81 Minuten lang sah es im Pokalspiel gegen den VfL Bochum danach aus, als würde alles laufen wie zuletzt so oft für Marius Ebbers. Vergebliche Grätschen, vergebene Torchancen. Ein Eigentor als Krönung des Unglücks. Doch dann nahm er diese Flanke von rechts direkt. Für die Alemannia war sein Aufsetzer der Siegtreffer. Und für den Mittelstürmer? Vielleicht das Ende eines Karrieredurchhängers, der mit Aachens Bundesligaintermezzo begann.
„Wir haben einfach nicht mehr gewonnen. Ich habe dafür bis heute keine Erklärung.“ Marius Ebbers sitzt in einem der Konferenzräume der Geschäftsstelle am Tivoli und zuckt beim Rückblick auf das Ende der abgelaufenen Spielzeit mit den Schultern. Mit der mäßigen Ausbeute von nur einem Punkt aus den finalen acht Spielen hatten die Schwarz-Gelben ihre bis dahin hervorragende Ausgangsposition pulverisiert und letztlich den Abstieg aus der Bundesliga besiegelt.
Der 29-Jährige selbst steuerte in 27 Einsätzen lediglich zwei Treffer zum gescheiterten Unternehmen Klassenerhalt bei. Eine magere Bilanz. Auch neben dem Platz lief es für ihn denkbar schlecht. Im Frühjahr zerlegte er in einer unglücklichen Konstellation aus Restalkohol und Aquaplaning den Sportwagen seines Sturmpartners Jan Schlaudraff auf der Autobahn. Was folgte, war eine Abmahnung nebst Suspendierung für das Heimspiel gegen den FC Bayern. Für den Boulevard ein gefundenes Fressen.
Foto: Carl Brunn
Seine Berufsauffassung wurde in Frage gestellt, während der Torriecher weiter außer Funktion blieb. Zuletzt fiel sogar die Lokalpresse mit einem ätzenden Kommentar in ihrem Saisonfazit über ihn her. Von einem etwas fülligeren Zwillingsbruder war da die Rede, der vertretungsweise die Strafräume der Eliteliga beackert habe. Der Verspottete nahm alles ohne Widerworte zur Kenntnis.
Darauf angesprochen lehnt er sich zurück. „Bei soviel konstruktiver Kritik hätte ich beinahe meine Fußballschuhe an den Nagel gehängt, um professioneller Pokerspieler zu werden. Meine Frau hielt das aber für keine gute Idee.“ Zurückhaltung statt Rundumschlag, Ironie statt Medienschelte. Marius Ebbers ist schon zu lange im Profigeschäft, als dass ihn das marktschreierische Drumherum noch nachhaltig aus der Ruhe bringen könnte. Und er ist keiner der branchenüblichen Lautsprecher und Selbstdarsteller.
Bodenständiger Nachwuchsförderer
Andere üben zu Hause den Torjubel vor dem Spiegel, schnüren bunte Fußballschuhe und laufen wie frisch vom Friseur aufs Spielfeld. Der bisweilen schlaksig wirkende 1,92 Meter-Hüne hingegen konzentriert sich auf das Wesentliche, will einfach nur spielen.
„Eine Spitze, zwei Spitzen. Das ist völlig egal, solange ich nur beim Anpfiff auf dem Platz stehe.“
Auch theoretische Dinge wie Taktik oder System sind für ihn dabei eher zweitrangig. „Eine Spitze, zwei Spitzen. Das ist völlig egal, solange ich nur beim Anpfiff auf dem Platz stehe.“ So dachte er bei seinen fußballerischen Anfängen in der Jugend von Preußen Steele. So denkt er noch heute.
In anderer Hinsicht zeigt sich der Stürmer ebenfalls erstaunlich bodenständig. Keine einzige Schwalbe hat er in seiner bisherigen Karriere durch des Gegners Sechzehner fliegen lassen. Eine Seltenheit in Zeiten, in denen solche Unsportlichkeiten als cleveres Verhalten bewertet werden. Aber im modernen Fußball vielleicht auch zu ehrlich, zu altmodisch für den Sprung nach ganz oben.
Den schafften im Gegensatz zu ihm Lukas Podolski und Jan Schlaudraff. Im Abstand von drei Jahren avancierten die Jungprofis zu Nationalmannschaftskandidaten und Bayernspielern. Bei beiden hieß der Sturmpartner zum Zeitpunkt des Karrieresprungs Marius Ebbers. Mit einem Augenzwinkern sieht sich dieser, selbst nie in den Dunstkreis der Deutschlandauswahl geraten, als Hauptfaktor für den Erfolg der beiden ehemaligen Kollegen.
Nach Schlaudraffs Berufung im Herbst 2006 erklärte er sich kurzerhand zum Chefausbilder von DFB-Sturmhoffnungen. Auf Nachfrage verrät der selbsternannte Nachwuchsförderer das Geheimnis seines Erfolges. „Ich spiele absichtlich den letzten Scheiß, damit der Bundestrainer die Jungs für totale Granaten hält.“ Geeignete Kandidaten sieht er im diesjährigen Alemanniakader allerdings nicht. Todor Kolev, Szilárd Nemeth und Lubos Pecka sind alle für Deutschland nicht spielberechtigt.
Angekratzt und aufpoliert
So kann sich Ebbe, wie er in Mannschaftskreisen gerufen wird, derzeit voll und ganz auf sich selbst konzentrieren. Und auf die Erfüllung eines Wunsches. Er möchte noch einmal zurück in die Belle Etage und es all denen zeigen, die ihm in der jüngsten Vergangenheit die Erstligatauglichkeit abgesprochen haben. Vorerst gilt es aber, den angekratzten Goalgetterruf eine Klasse tiefer wieder aufzupolieren. Dass bei seinen Ballkontakten zuletzt immer wieder Unruhe auf den Rängen aufkam, hat Aachens Nummer Sechzehn im Eifer des Gefechts nur am Rande wahrgenommen.
„Manche Fans stehen auf den Spielertyp Ebbers, andere eben nicht.“
Aus der Fassung bringen ihn die Unmutsäußerungen nicht. „Manche Fans stehen auf den Spielertyp Ebbers, andere eben nicht. Solange alles im Rahmen bleibt und nicht ins Persönliche abgleitet, habe ich damit kein Problem.“ Die jüngsten Ereignisse um seine Kollegen Kristian Nicht und Pekka Lagerblom stellen für ihn in dieser Hinsicht Negativbeispiele dar.
Dabei möchte Marius Ebbers den Anhängern ein Recht auf Kritik keinesfalls absprechen. Jeder Spieler sollte allerdings die Chance erhalten, vergangene schlechte Leistungen vergessen zu machen. Für ihn selbst schien sein Siegtor im Derby beim 1.FC Köln am zweiten Spieltag diesbezüglich ein großer Schritt gewesen zu sein. Ganz nebenbei machte sich der Unterhausveteran damit zum Top-Torjäger unter allen derzeit aktiven Zweitligaspielern.
Doch bald darauf kegelte eine Sprunggelenksverletzung den Unglücksraben aus der ersten Elf. Bis zum Pokalspiel gegen Bochum hieß die harte Realität Bank statt Strafraum. Dass der Comebacker den Ball nach seinem spielentscheidenden Treffer aus den Maschen holte und in den Aachener Abendhimmel drosch, zeugte von purer Erleichterung. Endlich wieder gespielt. Und endlich wieder getroffen.
Seither zeigt die Formkurve nach oben. Zumindest seine persönliche. Beim Auswärtsspiel in Aue spielte Marius Ebbers ebenfalls ganz nach dem Motto, das er bereits als Fünfjähriger für sich entdeckt hat: „Es gibt im Fußball nichts Schöneres, als den Ball ins Netz zu knallen.“ Seine Leidenschaft für den erfolgreichen Abschluss haben die Aachener Anhänger auch schon vor seiner Zeit im schwarz-gelben Trikot kennen lernen dürfen. Oder müssen.
Fünfmal lief der Mittelstürmer für Duisburg und Köln gegen die Alemannia auf, neun Treffer erzielte er dabei. Als er im Sommer 2005 an der Krefelder Straße unterschrieb, war die Gefahr fürs Erste gebannt. Etliche Fußballfans in der Kaiserstadt atmeten erleichtert auf. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten wurde der Neuzugang mit wichtigen Toren in der Rückrunde zu einem der Garanten für den Bundesligaaufstieg. Auf seinem Tore-für-und-gegen-den-Turnsportverein-Konto ist er längst deutlich im Plus. Weitere Einzahlungen sind vorgesehen.
Hosen runter für ein Paar Damen
Noch einige Jahre möchte der hoch aufgeschossene Rotblonde seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen. Sein Vertrag bei der Alemannia läuft am Ende der Saison aus. Gespräche über eine etwaige Verlängerung hat es noch nicht gegeben. Er sieht ihnen gelassen entgegen. Sollten alle Stricke reißen, bliebe schließlich immer noch Plan B: Schuhe an den Nagel hängen und Pokerprofi werden.
Seine Tätowierungen, Relikte aus alten Tagen als Sänger der Essener Punkrockband „Hunchback“, würde der Aussteiger dann eventuell noch um eine weitere ergänzen. „Wenn ich mit einem Paar Damen die erste Million gewonnen habe, lasse ich mir die beiden auf den Hintern tätowieren.“ Sprichts und lacht. „Meiner Frau müsste ich das allerdings ganz schonend beibringen.“