Alemannia, der Kultverein. Der Tivoli als heißes Pflaster. Die Angst der Gastmannschaften vor der schwarz-gelben Geräuschkulisse. Legenden ranken sich viele rund um die Soers. Doch im Sommer 1997 war von all diesen sagenhaften Dingen nicht wirklich etwas zu spüren.
Auf den Tribünen des ebenso windschiefen wie ehrwürdigen Stadions fanden sich im Schnitt rund zwei- bis dreitausend Besucher ein. Die waren für Salmrohrer oder Erkenschwicker Verhältnisse zwar immer noch laut. Doch Furcht einflößend waren sie nicht mehr als die Mannschaft auf dem Rasen.
Zumindest für eine noch kleine Gruppe von Alemanniafans musste sich dringend etwas ändern. Sie waren begeistert von den spektakulären Aktionen italienischer Ultras mit überdimensionalen Transparenten und imponierenden Bengaloshows. So etwas musste im kleinen Stil doch auch in Aachen zu schaffen sein. Mit Gedankenspielereien hielt sich die Gruppe nicht lange auf. „Inferno Bad Aachen“, kurz IBA, wurde gegründet.
Schon sehr schnell waren auf dem heimischen Tivoli und auch auswärts die ersten Spruchbänder und Rauchfahnen zu sehen. Alles war noch etwas provinziell, wie es sich für einen Regionalligsten gehörte. Doch diese ersten IBA-Jahre erwiesen sich als bester Aufgalopp für größere Bühnen.
Erster Paukenschlag
Diese boten sich den selbst ernannten Aachener Ultras zwei Jahre nach der IBA-Gründung. Beim ewig jungen Derby gegen den 1. FC Köln im Jahr Eins nach dem Wiederaufstieg setzten sie ihren ersten Paukenschlag. Das Intro „Ehre, Stolz und Tradition“ war etwas vollkommen Neues für Aachen und wurde dementsprechend bestaunt und beklatscht.
Weitere Aktionen folgten, oft überschwänglich gelobt, manchmal heftig kritisiert. Dies besonders dann, wenn der Rauch wieder einmal zu dick und die Leuchtkörper zu heiß waren. Solche Aktivitäten und ein gerne zur Schau getragenes nassforsches Auftreten brachte den bedingungslos treuen Alemannia-Anhängern bei vielen Zuschauern den Ruf von Fußballrowdys ein. Zu Unrecht zwar, doch die Unkenntnis über den tatsächlichen Unterschied zwischen Hooligans und Ultras ist bis heute weit verbreitet.
Scheitern und lernen
Allerdings waren es nicht derlei Missverständnisse, die im Jahr 2001 zur Auflösung des Inferno Bad Aachen führten. Das Problem war vielmehr hausgemacht. Einige Ultras sahen sich als Elite der Fanszene. Sie zelebrierten ihre Coolness und grenzten sich bewusst ab. Schließlich war man sich schon bei der IBA-Gründung darüber einig gewesen, die Gruppe klein halten zu wollen. Neue Mitglieder sollten, wenn überhaupt, nur sehr eingeschränkt aufgenommen werden. Die erste Aachener Ultra-Gruppierung war Opfer ihrer naiven Selbstüberschätzung geworden.
Doch Thomas Quadflieg, Alexander Küsters und Christoph Esser haben aus ihren Erfahrungen gelernt. Die drei sind die Motoren der Aktiven Alemannia-Fans (AAF). Die haben sich vor zwei Jahren aus dem IBA-Nachlass gegründet, fernab von jeder dünkelhaften Ultraromantik. Die Aktiven, wie sie im Umfeld genannt werden, stehen jedem offen. Der Mitgliederbeitrag ist mit nur einem Euro pro Monat eher symbolisch.
Die Organisation ist straff und effizient. Nicht mehr die Gruppe, sondern der Verein steht jetzt im Mittelpunkt des Handelns. Und das besteht in der Hauptsache aus einem konsequenten Support der Tivoli-Kicker durch auffallende Choreografien. Der Erfolg gibt den Initiatoren Recht. Die Aktiven Alemannia-Fans sind inzwischen auf stolze 110 Mitstreiter angewachsen. Damit sind sie eine der größten Fangruppierungen ihrer Art in Deutschland.
Zwischen Kreativität und Organisation
Foto: Carl Brunn
Die große Zahl der Mitglieder kommt den AAF bei der Umsetzung der größtenteils sehr aufwändigen Aktionen zugute. Denn hier sind sowohl Kreativität, als auch handwerkliches Geschick gefragt. Die Planung beginnt bereits viele Tage vor dem Spieltag mit der Ideensammlung, an der sich jedes Mitglied beteiligen kann. Die Umsetzung nimmt dann zumeist mehrere Tage in Anspruch. Am Spieltag ist es dann vorbei mit aller Spontanität. Der Einsatz wird minutiös geplant, die entsprechenden Aufgaben werden eindeutig verteilt.
Das hohe Maß an Kreativität, das hinter den Choreografien steckt, hat seinen Preis. Da kommen schon einmal 350 Euro für einen Auftritt zusammen. Vor diesem Hintergrund haben sich einige der Aktiven zu wahren Einkaufsexperten gemausert. So werden die riesigen Planen für Blockfahnen und Hochziehbanner beim Bauernverband bestellt. Für die Farben, Seile oder Tapetenrollen durchstreifen die Organisatoren die Baumärkte der Region.
Dennoch reichen die niedrigen Mitgliedsbeiträge nicht zur Finanzierung der AAF-Aktivitäten aus. Deshalb haben die Hardcorefans eine kleine Auswahl an Merchandising-Artikeln zusammengestellt: Schals, Pins und Kalender stehen auf der Liste. Zudem gehen die Aktiven ab und an mit der Spendenbüchse herum.
Echte Fründe
Die Originalität der Aktionen sucht ihresgleichen. Unvergessen und schon beinahe eine Legende ist der Auftritt beim Pokalknüller gegen den 1. FC Köln in der Saison 2001/02. Das Bild der liebevollen Begenung zwischen Kölner Geißbock und Gladbacher Schalträger war eine Glanzleistung. Kaum einer im Stadion, der die zusammenstehenden „echten Fründe“ nicht mit einem breiten Grinsen quittierte.
Um den Burgfrieden zu wahren, sah sich Manager Jörg Schmadtke jedoch gezwungen, den fidelen Öcher Jonges eine Moralpredigt zu halten. Obwohl sich hartnäckig das Gerücht hält, dass auch der ebvenfalls mit reichlich trockenem Humor gesegnete Sportdirektor ein flüchtiges Grinsen nicht unterdrücken konnte. Dessen ungeachtet besteht der oberste Vereinsangestellte seitdem auf einer vorherigen Freigabe jeder Aktion im Stadion.
Damit haben die Aktiven kein Problem. Zumal sie amsonsten von den Vereinsoffiziellen der Alemannia weitreichende organisatorische Unterstützung erfahren. Um die Projekte realisieren zu können, erhalten die Beteiligten bereits eine Stunde vor Öffnung der Stadiontore Zutritt zum S‑Block. Auf dem Vorplatz dürfen sie ihren eigenen Stand aufbauen. Und von der Vereinsführung weiß man, dass sie die Aktivitäten der AAF mit viel Wohlwollen und Sympathie beobachtet.
Foto: Zeitungsverlag Aachen
Stadionsprecher Robert Moonen lässt kaum ein Spiel vergehen, um sich bei den Jungs für die tatkräftige Unterstützung zu bedanken. Trotz allem bleiben die AAF-Mitglieder bescheiden und achten penibel auf ihre Unabhängigkeit. Niemals würden sie um finanziellen Beistand durch die Alemannia bitten. Vielmehr betrachten sie ihr Tun als Geschenk an das Team und als Würdigung der Vereinsleistungen.
Charme als Gegenpol
Diese Zurückhaltung und der für jedermann zu spürende Enthusiasmus kommen auch bei Leuten an, die den Fanaktivitäten ansonsten eher reserviert begegnen. So zeigen sich bei den gelegentlichen Spendensammlungen die Besucher der Haupttribüne besonders spendabel.
Und als diese einmal beim Heimspiel gegen Mönchengladbach selbst gefordert waren und zur Feier eines vollen Jahrhunderts Alemannia mit unzähligen Papiertafeln den Schriftzug „TSV 100“ formen sollten, machten die hier und da etwas spröde wirkenden Sitzbänkler die Aktion zu einem großen Erfolg. Zum denkwürdigen Auswärtsspiel in Müngersdorf wiederum stellte Alemannias Hauptsponsor „AM“ Tausende schwarzer und gelber Luftballons für eine Choreografie zur Verfügung.
Solche Geschenke werden gerne angenommen. Doch die AAF wollen mit dem Charme des Handgestrickten einen Gegenpol zur zunehmenden Kommerzialisierung auf den Rängen bilden. Sie wollen einen spektakulären, von Herzen kommenden Support leisten. Abseits jeglicher „Go“-Tüten und Sponsorenkäppis. Aber auch ohne biederes Vereinsmeiertum und hilflose Versuche, Vereinspolitik zu betreiben. Damit halten sie die Zukunft der Öcher Fankultur in den Händen. Es bleibt allen zu wünschen, dass sie etwas daraus machen.