Hipp­hipp­hur­ra ist bald woanders

Ein letzter Besuch in Eilendorfs Saaltheater Geulen, jahrzehntelang Austragungsort aller Alemannia JHVs.
Foto: Carl Brunn

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Alle Jah­re wie­der rief die Alemannia ihre Mit­glie­der zur Ver­samm­lung ins beschau­li­che Eilen­dorf. Über vier Jahr­zehn­te lang wur­de hier bei Bier und Bock­wurst Ver­eins­ge­schich­te geschrie­ben. Tra­gi­ko­mi­sche Epi­so­den inklu­si­ve. In Zukunft muss dies an ande­rer Stel­le gesche­hen. Das Saal­thea­ter Geu­len wird abge­ris­sen. Ein letz­ter Besuch.

Der hoch­ro­te Kopf lässt erah­nen, dass die Bit­te um eine kur­ze Vor­stel­lung sei­ner Per­son den desi­gnier­ten Ale­man­nia­prä­si­den­ten erzürnt hat. Lang­sam lehnt er sich im Stuhl nach vor­ne. Sei­ne leger gemein­te Ant­wort knallt wie eine Ohr­fei­ge in das Mikro­fon: „Wer mich nicht kennt, hat die Zeit ver­pennt.“ Ende der Durch­sa­ge. Ein Rau­nen geht durch den Saal. Ver­dutzt schau­en sich die Anwe­sen­den an.

Weni­ge Minu­ten spä­ter heben die meis­ten von ihnen den­noch den Arm und Hans Bay somit ins Amt. Es bedarf eben mehr als mas­si­ver Selbst­über­schät­zung und Dampf­ham­mer­r­he­to­rik, um eine Wahl ohne Gegen­kan­di­dat zu ver­lie­ren. Mit inzwi­schen wie­der nor­ma­ler Gesichts­far­be lässt sich der neue stärks­te Mann im Ver­ein fei­ern. Jubel. Tru­bel. Hei­ter­keit. Sze­nen einer Jahres­haupt­versammlung im Herbst 1999.

In die Jah­re gekommen

Gut sie­ben Jah­re spä­ter liegt der Ort die­ses Gesche­hens fried­lich im Halb­dun­kel. Vor der lee­ren Büh­ne ste­hen rosa gedeck­te Tische in Reih und Glied. Zwi­schen Gir­lan­den und Luft­schlan­gen bau­meln Bal­lons in Trau­ben von der Decke. Es wirkt wie die Ruhe vor dem letz­ten Sturm. Noch ein paar Kar­ne­vals­sit­zun­gen, noch eine Hand­voll Kon­zer­te, dann wütet die Abriss­bir­ne durch das his­to­ri­sche Gebäu­de, um Platz für Wohn­be­bau­ung zu schaffen.

Foto: Carl Brunn

Bis auf die denk­mal­ge­schütz­te Fas­sa­de soll alles dem Erd­bo­den gleich gemacht wer­den. Auch die an die Ver­an­stal­tungs­räu­me ange­schlos­se­ne Wirt­schaft, in der jede Ale­man­nia­ver­samm­lung ihren gemüt­li­chen Aus­klang fand. Wie über­all im Saal­bau ist auch hier Nost­al­gie Trumpf. In die Jah­re gekom­me­ne Pla­ka­te und Bilder zie­ren die Wän­de. Jeder Ein­rich­tungs­ge­gen­stand könn­te Geschich­ten erzäh­len. Den größ­ten Anek­do­ten­schatz bie­tet aller­dings der Besit­zer des Gan­zen selbst, der bei einer Tas­se Kaf­fee an einem der Tische sitzt.

Obwohl kurz vor sei­nem fünf­und­sieb­zigs­ten Geburts­tag ste­hend, ist Hubert Geu­len mit sei­nen wachen Augen und dem freund­li­chen Lächeln das jugend­lichs­te Ele­ment im Raum. Allen­falls der sil­ber­ne Haar­kranz um sei­nen Kopf lässt Rück­schlüs­se auf sein Alter zu. Schon früh am Vor­mit­tag ist er mit Anzug und Kra­wat­te akku­rat geklei­det. Es passt zu sei­nem Erschei­nungs­bild, dass der gelern­te Kauf­mann preu­ßi­sche Tugen­den wie Pünkt­lich­keit und Ver­läss­lich­keit als sein Erfolgs­re­zept nennt.

Hubert Geu­len
Foto: Carl Brunn

Die Alemannia kennt er nur als all­jähr­li­chen Gast. Für das sport­li­che Gesche­hen an der Kre­fel­der Stra­ße inter­es­siert sich der Gas­tro­nom nicht son­der­lich. Dazu bleibt auch gar kei­ne Zeit. Schließ­lich lau­fen seit fast fünf­ein­halb Jahr­zehn­ten alle Fäden des Fami­li­en­be­trie­bes bei ihm zusam­men. Das Saal­thea­ter ist ein Full­time­job. Und sein Lebenswerk.

Aus­ver­kauf­te Artenvielfalt

Nach abge­schlos­se­ner Aus­bil­dung hat­te der gebür­ti­ge Eilen­dor­fer ers­te Erfah­run­gen in der Geschäfts­füh­rung des Köl­ner Kai­ser­hof-Varie­tés gesam­melt. Er blieb nicht lan­ge am Rhein. Der Visi­on eines eige­nen Ver­an­stal­tungs­or­tes fol­gend mach­te sich der nicht ein­mal 20-Jäh­ri­ge an der hei­mat­li­chen Von-Coels-Stra­ße selbständig.

Zur Pre­mie­re am 16. Mai 1952 konn­te er prompt vol­les Haus ver­mel­den. Alle woll­ten die „10 Kano­nen vom Funk“ sehen. Für 1,50 DM pro Per­son. Das Aus­ver­kauft-Schild hat seit­dem unzäh­li­ge Male an der Tür gehan­gen. Charles Azna­vour, Peter Alex­an­der, Cate­ri­na Valen­te. Jeder mit Rang und Namen in der Show-Bran­che hat über die Jah­re sei­ne Visi­ten­kar­te im Saal­thea­ter Geu­len abge­ge­ben. Bei der Zusam­men­stel­lung des Pro­gramms hat sich Hubert Geu­len nie auf bestimm­te Musik­rich­tun­gen festgelegt.

Gerahm­te Erin­ne­run­gen
Foto: Carl Brunn

Charles Azna­vour, Peter Alex­an­der, Cate­ri­na Valen­te, Mireil­le Mathieu, Roland Kai­ser. Jeder mit Rang und Namen in der Show-Bran­che hat über die Jah­re sei­ne Visi­ten­kar­te im Saal­thea­ter Geu­len abge­ge­ben. Bei der Zusam­men­stel­lung des Pro­gramms hat sich Hubert Geu­len nie auf bestimm­te Musik­rich­tun­gen fest­ge­legt. Jazz- und Klas­sik­freun­de konn­ten in sei­nen Hal­len genau­so auf ihre Kos­ten kom­men wie Anhän­ger von Volks- oder Schlagermusik.

„Am einen Tag die Höh­ner, am nächs­ten ich und danach Howard Car­penda­le. Das fin­det man sonst sel­ten in Deutsch­land“, brach­te Hel­ge Schnei­der die musi­ka­li­sche Arten­viel­falt ein­mal auf den Punkt. Allen Künst­lern bot ihr Gast­ge­ber abso­lu­te Pro­fes­sio­na­li­tät in fami­liä­rer Atmo­sphä­re. Mit einem ver­bin­det ihn noch heu­te mehr als eine respekt­vol­le Geschäfts­be­zie­hung. Udo Jür­gens ist im Ver­lauf vie­ler gemein­sa­mer Ver­an­stal­tun­gen zu einem guten Freund gewor­den. Sage und schrei­be 42 mal hat „der Udo“ in „Huberts Wohn­zim­mer“ am Flü­gel geses­sen. Nach den Auf­trit­ten nahm er bis­wei­len sogar die Geu­len­sche Wasch­ma­schi­ne in Anspruch. Weich­spü­ler für das har­te Showgeschäft.

Auf der Zielgeraden

Hubert Geu­len könn­te mit sol­chen Erin­ne­run­gen gan­ze Bücher fül­len. Poin­tiert weiß er sie zu erzäh­len, gibt Anek­do­te auf Anek­do­te zum Bes­ten. Ein­mal ange­wor­fen, macht jedes Augen­zwin­kern, jedes ver­schmitz­te Grin­sen deut­lich, dass unter der preu­ßi­schen Scha­le ein wasch­ech­ter Rhein­län­der steckt. Mitt­ler­wei­le ist der Kaf­fee vor ihm fast unbe­rührt erkaltet.

Unter­bro­chen wer­den die ges­ten­rei­chen Aus­füh­run­gen nur durch das von Zeit zu Zeit klin­geln­de Tele­fon. Kar­ten­be­stel­lun­gen, Ter­min­ab­spra­chen, Buchungs­be­stä­ti­gun­gen. Auch auf der Ziel­ge­ra­den gibt es noch eini­ges zu koor­di­nie­ren. Schließ­lich ist die fünf­te Jah­res­zeit in vol­lem Gan­ge. Die letz­te Ses­si­on im Saal­bau soll genau so aus­gie­big gefei­ert wer­den wie all die ande­ren zuvor. Am 28. Febru­ar fällt der letz­te Vor­hang. Eine Inves­to­ren­grup­pe über­nimmt dann das gesam­te Areal.

Als sein Noch­be­sit­zer vor etwa fünf Jah­ren erst­mals mit dem Gedan­ken ans Kür­zer­tre­ten spiel­te, war von Abriss noch kei­ne Rede gewe­sen. Schwe­ren Her­zens hat er sich für die­sen radi­ka­len Schluss­strich unter sein Schaf­fen ent­schie­den. Ger­ne hät­te er das Thea­ter zum Wei­ter­be­trieb in gute Hän­de gege­ben. Fami­li­en­in­tern fand sich jedoch kein Inter­es­sent. Sohn Jörg und Toch­ter Elke wink­ten früh­zei­tig ab.

Mit­glie­der-Defi­lee im Saal­bau
Foto: Carl Brunn

Ihr Vater mach­te sich auf die Suche nach einem Nach­fol­ger von außen. Am Ende erfolg­los. Kei­ner der Bewer­ber konn­te über­zeu­gen. Als letz­te Alter­na­ti­ve blieb das Kauf­ge­bot der Real Estate GmbH & Co KG. Anfang Novem­ber ver­gan­ge­nen Jah­res ging Hubert Geu­len nach reif­li­cher Über­le­gung mit sei­nem Ent­schluss zum Ver­kauf an Pres­se und Öffentlichkeit.

Zwi­schen Ein­ni­cken und Abnicken

Seit­her hat er vie­le Rück­mel­dun­gen erhal­ten. Ver­ständ­nis und Bedau­ern glei­cher­ma­ßen. Bei­des emp­fand auch Leo Füh­ren, als er aus der Zei­tung von den Plä­nen um das Saal­thea­ter erfuhr. Ähn­lich oft wie Udo Jür­gens hat Alemannias Ehren­prä­si­dent hier am Mikro­fon gestan­den. Ohne Zuga­be im Bade­man­tel, aber mit enthu­si­as­ti­scher Rede und Hipp­hipp­hur­ra. Manch­mal war er das ein­zi­ge High­light zwi­schen Jah­res­be­richt der Abtei­lun­gen und Sat­zungs­än­de­rung, zwi­schen Ein­ni­cken und Abni­cken. Vie­len Prä­si­di­en hat er auf der Büh­ne zu ihrer Wahl gra­tu­liert, genau so vie­le wie­der aus dem Amt schei­den sehen. Auch den schreck­lichs­ten Moment der schwarz-gel­ben Ver­samm­lungs­ge­schich­te hat er aus nächs­ter Nähe miterlebt.

Ohne­hin chro­nisch klamm war die Alemannia 1989 noch tie­fer in die roten Zah­len gerutscht. Die Oppo­si­ti­on hat­te in Geschäfts­führer Bert Schütt den Haupt­schul­di­gen für die­se Mise­re aus­ge­macht. Ein Wort gab das ande­re. Es kam zu tumult­ar­ti­gen Sze­nen, als der hef­tig Ange­grif­fe­ne plötz­lich in sei­nem Stuhl zusam­men­sack­te. Ers­te Hil­fe Ver­su­che schei­ter­ten. Auch der her­bei­ei­len­de Not­arzt konn­te das trau­ri­ge Schick­sal nicht mehr abwen­den. Bert Schütt erlag noch im Saal einer Herz­at­ta­cke. Auf der Stel­le wur­de die Ver­samm­lung abgebrochen.

Fas­sungs­los und geschockt: die Minu­ten nach Bert Schütts Zusam­men­bruch
Foto: Zei­tungs­ver­lag Aachen

Allen Dritt­li­ga­que­re­len und dro­hen­den Insol­ven­zen zum Trotz, blie­ben die Sit­zun­gen der Alemannia seit­dem von Ähn­li­chem ver­schont. Die Eilen­dor­fer Jah­re der Schwarz-Gel­ben gin­gen ohne wei­te­re Nega­tiv­erleb­nis­se zu Ende. Für die Zukunft ist mit dem Euro­gress eine pas­sen­de Loka­li­tät gefun­den, die auch die Men­schen­mas­sen des auf­stiegs­be­ding­ten Mit­glie­der­booms fas­sen kann. Fami­liä­re Atmo­sphä­re wird man dort aber ver­geb­lich suchen.

Natür­lich hat auch Hubert Geu­len bereits Plä­ne für die Zeit nach dem Abriss gemacht. Glaub­haft ver­si­chert er, sich auf kei­nen Fall kom­plett aufs Alten­teil zurück­zie­hen zu wol­len. Solan­ge es die Gesund­heit zulässt, möch­te er der Show-Bran­che viel­mehr als Betrei­ber einer klei­nen, aber fei­nen Kon­zert­agen­tur erhal­ten blei­ben, um bekann­te Künst­ler in die Regi­on zu holen. Wenn „Freund Hubert“ ruft, ist auch Udo Jür­gens mit von der Par­tie. Wo die­ser dann nach dem Auf­tritt sei­ne Wäsche waschen wird, ist aller­dings noch unklar.

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Als wir die ersten Buchstaben tippten, um unsere fixe Idee eines Alemannia-Magazins in die Tat umzusetzen, spielte Henri Heeren noch in Schwarz-Gelb. Jupp Ivanovic machte drei Buden am Millerntor und trotzdem träumte niemand von Bundesliga oder Europapokal. Das ist lange her. In der Zwischenzeit waren wir mit dem TSV ganz oben. Wir sind mit ihm ziemlich unten. Aufgehört haben wir unterwegs irgendwie nie. Neue Ausgaben kamen mal in größeren, mal in kleineren Abständen. Und jetzt schreiben wir halt auch noch das Internet voll.

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