Zwi­schen Trau­er und Aufbruch

Fünf Jahre ist es nun her, dass Trainer Werner Fuchs beim Waldlauf verstarb. Viel ist inzwischen passiert bei „seiner“ Alemannia. Sie hat sich im Profifußball etabliert. Wie aber ist es seiner Familie in dieser Zeit ergangen? Wir besuchten seine Frau Monika und trafen auf eine Person zwischen den Gefühlen.
Foto: Carl Brunn

7 Minuten Lesezeit

„Jetzt ist schon wie­der Früh­ling.“ Moni­ka Fuchs hat sich auf ihrem Stuhl zurück­ge­lehnt und schaut aus dem Fens­ter. Ihr Blick schweift hin­aus in den Gar­ten. Dort beginnt es zu grü­nen und zu blü­hen. „An Tagen wie die­sen muss­te ich immer auf­pas­sen, dass der Wer­ner im Gar­ten kei­nen Unsinn macht“, lächelt sie. „Für ihn war alles, was nicht Rasen ist, Unkraut.“

Acht­und­zwan­zig Ehe­jah­re haben vie­le Erin­ne­run­gen die­ser Art hin­ter­las­sen. Vor fünf­zehn Jah­ren sind die bei­den in das Haus am Ran­de der Soers, in unmit­tel­ba­rer Nähe zum Tivo­li gezo­gen. Auch fünf Jah­re nach sei­nem tra­gi­schen Tod ist Wer­ner Fuchs hier allgegenwärtig.

Der Besu­cher bemerkt zunächst das klei­ne Tisch­chen an der Ter­ras­sen­tür. Neben stän­dig fri­schen Blu­men ist es voll gestellt mit Fotos: der Ehe­mann im Urlaub. Der Alemannia-Coach auf dem Trai­nings­platz. Und wenn Moni­ka Fuchs zu erzäh­len beginnt, scheint der Mensch Wer­ner Fuchs nahe­zu phy­sisch präsent.

Die Alemannia war „sein“ Verein

Erin­ne­run­gen auf dem Tisch an der Ter­ras­sen­tür
Foto: Carl Brunn

Es war in Kai­sers­lau­tern und sie war Sechst­kläss­le­rin, als sie Wer­ner ken­nen­lern­te. „Es hat sofort gefunkt.“ Sie tra­fen sich eini­ge Male und aus der Teen­ager­lie­be wuchs tat­säch­lich eine dau­er­haf­te Bezie­hung. Eigent­lich eine typi­sche Geschich­te für ihren Wer­ner. „Wer­ner war nicht gera­de ein Roman­ti­ker. Er woll­te kein Lie­bes­kas­per sein, hat lie­ber die gro­ße Lam­pe als vie­le klei­ne Ker­zen angezündet.“

Das Ja-Wort gaben sich bei­de dann 1971. Sechs Jah­re spä­ter kam Sohn Mar­co zur Welt. Der Vater ver­dien­te sein Geld als Maschi­nen­schlos­ser und spiel­te mitt­ler­wei­le nur noch Fei­er­abend­fuß­ball. Die Mut­ter arbei­te­te als Rechts­an­walts­se­kre­tä­rin. Anfang der 80er Jah­re ent­schloss sich der fuß­ball­ver­rück­te Wer­ner, sein Hob­by zum Beruf zu machen. Er trat die Aus­bil­dung zum Fuß­ball­leh­rer an und erhielt 1984 sein Diplom. Und prompt flat­ter­te das ers­te Job­an­ge­bot ins Haus.

Sein Freund Rolf Grün­ther hat­te den Kon­takt zu Alemannia Aachen her­ge­stellt. Bei­de Sei­ten waren von­ein­an­der über­zeugt. Für Wer­ner Fuchs begann eine erfolg­rei­che Kar­rie­re, und die Fami­lie mach­te sich auf, eine neue Hei­mat zu ent­de­cken. Aller­dings folg­ten elf Umzü­ge, bis man sich end­gül­tig in der Kai­serstdt nie­der­ließ. Hier blieb man dann auch in den Zei­ten, in denen der Vater sei­nen Arbeits­platz bei­spiels­wei­se in Ber­lin oder Braun­schweig hat­te. Doch auch Wer­ner Fuchs kam zurück an den neu­en Fami­li­en­sitz und sei­ne ers­te Wir­kungs­stät­te. 1996 unter­schrieb er einen Ver­trag beim dama­li­gen Regio­nal­li­gis­ten Alemannia Aachen. „Alemannia, das war immer Wer­ners Ver­ein. Er hat jeder­zeit genau ver­folgt, wie es da lief. Auch aus der Fer­ne“, berich­tet Moni­ka Fuchs.

„Am Tivo­li ist nichts mehr von Werner.“

Auch ihr ist die Alemannia nicht gleich­gül­tig. Mit Freu­de hat sie den Auf­schwung der letz­ten Mona­te zur Kennt­nis genom­men. Beim The­ma Pokal­fi­na­le glän­zen ihre Augen. Sie spricht von Gän­se­haut, wenn sie über die Spie­le gegen Bay­ern und Mön­chen­glad­bach redet, die sie vor dem Fern­se­her ver­folgt hat. Bei Liga­spie­len ist sie meis­tens per Video­text dabei. Aller­dings belässt sie es bei die­sem Kon­takt auf Distanz. Im Sta­di­on war sie seit zwei­ein­halb Jah­ren nicht mehr. „Da ist nichts mehr von Wer­ner“, begrün­det sie einsilbig.

Den­noch besteht kein Zwei­fel: Moni­ka Fuchs ist in Aachen zu Hau­se. Dabei ist es für die 53-Jäh­ri­ge von gro­ßer Bedeu­tung, dass auch Sohn Mar­co hier sei­ne Wur­zeln geschla­gen hat. Der 27-Jäh­ri­ge steckt in der End­pha­se sei­nes Elek­tro­tech­nik­stu­di­ums. Sei­ne Nähe ist ihr wich­tig. Die bei­den füh­ren vie­le Gesprä­che und sind ein­an­der die stärks­te Stüt­ze bei der Bewäl­ti­gung des Erleb­ten. Denn das ist noch lan­ge nicht ganz geschafft. „Wer­ner war und ist mei­ne gro­ße Lie­be. Und Trau­er­ar­beit ist har­te Arbeit“, weiß Moni­ka Fuchs. Sie will sich dem auch nicht ver­schlie­ßen. Hier­zu spiel­te ihr „Leit­wolf“ eine zu gro­ße Rol­le in ihrem gemein­sa­men Leben.

„Tschüss, Schatz. Bis heu­te Mittag.“

An den Mor­gen des 11. Mai 1999 erin­nert sie sich denn auch gleich­zei­tig genau und ver­schwom­men. Ganz deut­lich klin­gen noch sei­ne Wor­te zum Abschied in ihrem Ohr: „Tschüss, Schatz. Bis heu­te Mit­tag.“ Er fuhr zum Trai­ning, sie in die Stadt. Dort berich­te­te ihr ein Freund der Fami­lie von einem Zwi­schen­fall beim Wald­lauf. Als sie nach Hau­se zurück­kehr­te, war­te dort bereits Bernd Krings. Die Nach­richt von den ver­geb­li­chen Ver­su­chen, das Leben des Trai­ners zu ret­ten, erreich­te den Alemannia-Funk­tio­när dann schließ­lich per Han­dy. Die Erin­ne­rung an die Stun­den danach ist für Moni­ka Fuchs nur noch bruch­stück­haft da. „Dau­ernd klin­gel­te das Tele­fon. Irgend­je­mand nahm dann ab. Mir war das alles zu viel.“

Ein­zig die Gefühls­käl­te und Pie­tät­lo­sig­keit eini­ger Mit­men­schen treibt ihr auch fünf Jah­re spä­ter noch die Ver­bit­te­rung ins Gesicht. „Über fünf­zehn Beer­di­gungs­in­sti­tu­te haben sich bei mir gemel­det und mehr als zwan­zig Stein­met­ze. Und dann waren da eini­ge Mak­ler, die gefragt haben, ob ich das Haus ver­kau­fen wol­le. Einer tauch­te sogar hier auf und mach­te Fotos. Da war Wer­ner noch nicht mal beerdigt.“

Die Voll­endung des Lebens­werks ihres Man­nes, den Auf­stieg sei­ner Alemannia in die zwei­te Liga und die damit ver­bun­de­nen Fei­er­lich­kei­ten, ver­folg­te sie von zu Hau­se aus. Die Kraft, in die Öffent­lich­keit zu gehen, brach­te sie nicht auf. Auch in die­sem Augen­blick erwies sich Fili­us Mar­co als der not­wen­di­ge Halt. „Es ist unglaub­lich, wie er sich nach dem Auf­stieg mit der Mann­schaft auf die Rat­haus­trep­pe gestellt hat“, erzählt sie vol­ler Stolz. „Das hat nie­mand von ihm ver­langt. Er hat es nur für sei­nen Vater getan.“ Und dann war es vor­bei. Für die Alemannia begann eine neue Zeit­rech­nung, die von ande­ren Leu­ten geprägt wurde.

Alemannia radiert Wer­ner Fuchs aus

Den­noch geschah die Abna­be­lung vom Ver­ein nicht unmit­tel­bar. Moni­ka Fuchs wur­de sogar Ange­stell­te der Schwarz-Gel­ben und arbei­te­te im neu ein­ge­rich­te­ten Fan­shop in Aachens Innen­stadt. Zu lan­ge war der Club ein wesent­li­cher Teil ihres Lebens gewe­sen, als dass sie einen sofor­ti­gen Schnitt machen woll­te. Fast gewinnt man den Ein­druck, dass sie auf die­se Wei­se die Nähe zu ihrem ver­stor­be­nen Mann fand. Moni­ka Fuchs besuch­te sogar die Zweit­li­ga­pre­mie­re der Kar­tof­fel­kä­fer gegen die Stutt­gar­ter Kickers. Trai­ner Eugen Hach nutz­te die Gele­gen­heit zu einer medi­en­ge­rech­ten Umarmung.

„Jetzt ist schon wie­der Früh­ling.“
Foto: Carl Brunn

Doch schon in die­sen Tagen beschlich sie die Ahnung, dass „die Leu­te, die an sei­nem Todes­tag bei mir im Wohn­zim­mer saßen, nichts mehr mit dem Namen Wer­ner Fuchs zu tun haben woll­ten.“ Zu bestä­ti­gen schien sich ihr Gefühl, als ein von einem Gön­ner gestif­te­tes Bild ihres Man­nes aus der Vitri­ne des Fan­shops ent­fernt wur­de. Auf die Fra­ge nach dem War­um erhielt sie die Ant­wort, dass man aus dem Fan­shop kei­ne Kult­stät­te machen wolle.

Eine ähn­li­che Begrün­dung muss­te her­hal­ten, als in einer Ver­eins­bro­schü­re auf dem Bild einer Wer­ner Fuchs gewid­me­ten Zaun­fah­ne der Name des Trai­ners her­aus­re­tu­schiert wur­de. Auch im Freun­des­kreis trenn­te sich schnell die Spreu vom Wei­zen. „Wer hat sich nicht alles ‚Freund’ von Wer­ner genannt. Nur weni­ge sind übrig geblie­ben. Aber bei denen weiß ich, was ich an ihnen habe. Ich habe mich in eini­gen Men­schen eben sehr getäuscht. Und Wer­ner sicher auch.“

Und dann sind da noch die Unge­reimt­hei­ten um die Fest­stel­lung der Todes­ur­sa­che. Bei der durch­ge­führ­ten Obduk­ti­on wur­de ein schwe­res Herz­lei­den attes­tiert. Doch unter die­sen Umstän­den hät­te die nur acht Wochen zuvor durch­ge­führ­te Menis­kus­ope­ra­ti­on nie­mals vor­ge­nom­men wer­den kön­nen. Die Berufs­ge­nos­sen­schaft ver­wei­ger­te dar­auf­hin jeg­li­che Zah­lun­gen. Als wei­te­re Begrün­dung schob sie hin­ter­her, dass ein Wald­lauf ohne­hin nicht zum täg­li­chen Betä­ti­gungs­feld eines Trai­ners gehöre.

„Es ist unheim­lich schwer, um einen Men­schen zu trau­ern, wenn man noch nicht ein­mal weiß, wor­an er gestor­ben ist.“

Moni­ka Fuchs ging in die Offen­si­ve, for­der­te Ein­sicht in Akte und OP-Pro­to­koll. Doch im Archiv des Kran­ken­hau­ses war plötz­lich nichts mehr auf­find­bar. „Es ist unheim­lich schwer, um einen Men­schen zu trau­ern, wenn man noch nicht ein­mal weiß, wor­an er gestor­ben ist.“ Sol­che Din­ge ver­är­gern Moni­ka Fuchs. Feh­len­de Mensch­lich­keit, der Ver­rat einer Freund­schaft und das Ver­ges­sen tref­fen sie. Plau­si­bel zu begrün­den­de Ent­schei­dun­gen akzep­tiert sie jedoch ohne Wenn und Aber.

So hat sie auch die Kün­di­gung ihrer Anstel­lung bei der Alemannia hin­ge­nom­men. Vor dem Hin­ter­grund der gro­ßen Finanz­pro­ble­me, in die der Ver­ein manö­vriert wor­den war, muss­te der Fan­shop geschlos­sen wer­den. „Das neue Prä­si­di­um hat zu Recht auf­ge­räumt. Die Alemannia ist auf dem bes­ten Weg zu einem ech­ten Wirt­schafts­un­ter­neh­men“, zeigt sie Ver­ständ­nis. Doch per­sön­li­che Kon­tak­te zum Ver­ein hält sie nicht mehr. „Den Läm­mi oder den Chris­ti­an Schmidt tref­fe ich ab und zu noch. Aber das ist auch schon alles.“

„Nie­mand kann sich vor­stel­len, wie sehr ich die­sen 11. Mai hasse.“

Es sind die Fans, die sie heu­te noch mit der Alemannia ver­bin­den. Oft wird sie auf der Stra­ße erkannt und ange­spro­chen. „Die meis­ten fra­gen mich, wie es mir geht. Das fin­de ich schön.“ Die Zaun­fah­ne, von der ein Minia­tur­ex­em­plar auf dem Tisch­chen an der Ter­ras­sen­tür steht, zeigt ihr, dass ihr Mann nicht ver­ges­sen wird. „Wer­ners Mut­ter freut sich immer wie­der, wenn sie die im Fern­se­her sieht.“ Und wenn Moni­ka Fuchs ein­mal pro Woche zum Fried­hof geht, fin­det sie oft klei­ne schwarz-gel­be Auf­merk­sam­kei­ten, die lei­der genau­so oft wie­der spur­los ver­schwin­den. „Ich möch­te, dass die Fans wis­sen, dass nicht ich es bin, die die­se Din­ge ent­fernt. Von mir aus darf da ger­ne etwas liegen.“

Eine Fra­ge der Zeit

Am Grab hält Moni­ka Fuchs stil­le Zwie­spra­che mit ihrem Mann. Dann erzählt sie ihm von den Erleb­nis­sen der ver­gan­ge­gen Woche. Das sind die Momen­te, in denen sie am wenigs­ten ver­steht, was pas­siert ist. In denen sich der Ver­lust noch tie­fer in ihre See­le frisst. Dann sind da noch die Geburts­ta­ge, Weih­nach­ten und Sil­ves­ter. An die­sen Tagen fällt sie in ein Loch. Den Todes­tag wür­de sie am liebs­ten kom­plett aus dem Kalen­der strei­chen. „Nie­mand kann sich vor­stel­len, wie sehr ich die­sen 11. Mai hasse.“

Trotz allem merkt man Moni­ka Fuchs an, dass sie kei­nes­falls den Ein­druck einer ent­mu­tig­ten Frau machen möch­te. Mit­leid sucht sie nicht. „Der Kum­mer hat an Inten­si­tät nach­ge­las­sen und ich hat­te acht­und­zwan­zig har­mo­ni­sche Jah­re mit einem wun­der­vol­len Mann. Die Dank­bar­keit dar­über lin­dert den Schmerz ein bisschen.“

Foto: Carl Brunn

Die Fami­lie ist ihr Hafen gewor­den. So zum Bei­spiel ihre bei­den Nich­ten: Die jun­gen Frau­en kom­men regel­mä­ßig aus Kai­sers­lau­tern zu Besuch, um ihre Tan­te zum Shop­pen nach Maas­tricht oder auch schon mal ins Star­fi­sh zu ent­füh­ren. Moni­ka Fuchs genießt die­se Art der Zer­streu­ung. Des­halb ist sie auch viel unter­wegs, fährt häu­fig zu Freun­den und Ver­wand­ten. Doch das reicht ihr nicht. Erst kürz­lich hat sie einen Com­pu­ter­kurs absol­viert und ihre EDV-Kennt­nis­se auf­ge­frischt. Ger­ne wür­de sie ins Berufs­le­ben zurück­keh­ren. „Ich brau­che ein­fach wie­der eine Bestä­ti­gung. Ich muss raus hier. Und wenn es nur für hal­be Tage ist.“

Bei der Fra­ge nach ihren Zukunfts­träu­men schweift ihr Blick aber­mals hin­aus in den Gar­ten. „Mei­ne Träu­me? Die sind noch in der Ver­gan­gen­heit. Man sagt, dass die Zeit alle Wun­den heilt.“ Und dann fügt sie lei­se hin­zu: „Ich habe die­se Zeit noch nicht gefunden.“

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