Kein schwarz-gelber Anhänger hat den Spieler Dannhöfer auf der Rechnung. Auf dem offiziellen Mannschaftsfoto ist er nicht zu finden. Auch nicht auf dem der zweiten Mannschaft. Auf den Notiblöcken der Journalisten steht er ebenfalls nicht. Holger Dannhöfer taucht an diesem Abend einfach auf. Aus dem Nichts. Und nach exakt 30 Spielminuten verschwindet er auch wieder dorthin, ohne jemals wieder gesehen zu werden. Wer ist der Mann? Die Spurensuche gestaltet sich als Fahndung nach einem Phantom.
Wer, wenn nicht die ehemaligen Spielkameraden müssen wissen, wie Holger Dannhöfer so mir nichts, Dir nichts in das Trikot der Alemannia schlüpfen und etwas weniger als eine Halbzeit lang Profifußballer spielen durfte? Doch auch der damalige Mittelfeldmotor und gute Geist des Teams, Markus von Ahlen, zuckt hilflos mit den Schultern. „Der war vielleicht ein paar Mal beim Training. Dann kam der Kurzeinsatz in Cottbus und danach war er weg, ohne dass wir ihn wieder sahen.“
Beim Verein selbst ist die Faktenlage auch nicht besser. Sogar für Zeugwart Michael Förster ist der Mann bis heute ein Rätsel. „Dannhöfer? Das ist doch der Mann, der nur 30 Minuten für uns gespielt hat.“ Mehr weiß auch der Mann nicht, der in den vergangenen dreizehn Jahren jedem einzelnen Tivoli-Kicker die Trikots beflockt, die Sachen geordnet und die Schuhe geputzt hat.
„Seltsam!“
Michael Förster kennt sie sonst alle
Ein Blick in die Unterlagen des Alemannia-Veteranen bringt auch keine weiteren Erkenntnisse. Ein Hinweis auf das „Tivoli Echo“ läuft ebenso ins Leere, obwohl hier grundsätzlich alle Spieler mit einem Foto verewigt werden. Inklusive derer, die erst im Lauf der Saison zum Kader stoßen. Doch das schwarz-gelbe Zentralorgan hat Holger Dannhöfer keine einzige Silbe gegönnt.
Michael Förster findet das „seltsam“, will sich aber vage daran erinnern, dass der Gesuchte irgendetwas mit dem SV Waldhof Mannheim zu tun gehabt habe. Das klingt einleuchtend. Handelt es sich bei den Kurpfälzern doch um jenen Verein, bei dem sich Dannhöfer-Entdecker Eugen Hach vor seinem Aachen-Aufenthalt als besserer Praktikant verdingt hatte.
August Dechant ja, Holger Dannhöfer nein
Und tatsächlich: Die privat organisierte Online-Faktensammlung „Waldhof-Archiv“ führt den guten Holger als Spieler der zweiten SVW-Mannschaft in der Saison 1996/97 auf. Mehr aber auch nicht. Einen Hinweis auf ein Leben davor und danach sucht man auch hier vergeblich. Von wo reiste der offensichtlich streng geheime Tipp denn nun wirklich an die Krefelder Straße? Zumindest die Waldhof-Geschäftsstelle sollte doch wenigstens irgendein altes Formular wie die Kopie des Spielerpasses besitzen.
Spätestens an dieser Stelle beginnt die Geschichte, abstrus zu werden. Denn auch für die Mitarbeiter des heutigen Viertligisten erweist sich die Identität des rätselhaften Spielers als nicht zu überwindende Hürde. Keiner kann sich an einen Sportkameraden dieses Namens erinnern. Auch nicht nach intensivem Nachdenken. Immerhin ist man voll des Lobes für Aachen, weil die Waldhof-Offiziellen dort „immer so freundlich und beinahe wie gute Bekannte begrüßt wurden“. Hach sei Dank.
Vielleicht ist es das, vielleicht aber auch das Interesse an dem Mysterium, das die Mannheimer dazu verleitet, in der Sache noch einmal nachforschen zu wollen. Unbegreiflich: Da ist der junge Herr Dannhöfer im Online-Archiv, das immerhin auch August Dechant führt, der von 1909 bis 1911 für die blau-schwarzen Mannheimer spielte, bevor er zur FVg Neckarau wechselte, definitiv aktenkundig. Und doch ist er bei den Offiziellen des Vereins ein völlig Unbekannter?
„Dann wie?“
Kurpfälzer Ultras stehen im Wald(hof)
Wenigstens für die ansonsten gut informierten Waldhof-Ultras ist der Fall sonnenklar. Die sind sich sicher und erklären voller Abscheu: „Dann wie? Nee, der hat beim VfR gespielt. Ganz bestimmt!“ Doch den Dannhöfer lassen sie sich auch beim verhassten Ortsrivalen nicht so leicht in die Schuhe schieben. Selbst Altgediente wissen nichts über das burleske Talent zu berichten.
Bleibt der Mann mit der Trikot-Nummer 34 also eine Spukgestalt? Gut: Er kann anscheinend auf ein gesichertes Jahr Fußballerfahrung in der zweiten Mannschaft eines früheren Zweitligisten verweisen. Aber qualifiziert ihn das für ein, wenn auch sehr kurzes, Gastspiel im Profiteam der Alemannia? Das sollte selbst unter der Ägide von Merkwürden Hach bezweifelt werden. Gab es den Mann überhaupt? Handelte es sich bei ihm um eine Kunstfigur, wie sie später mit dem australischen Fußballmanager Bill Collins geschaffen wurde?
Verwirrte Menschen
Immerhin fördert die Suche nach Holger Dannhöfer in sämtlichen deutschen Telefonbüchern 29 Personen zu Tage. Sie sind über die gesamte Republik verstreut und reichlich verwirrt ob der Tatsache, so urplötzlich mit der Frage nach einem bis dato verschollenen Verwandten konfrontiert zu werden.
„Isch des a Witz?“, lautet der indignierte Kommentar eines Dannhöfers im bayerischen Bad Wörichshofen, bevor er auflegt. In Essen erfährt man mehr, als einem lieb ist, über den Familienstammbaum eines 84-Jährigen, ohne aber auf einen Holger zu stoßen. Und ein Kölner Namensvetter geht hilfsbereit die gesamte Sippschaft durch: „Also, meinen Bruder können Sie schon mal streichen. Der heißt Udo. Dann gibt es noch meine Cousine, die Freya. Und Papa kann es auch nicht sein. Allein vom Alter her.“ Alle sind sie da. Nur Holger bleibt unauffindbar. Auch jeder der anderen 26 Dannhöfers versichert glaubhaft, nie ein Familienmitglied gehabt zu haben, dass auch nur im Entferntesten die Luft des Profifußballs geschnuppert hätte.
„Isch des a Witz?“
Bad Wörichshofen is not amused
Eigentlich sind in einer behördlich bis in ihre hintersten Winkel registrierten Gesellschaft Phantome nicht vorgesehen. Wozu gibt es denn die unzähligen Karteien, Register und Meldelisten? Vor allem für Mitbürger, die mit ihrem Tun ganz legal Geld verdient haben. Zuständig im Fall Holger Dannhöfer ist die Bundesanstalt für Angestellte (BfA). Aus ihren Akternkellern entkommt kein Mensch so einfach. Denkt man zumindest. Doch entweder ist die deutsche Bürokratengründlichkeit auch nicht mehr das, was sie mal war, oder Lizenzspieler Dannhöfer hat beispielsweise seine zugegebenermaßen überschaubaren Dienste am Tivoli als ehrenamtliche Tätigkeit aufgefasst. Die Nachforschungen beim BfA erbringen jedenfalls nichts Erhellendes. Ein Werktätiger namens Holger Dannhöfer ist schlichtweg nicht existent.
Nun kann es ja durchaus sein, dass der Kurzzeitfußballer im Lotto gewonnen oder reich geheiratet hat, deshalb keiner Tätigkeit mehr nachgehen muss und jetzt ganz geschmeidig in einem dicken Schlitten über die Prachtboulevards Düsseldorfs, Berlins oder Hamburgs gleitet. Aber Autos sind sicher nicht das Ding des Ex-Sportlers. Weitere Recherchen ergeben, dass in ganz Deutschland kein Kraftfahrzeug auf einen Holger Dannhöfer zugelassen ist. Der Mann bleibt ein Rätsel.
Unbegrenzte Möglichkeiten
Auch der angekündigte und zuverlässig erfolgte Rückruf aus Mannheim bringt nicht mehr Licht ins Dunkel. Im Gegenteil: Beim SV Waldhof meint man, herausgefunden zu haben, dass „der Herr Dannhöfer anscheinend in die USA ausgewandert war, inzwischen aber wieder zurückgekehrt ist und sich im Raum München aufhalten soll.“ Dabei legt der hilfsbereite Mannheimer die Betonung ganz eindeutig auf „soll“. Zu Recht: In der bayerischen Landeshauptstadt lässt sich die Person nicht ermitteln.
Wen, in Gottes Namen, hat Eugen Hach an jenem unwirtlichen Novemberabend in der Lausitz aufs Feld geschickt? Der Provinzzampano behielt sein kleines Geheimnis selbst in der Pressekonferenz für sich. Dort sprach der Schelm lediglich davon, dass er mit seiner Aufstellung Verwirrung habe stiften wollen.