Klare Sache. Das Interesse an der U23 war bislang nicht besonders ausgeprägt. Sonntags nachmittags vor 300 Zuschauern: So sah der Alltag für den Unterbau der Profitruppe vom Tivoli aus. Doch es gibt Hoffnung, und ihr Name ist Oberliga Nordrhein. Attraktive Spiele stehen auf dem Programm.
Ist das Gastspiel von Schwarz-Weiß Essen noch eher etwas für den betagten Tivoli-Zwölfender mit Oberliga-West-Erfahrung, dürften die Nostalgieduelle gegen Zweitligaveteranen wie Union Solingen und Fortuna Köln den einen oder anderen Mittfreißiger in die Münzenberg-Kampfbahn locken. Schließlich sind die Kinder aus dem Gröbsten raus, ist die Frau längst durchgebrannt und finden sich in den Manteltaschen des alten Bundeswehr-Parkas mit Sicherheit noch ein paar Konfettireste. Es ist zwar nur eine Matinee und keine Flutlichschlacht, aber egal.
Die nächste und übernächste Fan-Generation freut sich hingegen eher auf ein Wiedersehen mit Stephan Lämmermann und Dirk Lehmann, die jetzt das Dress der einzig wahren Borussia aus Freialdenhoven tragen. Für jeden ist also etwas dabei. Manfred Werner, Amateurobmann von Alemannia Aachen und weit weniger spröde, als seine Amtsbezeichnung vermuten lässt, zeigt sich verhalten optimistisch: „Es wird bestimmt nicht mehr wie im letzten Jahr vorkommen, dass wir Spiele austragen, ohne dass ein Pressevertreter anwesend ist. Seinerzeit mussten wir dann Ergebnis und Kurzbericht telefonisch durchgeben.“
Rasante Aufholjagd
Manfred Werner und der drahtige Amateurtrainer Stefan Emmerling wirken entspannt. Gemeinsam lassen sie die vergangene Saison noch einmal an sich vorüberziehen: die holprige Hinrunde, in der die völlig neu formierte Mannschaft erst einmal ihren Rhythmus finden musste. Als es mühsam erkämpfte Siege zu feiern und späte Gegentore zu befluchen gab, die den Spitzenreiter FC Junkersdorf schnell enteilen ließen.
Eigentlich lief es erst so richtig rund, nachdem die kleinen Alemannen das Spitzenspiel gegen eben diese Junkersdorfer im März verloren hatte. Lediglich die kühnsten Optimisten dachten da noch an die Meisterschaft. „Neun Punkte Rückstand machen es einem natürlich schwer, an eine solche Aufholjagd zu glauben“, räumt Emmerling ein. Doch als es nur noch darum ging, den zweiten Platz zu festigen, lief es plötzlich wie am Schnürchen.
In Wesseling und Hennef feierten die Aachener muntere Kantersiege, in Brühl mit 14:1 gar ein Schützenfest. „In dieser Zeit habe ich den Präsidenten von Junkersdorf zufällig am Flughafen getroffen. Und als er mir sagte ‚Ihr habt aber einen Lauf‘, da war mir klar, dass die auf uns schauen, dass sie unsicher werden. Da wuchs der Glaube wieder.“
Dieser Glaube beflügelte das Team zu acht Siegen in Folge. Mit einem Sieg gegen den FSV Geilenkirchen-Hünshoven am letzten Spieltag konnte bei einem gleichzeitigen Patzer der Junkersdorfer beim FV Bad Honnef tatsächlich noch der direkte Aufstieg gelingen. Doch in der Dramaturgie dieses letzten Spieltages schien ein solches Szenario zunächst nicht vorgesehen. „Wir gerieten unglücklich in Rückstand, konnten aber vor der Halbzeitpause noch ausgleichen. Über den Zwischenstand in Bad Honnef waren wir jederzeit informiert, wussten also, dass es dort zur Pause noch 0:0 stand. Da galt es einfach, weiter anzugreifen. Nun, es hat gereicht. Und ausgerechnet Balaban hat das Tor gemacht.“ Stefan Emmerling lächelt verschmitzt. Ausgerechnet Balaban, den er in der Pause eigentlich hatte auswechseln wollen, weil er bereits mit Gelb vorbelastet war.
„Ich habe ihn dann aber wegen seiner Torgefährlichkeit doch draufgelassen.“ Eine gute Entscheidung. Mit seinem Killertor zwei Minuten vor Schluss schoss der Held des Tages Aachens U23 in die Oberliga. In Bad Honnef war es beim torlosen Unentschieden geblieben.
Offensive Grundausrichtung
Nach dem Abstieg aus der Oberliga im Frühjahr 2003 war die Rückkehr zwar das große Ziel, aber nicht zwingend zu erwarten gewesen. „Es waren nur noch fünf Spieler aus dem alten Stamm geblieben“, erzählt Manfred Werner. „Die damalige Oberligamannschaft war ein zusammengeschustertes Team mit Leihgaben aus dem Profikader.“ Zu Beginn der Spielzeit galt es daher 15 neue Spieler zu integrieren. Eine Aufgabe, die Geduld erforderte, zumal die letzten Neuzugänge erst drei Wochen nach Trainingsbeginn in die Saisonvorbereitung einstiegen.
Stefan Emmerling, der die Mannschaft in der Rolle des Feuerwehrmannes viel zu spät in die Hand bekam und den Abstieg nicht mehr hatte verhindern können, tüftelte lange an einem neuen Mannschaftsgefüge. Es wurde getestet, es wurde probiert. Bis endlich die runderneuerte U23 beim Turnier in Breinig im August 2003 erstmals ihr Potenzial andeutete. Freialdenhoven, der klassenhöhere Oberligist wurde 4:1 vom Platz gefegt. Nur ein Freundschaftsspiel zwar, aber in der Retrospektive des Trainers ein absoluter Meilenstein auf dem Weg zum Titelgewinn: „Das war in meinen Augen das entscheidende Spiel für die gesamte Saison.“
An der offensiven Grundausrichtung soll auch in der Oberliga festgehalten werden. „Es wird keine große Veränderung im System geben. Die Mannschaft würde es mir nicht abnehmen, wenn ich sagen würde, dass wir jetzt auf Sicherheit spielen. Druck machen, nach vorne spielen, das sind unsere Stärken.“ Doch Vorsicht ist angebracht. Immerhin sind die Gegner in dieser Spielklasse mit zahlreichen Ex-Profis bestückt. Ein Weg, den Aachen nicht beschreiten wird. Umjubelte Altstars wie Stephan Lämmermann wären zwar nach dem Geschmack der Fans, in einer U23 aber fehl am Platz.
Der ehemalige Duisburger Emmerling, der Talente an die erste Mannschaft heranführen soll, verfolgt andere Konzepte. „Zunächst ist es wichtig, den Stamm gehalten zu haben. Bei den Neuzugängen haben wir uns vor allem im Aachener Raum umgesehen. Einzige Ausnahme ist hierbei Jan Wulff, der von den Amateuren des KSC kommt. Alles in allem setzen wir auf junge Spieler und den Glauben an ihre Weiterentwicklung.“
Bei der Zielsetzung realistisch bleiben
„Aachener Raum“ klingt erst einmal gut. Nur ungern erinnert man sich an die Zeiten, in denen die Talente der Region im großen Bogen um Alemannia herum direkt nach Köln oder Gladbach abwanderten. Vor allem auch, so das ärgerliche Gerücht, weil das Verhältnis der Schwarz-Gelben zu den anderen Vereinen der Stadt belastet war.
„Doch Alemannia“, glaubt Stefan Emmerling, „hat wieder einen guten Namen im Profifußball.“ Durch die Erfolge der Profis und die solide Arbeit des Präsidiums werde auch die Amateurmannschaft als gute Adresse für junge Spieler aufgewertet. Bleibt die Frage, ob die Truppe auch ohne Dauerleihgaben aus dem Profikader in der Oberliga wird bestehen können.
„Vielleicht können wir dem einen oder anderen einen Schubser in den Profifußball geben.“
U23-Coach Emmerling misst die Ziele des Alemannia-Unterbaus nicht nur an Tabllenständen
Als Favoriten sind Velbert und die Amateurteams aus Leverkusen und Mönchengladbach ausgemacht. Doch auch Vereine wie Kleve, Bocholt oder Schwarz-Weiß Essen könnten im Kampf um die vordersten Plätze ein ernstes Wörtchen mitreden. Und die Alemannen? Sie geben sich bescheiden bei der Definition ihres Saisonzieles. „Wir würden gerne oben mitspielen“, so der Trainer, „denken aber realistisch und wollen so früh wie möglich nichts mit dem Abstieg zu tun haben. Eine Weiterentwicklung unserer Spieler und somit der Mannschaft ist ein weiteres Ziel. Vielleicht können wir dem einen oder anderen einen Schubser in den Profifußball geben.“
Manfred Werner ergänzt: „Wir haben einen sehr jungen Kader mit einem Durchschnittsalter von 21,1 Jahren. Ben Manga ist mit 30 der Älteste. Da muss das Augenmerk natürlich auch auf eben dieser Entwicklung liegen.“ Gemessen an der Zahl der Talente, die sich im Profifußball etabliert haben, fällt die Erfolgsbilanz der letzten Jahre allerdings ernüchternd aus. Seit geraumer Zeit hat kein Amateur mehr den Sprung in die Erste geschafft.
Auch Edwin Bediako nicht. Immer für einen kapitalen Bock gut, hat er die durch den Ausfall von Quido Lanzaat gerissene Lücke im Abwehrbereich nie wirklich schließen können. Folgerichtig wurde er wieder zu den Amateuren versetzt. Rückkehr eher unwahrscheinlich. Von den anderen erhielt nur Fabian Ewertz eine Chance. Allerdings wusste auch er nicht überzeugen und steht derzeit auch in Osnabrück in der Kritik. Ein qualitatives Problem also? Oder waren Berger und Engel zu vorsichtig? „Das war eben Verbandsliga“, resümiert Manfred Werner, „da wird man noch eher belächelt. Für die Jungs war es schade, auch in Testspielen nicht reingeworfen worden zu sein.“
Kooperation mit den Profis
Um das Abenteuer Oberliga zu bestehen, wurde das Team vor allem in der Breite verstärkt. Schwarz-gelbe Roonies oder Podolskis sind also vorerst nicht zu erwarten, wenngleich Stefan Emmerling überraschende Leistungsschübe nicht ausschließen will. So wie bei Tom Moosmayer im letzten Jahr. Doch auch für ihn gilt: Ohne Weiterentwicklung kein Karrieresprung. Denn der auf 23 Spieler angewachsene Profikader macht die Grenze zwischen Amateur- und Profibereich nicht unbedingt durchlässiger.
„Dieter Hecking und ich, wir kennen und schätzen uns. Unsere Auffassungen von Fußball scheinen nicht weit auseinander zu liegen.“
Stefan Emmerling sieht die Voraussetzungen für eine fruchtbare Zusammenarbeit gegeben
Welche Spieler nach seiner Ansicht die größten Chancen zum Sprung nach oben haben, lässt sich ihr Coach nicht entlocken, zumal in dieser Hinsicht ohnehin Dieter Hecking und Dirk Bremser das letzte Wort haben werden. „Grundsätzlich ist bei den beiden Interesse da, junge Spieler heranschnuppern zu lassen“, berichtet Emmerling. „Wir haben uns darauf geeinigt, erst ein paar Spiele ins Land gehen zu lassen und uns dann noch einmal zusammenzusetzen. Dieter Hecking und ich, wir kennen und schätzen uns, haben uns sowohl als Spieler, als auch als Trainer schon gegenübergestanden. Unsere Auffassungen von Fußball scheinen nicht weit auseinander zu liegen.“
Es ist Trainingszeit. Die Jungs klackern bereits Richtung Trainingsplatz, wo in der Abendsonne Kondition gebolzt wird. „Tag, Herr Werner.“ „Hallo, Herr Werner.“ Kreuzbrav defilieren sie vorbei und geben ihrem Obmann die Hand. Einer nach dem anderen. Sieht so die verwöhnte Jugend aus, von der im Zusammenhang mit der Misere des deutschen Fußballs immer die Rede ist?
Fotos: Carl Brunn
Für Manfred Werner, der sich ein differenzierteres Bild gemacht hat, ist das ein Klischee, das der Realität nur bedingt standhält. „Auf der einen Seite wird es den Spielern zu leicht gemacht, vieles wird ihnen nachgetragen. Das muss man den Vereinen und nicht ihnen vorwerfen. Auf der anderen Seite geht heute alles viel zu schnell. Sie werden in einem Moment hochgepusht, im nächsten zusammengeschissen. Ich bin mir sicher, dass überall weitere Podolskis schlummern. Sie müssen einfach nur das Glück haben, einen Trainer zu finden, der bereit ist, sie reinzuwerfen. Dass das dann kurzfristig die Heilsbringer sein werden, ist natürlich utopisch.“
Kommunikation erwünscht
Manfred Werner, seit 1991 im Verein, ist voll in die sportliche Planungen des Amateurteams eingebunden und weiß, wovon er spricht. Zusammen mit Stefan Emmerling und Co-Trainer Frank Stolz beobachtet er potentielle Neuzugänge und stellt die Kontakte zu diesen Spielern her. Er ist bei jedem Spiel dabei und vor allem auch Ansprechpartner für die außersportlichen Dinge. Der Respekt, den die Spieler ihm entgegenbringen, gilt vor allem dem Faktotum, das sich um alles kümmert, weniger dem einflussreichen Vereinsfunktionär.
Viele Trainer, Manager, Spieler und Präsidenten hat er kommen und gehen gesehen. Er weiß, wo der Schuh drückt im Verein. Und vor allem wünscht er sich wesentlich mehr Kommunikation zwischen den einzelnen Abteilungen. „Gerade in der Anfangsphase einer Saison halte ich es für wichtig, sich mit Profi‑, Amateur- und Jugendabteilung zusammenzusetzen und etwas Übergreifendes zu schaffen. Ein solches Gespräch einmal pro Monat wäre zu diesem Zweck schon sehr hilfreich, denn die Handlungen des einen Bereichs haben ja auch unmittelbar Wirkung auf die anderen.“
„Im Idealfall sollten junge Spieler schon in der C‑Jugend zur Alemannia stoßen und dann sukzessive hochgezogen werden.“
Amateur-Obmann Manfred Werner sähe gerne ein einheitliches Konzept etabliert
Das bei den Amateuren bereits praktizierte Konzept, auf Spieler aus dem Raum Aachen zu setzen, sähe er gerne auch im Jugendbereich umgesetzt. „Ich bin natürlich nicht blauäugig und sehe ein, dass man sich über den Aachener Raum hinaus bewegen muss, um passende Spieler für die A‑Jugend-Bundesliga zu finden. Aber ich denke, da muss ein Mittelweg gefunden werden. Ohnehin wäre es sehr begrüßenswert, ein einheitliches Konzept zu finden. Im Idealfall sollten junge Spieler schon in der C‑Jugend zur Alemannia stoßen und dann sukzessive hochgezogen werden.“
Es ist spät geworden. Auf dem Nebenplatz vom Tivoli holen sich die Nachwuchs-Alemannen mit Sprintübungen die Spritzigkeit für die neue Saison. Beim Aufbruch lässt Manfred Werner es sich nicht nehmen, einmal zum Besuch der Heimspiele der U23 aufzufordern. Mehr Zuschauer für seine Jungs erhofft er sich besonders von der Renaissance einer alten Idee.
„Vor einigen Jahren haben wir das so gehandhabt, dass Dauerkartenbesitzer umsonst oder zumindest ermäßigt unsere Spiele schauen durften. Eine Wiedereinführung dieses Systems hielte ich für sinnvoll.“ Dafür hat er sich sogar schon persönlich bei Alemannia-Geschäftsführer Bernd Maas eingesetzt.