Foto: Carl Brunn

Tschö, Wil­li!

Der Gang in das Büro von Willi Sieprath war immer ein leichter. Am Schreibtisch sitzend, blickte er den Besucher über die Ränder seiner Brille freundlich an, vor sich einige alte Vereinszeitschriften oder die Berichte des letzten Spieltags.

Die Begrü­ßung war stets herz­lich und über­schwäng­lich. „Wie isset, Jon­ge?“, schall­te es uns aus sei­ner Rich­tung ent­ge­gen. Kaum dass man Platz genom­men hat­te, durf­te man teil­ha­ben an dem rei­chen Wis­sens- und Anek­do­ten­schatz, den sich Wil­li über vie­le Jah­re hin­weg durch inten­si­ve Lek­tü­re und zahl­rei­che Gesprä­che mit ehe­ma­li­gen Spie­lern und lang­jäh­ri­gen Ver­eins­mit­glie­dern ange­eig­net hatte.

Er erzähl­te ger­ne, war­um die Alemannia ihren Namen trägt. Und war­um der in den Zwan­zi­gern popu­lä­re Tor­wart Wimmar Hen­nes im Öcher Volks­mund nur „deä Schwimm“ hieß. Man­che Geschich­te kann­te man schon von frü­he­ren Besu­chen. Aber das mach­te nichts, denn nie­mand konn­te so fes­selnd erzäh­len wie er. Und am Ende nahm man stets eine neue Anek­do­te über die Alemannia mit nach Hause.

Wil­li Sie­prath war kei­ner, der mit sei­nem Wis­sen beein­dru­cken woll­te. Sicher, er erzähl­te ger­ne Geschich­ten, um für eine ange­neh­me Atmo­sphä­re zu sor­gen. Viel wich­ti­ger war ihm jedoch zu ver­mit­teln, was Alemannia Aachen ist: ein Ver­ein mit einer lan­gen Tra­di­ti­on. Ein Ver­ein, der für vie­le Men­schen aus der Regi­on ein Lebens­ge­fühl ist. Ein Ver­ein, des­sen Geschich­te durch Ameröll­chen erst so rich­tig leben­dig und unver­wech­sel­bar wird. So unver­wech­sel­bar wie Wil­li Sie­prath selbst.

Die Tra­di­ti­on des Ver­eins zu pfle­gen, war für den ein­ge­fleisch­ten Ale­man­nen eine Her­zens­an­ge­le­gen­heit. Nicht nur sei­ne freund­schaft­li­che Art, auch sein Selbst­ver­ständ­nis als Archi­var sprach für ihn: Er woll­te tei­len und teil­ha­ben las­sen. Das ist umso erfreu­li­cher, weil es das Ver­eins­ar­chiv ohne ihn gar nicht gäbe. Als er unter Prä­si­dent Hans Bay sei­ne Tätig­keit begann, war er ent­setzt über das, was er vor­fand: einen geschichts­ver­ges­se­nen Ver­ein, den sei­ne Über­lie­fe­rung nicht kümmerte.

Die Jahr­gän­ge der Ver­eins­zeit­schrift seit 1905 stan­den in einer Rei­he von Müll­sä­cken zur Ent­sor­gung bereit. Vie­les war bereits ver­lo­ren. Nur dem Enga­ge­ment Wil­li Sie­praths ist es zu dan­ken, dass der TSV über­haupt ein Archiv und damit ein Gedächt­nis besitzt, das hof­fent­lich alle Per­so­nal­wech­sel in der Ver­eins­füh­rung über­dau­ern wird.

Mit der für ihn typi­schen Akri­bie ord­ne­te er das Vor­han­de­ne, ließ die Ver­eins­zeit­schrif­ten säu­ber­lich bin­den und mach­te sich auf die Suche nach wei­te­rem Mate­ri­al. Dazu sprach er jeden an, der etwas besaß, mit dem er die Bestän­de des Archivs wei­ter aus­bau­en konnte.

Als einer der weni­gen im Ver­ein pfleg­te er den Kon­takt zu ehe­ma­li­gen Spie­lern, immer auf der Spur nach aktu­el­len Adres­sen. Mit eini­gen tele­fo­nier­te er regel­mä­ßig. Und oft sorg­te er allein dafür, dass der Ver­ein sich ihrer über­haupt noch erin­ner­te, wenn es etwas zu fei­ern gab.

Wer sein Büro ver­ließ und auf die Uhr schau­te, konn­te kaum glau­ben, wie schnell sich die Zei­ger wie­der ein­mal gedreht hat­ten. Auch für Wil­li ist die Zeit zu schnell ver­gan­gen. Es wird nun weni­ger erzählt wer­den auf den Flu­ren am Son­nen­weg. Wir wer­den Wil­li Sie­prath vermissen! 

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Als wir die ersten Buchstaben tippten, um unsere fixe Idee eines Alemannia-Magazins in die Tat umzusetzen, spielte Henri Heeren noch in Schwarz-Gelb. Jupp Ivanovic machte drei Buden am Millerntor und trotzdem träumte niemand von Bundesliga oder Europapokal. Das ist lange her. In der Zwischenzeit waren wir mit dem TSV ganz oben. Wir sind mit ihm ziemlich unten. Aufgehört haben wir unterwegs irgendwie nie. Neue Ausgaben kamen mal in größeren, mal in kleineren Abständen. Und jetzt schreiben wir halt auch noch das Internet voll.

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