung engen Kontakt zur Kreisleitung der NSDAP unterhielten. Zu dieser Gruppe gehörten der Handballpionier Adam Smeets und der SS-Mann Ferdi Wiebecke. Über den größten Einfluss verfügte jedoch der SA-Sturmführer Hans Kriescher, der das städtische Amt für Leibesübungen leitete.
Als Mitglied der NSDAP, der SA und der Alemannia liefen bei ihm viele Fäden zusammen. Im Aachener Bezirk war er als Sportkommissar zudem mit der Neuordnung der Leibesübungen betraut. Aufgrund seiner zahlreichen Querverbindungen der ideale Mann für diese Aufgabe. Kriescher wachte nicht nur über die Gleichschaltung der Aachener Sportszene: Er wickelte zugleich die Auflösung aller Vereine ab, die nicht in das sportpolitische Konzept der Nationalsozialisten passten. Eine Machtfülle, von der er regen Gebrauch gemacht hat.
Er und seine Clique dürften Hubert Essers schließlich dazu gedrängt haben, das Amt des Vereinsführers nach nur sechs Wochen aufzugeben. Er übertrug es auf Dr. Peter Müller. Der Ingenieur saß für die NSDAP im Stadtrat, gehörte ihr bereits seit 1931 an und galt als politisch zuverlässig. Mit seiner Amtsübernahme im Juli 1933 kam die Gleichschaltung der Alemannia praktisch zum Abschluss.
Für den Verein in die SA
Karl Moll schloss sich unterdessen der SA an. Vermutlich wollte er sich in der braunen Bewegung größeren Rückhalt verschaffen. Er selbst hat diesen Schritt nach dem Krieg, als er über seine NS-Vergangenheit Rechenschaft ablegen musste, jedoch völlig anders begründet: „Ende Oktober 1933 trat ich nur deshalb der SA bei, weil diese damals sportliche Funktionen übernahm und ich als Vorsitzender meinen Verein vor einer radikalen neuen Leitung bewahren wollte. Im Mai 1934 wurde ich aber trotzdem abgesetzt und an meine Stelle ein alter Kämpfer eingesetzt.“
Sätze, die nachdenklich stimmen und die Glaubwürdigkeit des Gesagten in Frage stellen. Im Oktober 1933 war bei der Alemannia längst Peter Müller am Ruder. Molls Eintritt in die braune Kolonne konnte daher unmöglich im Interesse des Clubs, sondern ausschließlich aus Eigeninteresse erfolgt sein.
Zudem fällt auf, dass er seine Amtszeit künstlich um ein Jahr verlängerte. So konnte er von sich das Bild eines Mannes zeichnen, der sich so lange wie möglich dem wachsenden Einfluss der Nazis auf seinen Verein entgegengestemmt hatte. Um es auszumalen, gab er an, auf dem Tivoli ein Schild mit der Aufschrift „Juden Eintritt verboten“ verhindert zu haben. Ob diese Angabe zutrifft, lässt sich nicht mehr überprüfen. Klar ist jedoch: Die Herausdrängung der jüdischen Mitglieder fällt ganz sicher in seine Amtszeit.
Keine Anteilnahme, keine Solidarität
Als sich die Sportverbände zur Sicherung ihrer Positionen mit dem Regime solidarisch erklärten, versuchten sie mit dem schnellen Ausschluss der Juden Sympathiepunkte einzuheimsen. Im April 1933 beschloss als erstes der Turnverband, dass für die Juden in seinen Reihen kein Platz mehr sei. Den Turnern folgten die Schwimmer. Den Schwimmern die Amateurboxer. Den Amateurboxern die Berufsboxer. Den Berufsboxern die Ruderer. Und und und.

obere Reihe rechts: Reinhold Münzenberg, untere Reihe rechts: Max Salomon
Foto: Sammlung Münzenberg
Bei Alemannia hatte man solche Schlussfolgerungen indes schon früher gezogen. Bereits Ende März 1933 hatte der Jude Max Salomon sein letztes Spiel für die Schwarz-Gelben bestritten. Über Nacht war der gelernte Stürmer plötzlich kein Sportskamerad mehr, obwohl er fast zehn Jahre für die erste Mannschaft des Vereins die Fußballschuhe geschnürt hatte. Sein Abgang scheint unmittelbar mit dem reichsweiten Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 zusammenzuhängen.
An diesem unrühmlichen Tag, als vor den Eingängen jüdischer Geschäfte SA-Posten aufzogen, stand für die Tivoli-Elf ein Vergleich mit einer Alsdorfer Auswahl auf dem Programm. In diesem Spiel wirkte der bekannte Aachener Kicker jüdischen Glaubens bereits nicht mehr mit. Wenige Wochen später wurden er und sein Bruder Robert aus der Mitgliederliste der Alemannia gestrichen. Ob sie den Verein freiwillig verließen, ob man sie zum Austritt überredete oder ihnen kurzerhand den Stuhl vor die Tür setzte, lässt sich nicht mehr ermitteln.
Einen Tag vor dem Boykott – und nicht im August, wie die Vereinschronik irrtümlich schreibt – hatte die Nazi-Presse im Gau Köln-Aachen einen Aufruf des Kölner Amtes für Leibesübungen abgedruckt. Darin wurden die Sportvereine aufgefordert, ihre jüdischen Mitglieder auszuschließen. Möglicherweise sah sich die Alemannia in der Pflicht, diesem Aufruf Folge zu leisten. Dabei war das Kölner Amt weder für den Sport in Aachen zuständig, da Aachen ein eigenes Amt für Leibesübungen besaß, noch war es befugt, einen Ausschluss überhaupt anzuordnen.
„Salomon trat infolge der Zeitrichtung ab.“
Alemannia-Vereinszeitschrift im Mai 1933
In Berlin sorgten solche Eigenmächtigkeiten lokaler NS-Größen eher für Unmut, da man in der Hauptstadt über die Zukunft der jüdischen Vereinssportler noch gar keinen festen Entschluss gefasst hatte. Der Reichssportkommissar sollte sich später aus taktischem Kalkül sogar für ihren einstweiligen Verbleib in den Vereinen aussprechen. Diese vorläufige Schonung wurde mit Rücksicht auf das Ausland gewährt, um die Boykottbewegung gegen die Olympischen Spiele des Jahres 1936 in Berlin zu entschärfen. Noch im Juli 1933 wurde daher verkündet, in aller Ruhe eine Lösung der „Judenfrage“ anzustreben.
Zu diesem Zeitpunkt hatten sich jedoch die meisten Vereine ihrer jüdischen Sportler bereits entledigt. Nur wenige Clubs, wie die Frankfurter Eintracht, haben versucht, zumindest den Anstand zu wahren. Die Vereinszeitschrift der Hessen würdigte ausführlich die Verdienste ihres zurückgetretenen jüdischen Schatzmeisters Hugo Reiß. Vergleichbaren Mut brachte die Alemannia nicht auf. Seit seiner Gründung berief sich der Club zwar auf Kameradschaft und familiären Zusammenhalt. Doch in der angespannten Situation rund um den Judenboykott wagte niemand, sich für die angegriffene Minderheit einzusetzen. Der Abgang der Juden erfolgte nahezu geräuschlos. Ohne erkennbare Beweise der Anteilnahme und Solidarität. Die Vereinszeitschrift meint dazu knapp: „Salomon trat infolge der Zeitrichtung ab.“
Am Scheideweg
Dabei hatte sich Max Salomon um die Alemannia große Verdienste erworben. Der trickreiche Techniker, dem man bereits in frühester Jugend vielseitige Fußballtalente bescheinigte, hatte den Club zwei Jahre zuvor zusammen mit Reinhold Münzenberg zur Rheinbezirksmeisterschaft geführt. Alte Fotos zeigen die beiden Mannschaftskameraden in Gesten freundschaftlicher Verbundenheit. Nun trennten sich ihre Wege. Max Salomon ging nach Brüssel. Wie er sich in der fremden Großstadt zurechtfand, wie der gelernte Kellner seinen Lebensunterhalt verdiente, all das bleibt im Dunkeln.
Als der Aachener im Oktober 1935 seine Heimatstadt aufsuchte, erfuhr er am eigenen Leib, dass er im Deutschen Reich nur noch als Mensch zweiter Klasse galt. Während einer abendlichen Tour durch die Aachener Lokale lernte er eine Frau kennen, mit der er die Nacht in einem Hotel verbrachte. Ob jemand den prominenten Fußballer erkannt und bei der Polizei denunziert hat, lässt sich heute nicht mehr herausfinden. Er wurde jedenfalls verhaftet und später vom Aachener Landgericht wegen Verstoß gegen die Nürnberger Rassegesetze zu fünf Monaten Zuchthaus verurteilt.

Foto: Imago
Die Karriere seines alten Weggefährten Reinhold Münzenberg, der keine politischen Hindernisse im Weg standen, verlief unterdessen in glanzvolleren Bahnen. Der Mittelläufer, der auf dem Tivoli auch nach 1933 die zentrale Identifikationsfigur blieb, entwickelte sich zu einem der frühen Stars des deutschen Fußballs, der bereits Anfang der dreißiger Jahre Woche um Woche Tausende Fans in die Stadien lockte. Als Nationalspieler stand er unter zunehmenden Druck, sich einer NS-Organisation anzuschließen. Seit 1933 war er wie die meisten bekannten Fußballer aus dem Aachener Bezirk in der SA. Später trat der gelernte Bauingenieur, wohl aufgrund seiner Einstellung als technischer Angestellter bei der Stadt, auch der NSDAP bei.
Sportlich folgten ruhmreiche Jahre. Mit der Alemannia gewann der beinharte Regisseur 1938 die Gaumeisterschaft. Seine größten Erfolge in den nationalen Wettbewerben feierte er jedoch mit dem Luftwaffen-Sportverein Hamburg. Mit dieser Mannschaft, die ein sportbegeisterter Offizier ins Leben gerufen hatte, zog der Flaksoldat 1943 in das Endspiel um den Tschammer-Pokal ein. Ein Jahr später schaffte das Team sogar den Sprung in das Finale um die Deutsche Kriegsmeisterschaft. Beide Endspiele gingen verloren.
Als Münzenberg um deutsche Meisterschaftsehren stritt, war Max Salomon vermutlich schon tot. Im Mai 1940 war er vor den in Holland, Belgien und Frankreich einfallenden deutschen Truppen nach Südfrankreich geflüchtet. Hier wurde er 1942 festgenommen, als die Verhaftungswellen gegen die in Frankreich lebenden ausländischen Juden begannen. Man brachte ihn in das nahe der spanischen Grenze gelegene Konzentrationslager Gurs. Am 4. September 1942 – Münzenberg stieß gerade zum LSV Hamburg – wurde Salomon zusammen mit rund Tausend Häftlingen des Transports Nr. 28 in überfüllten Viehwaggons nach Auschwitz deportiert. Rund um die Auschwitzer Gaskammern verliert sich seine Spur. Er gilt bis heute offiziell als verschollen.
Eine kurze Rückkehr ins Amt
Im März 1938, als die Alemannen um Münzenberg gerade um die Gaumeisterschaft rangen, kam es zu einem überraschenden Führungswechsel. Karl Moll kehrte auf den Stuhl des Vereinsführers zurück. Dabei hatte es nach seinem Sturz nicht danach ausgesehen, als ob er die Führung in naher Zukunft noch einmal übernehmen könnte. Doch die Amtszeit Peter Müllers fand unter skandalösen Umständen ein vorzeitiges Ende. Der Ingenieur hatte aus der Kasse der Aachener Kleinbahngesellschaft, deren Vorstand er angehörte, rund 55.000 Reichsmark veruntreut. Im Januar 1938 flog der Coup auf.
Müller wurde entlassen, angeklagt und vom Aachener Landgericht wegen Untreue zu anderthalb Jahren Zuchthaus verurteilt. Die TH Aachen entzog ihm zudem seine Doktorwürde. Durch Müllers Ruin war der Posten des Vereinsführers wieder frei. Die Mitglieder setzten auf eine bewährte Kraft und holten Karl Moll zurück. Ohne den Ruf, politisch zuverlässig zu sein, hätte er dieses Amt sicherlich nicht mehr bekleiden können.

Foto: Sammlung Münzenberg
Allerdings war seine zweite Amtszeit ebenfalls nur von kurzer Dauer. Unmittelbar nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges musste er als Stabsarzt in die Wehrmacht einrücken. Sein Nachfolger wurde der Handballer Ferdi Wiebecke. Der SS-Mann war nach der nationalsozialistischen ‚Machtergreifung‘ in der Aachener Stadtverwaltung schnell nach oben gekommen. Im September 1940 verhalf ihm seine Verwaltungserfahrung zu einem erneuten Karrieresprung. Der 35-Jährige wurde Bürgermeister der annektierten ostbelgischen Kreisstadt Malmedy. Trotz dieser beruflichen Belastung blieb er bis Kriegsende Vereinsführer.
Daran änderte sich auch nichts, als Karl Moll 1942 aus der Wehrmacht entlassen wurde. Der Mediziner ging zum NS-Regime zunehmend auf Distanz. Noch im selben Jahr verließ er die NSDAP und, angeblich auf eigenen Antrag, die SA. Als sich alliierte Truppen im September 1944 Aachen näherten, ignorierte er den Evakuierungsbefehl der Gauleitung. Er zog es nicht ohne Risiko vor, in der umkämpften Stadt auf den Einmarsch der Amerikaner zu warten.
Die Stunde Null
Die provisorische deutsche Verwaltung, die nach dem Ende der Kämpfe ihre Arbeit aufnahm, konnte einen Facharzt für innere Krankheiten gut gebrauchen. Moll wurde zum kommunalen Kreis- und Stadtarzt bestellt, vor sich die Herkulesaufgabe, das Gesundheitswesen in der vom Krieg zerstörten Stadt neu aufzubauen. Doch bald sah es so aus, als sollten ihn die Schatten der Vergangenheit einholen. Ende März 1945 begann sich die Verwaltung auf Druck der Militärregierung von ehemaligen Nazis zu trennen. Moll reichte beim Oberbürgermeister ein Rücktrittsgesuch ein. Vermutlich wollte er seiner Entlassung zuvorkommen. Keine leichte Zeit für das ehemalige NSDAP- und SA-Mitglied.
Wie breite Schichten der Bevölkerung, die mehr als eine einfache Arbeit verrichten wollten, musste auch er sich in einem förmlichen Entnazifizierungsverfahren seiner NS-Vergangenheit stellen. Seine Mitgliedschaft in der SA stand jedoch einer schnellen Entlastung im Weg. Anders als Reinhold Münzenberg, der sich ohne Ausflüchte zu seiner Partei- und SA-Mitgliedschaft bekannte, versuchte Karl Moll sich herauszureden. Er behauptete, bis 1934 an der Spitze der Alemannia gestanden zu haben, um den Weg in die SA mit der Sorge um den Verein zu begründen und sich selbst als Barriere gegen nationalsozialistische Einflüsse aufzubauen.
Dabei spielte ihm in die Hände, dass Peter Müller im April 1939 im Aachener Gerichtsgefängnis verstorben war. Einem Toten kann man keine Fragen mehr stellen. Und Unterlagen, mit deren Hilfe sich Molls Angaben überprüfen ließen, gab es anscheinend nicht mehr oder man hatte sie bereits beiseite geschafft.
Darüber hinaus schien das Netzwerk aus ehemaligen Alemannen prächtig zu funktionieren. Reihenweise stellten sie einander Gefälligkeitsentlastungen aus. Der Inhalt dieser „Persilscheine“ war immer der gleiche. Herr Kreti bestätigte Herrn Pleti, kein Gesinnungsnazi gewesen zu sein. Andere hatten solche schriftlichen Leumundszeugnisse erst gar nicht mehr nötig. Ferdi Wiebecke, der sich vor den Amerikanern nach Ostfriesland abgesetzt hatte, war dort – vermutlich wegen fehlender Unterlagen – als politisch unbelastet eingestuft worden. Nach seiner Rückkehr zeigte sich auch die Heimatstadt großzügig. Da seine letzte Dienststelle inzwischen wieder im Ausland lag, stufte man ihn als Flüchtling ein. Später durfte er in der Stadtverwaltung unterschlüpfen, wo seine Karriere in den zwanziger Jahren begonnen hatte. Als die Alemannia dem ehemaligen SS-Mann im fortgeschrittenen Alter von 66 Jahren die Ehrenmitgliedschaft antrug, war seine gesellschaftliche Rehabilitation perfekt.
Auch Karl Moll kam mit seinen Aussagen durch. Der erfahrene Funktionär muss den Entnazifizierungsausschuss von der Redlichkeit seiner Absichten so vollständig überzeugt haben, dass dieser ihn noch nicht einmal als Mitläufer, sondern als Unbelasteten einstufte. Von diesem Ballast befreit, konnte er sich nun ganz dem Wiederaufbau der Alemannia widmen. Ein drittes und letztes Mal nahm er das Geschick des Vereins für sieben Jahre in seine Hände. Als der langjährige Vorsitzende das Steuer 1956 an seinen Nachfolger Gerhard Heusch übergab, stand der Verein wieder in voller Blüte.
„Eine U‑Bahn …“
Aufgrund seiner zahlreichen Verdienste empfing Karl Moll die höchsten Auszeichnungen, die die Alemannia zu vergeben hat. Seine Verdienste sind unstrittig. Sie stehen jedoch seiner NS-Vergangenheit gegenüber, die er nach dem Krieg mit falschen Aussagen erfolgreich verharmloste. Besonders scharf kontrastieren sie mit der Behandlung der jüdischen Mitglieder, die der von Moll geführte Verein früher als anderswo der gesellschaftlichen Ächtung preisgab. Ein Faktum, das man stets übersehen hat.

Foto: Carl Brunn
In der Nachkriegszeit geriet seine Verstrickung in das NS-Regime schnell in Vergessenheit. Die wieder fest etablierten alten Eliten waren aus naheliegenden Gründen nicht daran interessiert, ihre Rolle im ‚Dritten Reich‘ kritisch zu hinterfragen. Sie gaben sich mit Gesten zufrieden. Gesten wie die 1950 erschienene Festschrift, welche die „im Konzentrationslager zu Tode gekommenen“ jüdischen Mitglieder auflistet. Doch Gesten, die ohne selbstkritischen Umgang mit der eigenen Vergangenheit geübt werden, reichen bei weitem nicht aus. Sie schaffen eine Distanz zur Ursache der Betroffenheit, die ablenkt von der eigenen Verantwortung.
Eine Aufarbeitung, die in die Öffentlichkeit hineinwirkt, können sie in keiner Weise ersetzen. Dass diese notwendig ist, zeigt die antisemitische Schmiererei, die 2006 vor dem Derby gegen Mönchengladbach am Aachener Westbahnhof auftauchte. Abgesehen von einer trostlosen Wand hat sie vor allem das Andenken der jüdischen Alemannen beschmutzt, die dem nationalsozialistischen Terror zum Opfer gefallen sind. Die Urheber dieser Entgleisung scheinen die Geschichte ihres Clubs nicht zu kennen. Oder es ist ihnen in schlichtester Dummheit gleichgültig, dass in den Vernichtungslagern der Nazis auch einige Alemannen den Tod fanden.
Helfen kann da nur eine breite Sensibilisierung. Diese darf sich nicht in Grundsatzdiskussionen über historische Aufarbeitung verlieren, sondern sie muss sich kritisch und mit offenen Augen diesen Situationen stellen. Der Verein Alemannia Aachen war ungeachtet der Nähe einzelner Funktionäre zur NSDAP und ihren Gliederungen kein „Nazi-Club“. Ebensowenig ist er heute ein Hort rechter Gesinnung. Weder in der Vereinsleitung noch auf den Rängen.
Der TSV ist ein Fußballverein wie so viele, der sich gegen Einzelne und Gruppen, die Stadiontribünen als Ort für ihre politische Agitation begreifen, zur Wehr setzen muss. Solange Volksverhetzer und ihnen nacheifernde Wirrköpfe in bundesdeutschen Stadien die U‑Bahn nach Auschwitz besingen, solange gehört das ‚Dritte Reich‘ nicht zu den Akten gelegt, sondern noch stärker aus den Akten hervorgeholt. In all seinen hässlichen Facetten.
Soziale Aachener