Seit der Rückrunde 03/04 chauffiert der 38-Jährige die Kartoffelkäfer durch die Lande. An diesen ungewöhnlichen Abstecher ins Niedersächsische kann er sich noch sehr genau erinnern. „Eigentlich wollten wir Trainer Hecking nur für ein freies Wochenende nach Hause bringen. Das lag nach dem Spiel bei Eintracht Braunschweig ja quasi auf dem Weg.“ Doch angesichts eines im Rennen um den Bundesligaaufstieg vorentscheidenden 1:0 Auswärtssieges sollte alles ein wenig anders kommen.
Bei der Ankunft im Wohnort des damaligen Übungsleiters entlud sich die teaminterne Partylaune in einem spontanen Triumphzug. Eilig herbeigeschaffte Getränke machten aus der außerordentlichen Dienstfahrt eine vorgezogene Aufstiegsfeier im Vorgarten des Hecking‘schen Hauses. Weit später als geplant machte sich der Tross auf den Heimweg in die Kaiserstadt.
Bayern haben den Längeren
Hier schiebt Albert Thielen unter der Woche Schichtdienst im Linienverkehr der ASEAG. Seit gut einem Jahrzehnt steht er bei den Aachener Verkehrsbetrieben in Lohn und Brot. Für ihn, der schon als Kind die rote Flotte bestaunt und bewundert hatte, ist es nach wie vor der Traumberuf. Nur eine Leidenschaft ist ähnlich alt und ausgeprägt wie die für besonders große Autos: die für den Fußball. Dass es der waschechte Öcher vor allem mit dem Vorzeigeclub seiner Heimatstadt hält, versteht sich dabei von selbst.
Als sein Arbeitgeber im Winter 2003 einen neuen Fahrer für den allspieltäglich zur Verfügung gestellten Mannschaftsbus der Alemannia suchte, meldete sich das langjährige Vereinsmitglied umgehend. Die notwendige Erweiterung seines Personenbeförderungsscheines bezahlte er aus der eigenen Tasche. Angesichts der letztlich erfolgreichen Bewerbung eine lohnenswerte Investition.
Wann immer es den Turnsportverein seither in die Ferne zieht, tauscht der ASEAG-Angestellte seine Uniform gegen die Kluft des schwarz-gelben Betreuerstabes, parkt den Gelenkbus in der Garage und steigt auf den Fahrersitz seines Mercedes Travego. Der speziell umgebaute Reisebus genügt selbst allerhöchsten Ansprüchen. „Wir haben eine Fünf-Sterne-Ausstattung an Bord. Bayern München fährt das gleiche Modell“, weiß der Kenner der Szene. Regelmäßig tauscht er sich an Spieltagen mit den Kutschern der anderen Klubs aus. „Deren Bus ist allerdings dreiachsig und zwei Meter länger.“ Deutschlands Fußballprimus muss halt immer noch einen draufsetzen. Oder dranhängen.
Doch auch die normalkurze Version hat es mit DVD-Spieler, Satellitenfernsehen, Klimaanlage, Telefon, Faxgerät, Massagebank und Küche in sich. Wenn Thielen über die technischen Details referiert, schwingt in seiner Stimme Stolz mit. Das 450.000-Euro-Gefährt ist des Fahrers Augapfel. Bei einer Sache versteht er deshalb auch überhaupt keinen Spaß: Vandalismus.
„Ich habe immer ein mulmiges Gefühl, den Bus unbeaufsichtigt neben dem Hotel zu parken. In Dresden hätte ich am liebsten in seinem Inneren geschlafen.“
Des Fahrers Augapfel ist sein Gefährt
In unschöner Regelmäßigkeit kommt es vor, dass sich halbstarke Anhänger der gastgebenden Vereine auf dem Bus verewigen wollen. Ein giftgrünes „Stuttgart“-Graffiti und ein bis auf das Blech eingeritzter „KSC“-Schriftzug zeugen davon, dass diese Unsitte in Baden-Württemberg besondere Beliebtheit genießt. Solch einschneidende Erlebnisse hinterlassen natürlich auch Spuren im Gemüt. „Ich habe seither immer ein mulmiges Gefühl, den Bus unbeaufsichtigt neben dem Hotel zu parken. In Dresden hätte ich am liebsten in seinem Inneren geschlafen.“
Doch die vermeintlich schwärzesten Schafe unter Deutschlands Fußballfans überraschten den besorgten Fahrer positiv. Nichts passierte. Auch in Rostock blieb am Quartier alles ruhig. Dort wurde das Gefährt allerdings bei der Abfahrt vom Stadion bespuckt, getreten und mit Gegenständen beworfen. Thielen ist nicht sonderlich traurig, dass Hansa in der aktuellen Serie auf dem Spielplan fehlt.
Eine Frage der Ehre
Auch ohne Trip an die Ostsee haben Mensch und Maschine einiges an Entfernungen zurückzulegen. Allein für die 17 Auswärtspartien in der Liga kommen in dieser Saison 11688 Kilometer zusammen. Addiert man noch die Fahrten zu Pokal- und Freundschaftsspielen sowie Trainingslagern hinzu, legt Thielen insgesamt etwa eine halbe Erdumrundung im Dienste des schwarz-gelben Fußballs hin. Obwohl er die meisten Stadien inzwischen im Schlaf finden könnte, bereitet sich der Hundertprozentige gewissenhaft auf jede Tour vor.
„Am liebsten würde Albert die Strecke einen Tag vorher abfahren, damit ihm auch ja keine Baustelle entgeht.“
Zeugwart Michael Förster über den hundertprozentigen Chauffeur
Ausdrucke von Routenplanern am Armaturenbrett, Atlas auf dem Schoß, Navigationssystem und Verkehrsfunk im Ohr: Albert Thielen überlässt nichts dem Zufall. Für ihn ist eine reibungslose Anreise Ehrensache. „Am liebsten würde Albert die Strecke einen Tag vorher abfahren, damit ihm auch ja keine Baustelle entgeht.“ Zeugwart Michael Förster ist ob der akkuraten Vorbereitung des Fahrers immer wieder überrascht. Vom Beifahrersitz hat er einen guten Blick auf das Geschehen am Lenkrad.
Selbst weiter hinten im Bus bleibt Thielens Einsatz nicht verborgen. Die Kicker schätzen ihn und zahlen es auf ihre Art zurück. Ende September in Fürth etwa lief die Mannschaft zu Fuß zum Abschlusstraining, um ihrem Fahrer die gesetzlich vorgeschriebene Ruhezeit zu ermöglichen. Solche kleinen Aufmerksamkeiten freuen Albert Thielen. Ohnehin fühlt er sich von der gesamten Truppe als vollwertiges Mitglied akzeptiert und integriert. Bei den Mahlzeiten sitzt er am Betreuertisch, abends in der Hotelbar gönnt er sich mit Masseuren und Zeugwarten einen Feierabendsprudel. Aus Prinzip trinkt Thielen keinen Alkohol, wenn er den Busschlüssel in der Hosentasche hat.
Auch mit den sportlich Verantwortlichen pflegt er einen mehr als nur freundlichen Umgang. Bisher boten ihm alle prompt das Du an. Fast alle. Der letzte Coach stellte sich mit „Ich bin der Herr Buchwald“ vor. Für Thielen machte das keinen Unterschied. „Ich habe ihn einfach mit ‚Trainer‘ angesprochen. Das hat schließlich jeder so gemacht.“ Trainer, Sportdirektor, Jörg oder Herr Schmadtke: Beim derzeitigen Interimstrainer hat Thielen in Sachen Anrede freie Auswahl.
Nur Fliegen ist schöner
Vor allem Herrn Buchwalds Vorgänger wusste um den Wert des Fahrers. Als Michael Frontzeck vor dem Auswärtsspiel bei Eintracht Frankfurt ein Trainingslager zur Stärkung des Miteinanders einberief, bestand der Ex-Trainer darauf, den Mannschaftschauffeur dabeizuhaben. Schließlich stellt sich dieser bei jedem Auswärtsspiel unermüdlich in den Dienst des Teams. Weit mehr, als sein Tätigkeitsprofil verlangt.
Während des gesamten Aufenthalts steht Thielen den Männern um Michael Förster tatkräftig zur Seite. „Albert ist ein Supertyp. Immer motiviert und hilfsbereit. Und absolut engagiert“, ist der Zeugwart voll des Lobes. „Es macht Spaß, mit ihm zu arbeiten.“ Der Fan Albert Thielen kommt bei allem Engagement aber etwas kurz. Für den ist das Spiel vorbei, wenn es in die eigentlich entscheidende Phase geht. Eine Viertelstunde vor dem Schlusspfiff muss Thielen das Stadioninnere verlassen. Dann gilt es, den Bus vor die Kabinentür zu fahren. Auch die Heimreise soll problemlos ablaufen. Allzu oft muss sich Thielen nach dem Endstand erkundigen.
Doch der um den Spielausgang Gebrachte beklagt sich nicht. Dienst ist schließlich Dienst. Immerhin bleiben zum Fußballgenuss noch die Heimpartien. Da hat Albert Thielen frei. „Ich könnte eine Dauerkarte für die Haupttribüne haben. Als Dank für meine Arbeit.“ Doch vor jeder Saison schlägt er die Offerte, die manch anderen reizen würde, aus. „Das ist nicht meins. Ich stehe lieber auf der Gegengeraden im Block S.“
Zu einer Handvoll von Heimspielen hat Thielen dann doch den Bus lenken müssen. Beim UEFA-Pokal in Köln. Die Auswärtstouren nach Europa, mit Ausnahme vom Aus in Alkmaar, endeten für ihn hingegen am Flughafen. Den Rest der Reisen bestritt die Mannschaft per Flieger. Ihr Fahrer musste zu Hause bleiben. Aber bis zur nächsten Teilnahme der Alemannia am internationalen Geschäft hat er bestimmt noch ausreichend Zeit, einen Flugschein zu machen. Auf eigene Kosten, versteht sich.