Ruhe nach dem Sturm

Zu Regionalligazeiten ging er für die Alemannia auf Torejagd. Ein Jahrzehnt später steht er für Joop vor der Kamera oder schreitet für Boss über den Laufsteg. Bei solch interessanten Eckdaten dürfte sich die Geschichte des Dennis Ibrahim fast wie von selber schreiben.
Foto: Carl Brunn

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Schon auf dem Hin­weg zum ver­ab­re­de­ten Treff­punkt steht die ver­meint­li­che Über­schrift: „Der Model­ath­let – vom Fuß­ball­pro­fi zum Dress­man“. Doch dann kommt alles ganz anders.

3. Dezem­ber 1997: Pokal­spiel auf dem Tivo­li vor 18.000 Zuschau­ern gegen den SV Wald­hof Mann­heim. Nach­dem die Kur­pfäl­zer früh in Füh­rung gegan­gen sind, wird in der 56. Minu­te der erst kürz­lich von For­tu­na Düs­sel­dorf ver­pflich­te­te Den­nis Ibra­him auf der halb­lin­ken Sei­te steil geschickt.

Ent­schlos­sen treibt er den Ball auf schnee­be­deck­tem Rasen in den Sech­zeh­ner und schiebt ihn über­legt vor­bei an Ste­phan Straub, sei­ner­zeit noch in Diens­ten der Mann­hei­mer, ins lan­ge Eck. Wäh­rend das Leder noch zum 1:1 ins Netz tru­delt, steht der Tor­schüt­ze schon auf dem Zaun vor dem Wür­se­l­e­n­er Wall und lässt sich mit aus­ge­brei­te­ten Armen von den begeis­ter­ten Fans fei­ern. Der Rest der Par­tie – Ball­wurf, Elf­me­ter­schie­ßen, „So einem müs­sen die Fin­ger abfau­len“ – ist Alemannia‑, respek­ti­ve Fußballgeschichte.

Ver­mut­lich liegt es an die­sem ful­mi­nan­ten Ein­stand, dass Ibra­him bei vie­len Ale­man­niaf­ans nach­hal­tig in Erin­ne­rung geblie­ben ist und bei den Was­mach­tei­gent­lich­noch-Threads im Forum regel­mä­ßig auf­taucht. Die Som­mer­loch-Fra­ge danach, bei wel­chem Ver­ein Fuß­ball­he­ro­en aus ver­gan­ge­nen Tagen der­zeit spie­len, erlaubt – vor allem in Zei­ten des Fuß­ball­söld­ner­tums – nost­al­gi­sche Rück­bli­cke und ist auf­grund des Inter­nets sehr ergie­big. Viking Sta­van­ger, Ves­tel Manis­aspor, SV Grö­dig und DC United. Neue Fuß­ball­wel­ten lie­gen nur einen Maus­klick entfernt.

Aachen als Aus­gangs­punkt einer fuß­bal­le­ri­schen Welt­rei­se

Offi­zi­el­les Por­trät aus dem Som­mer 1998
Foto: Alemannia Aachen

Also, los geht’s: Was hat eigent­lich Den­nis Ibra­him nach sei­nem Enga­ge­ment bei uns gemacht? Eine ers­te Goog­le-Run­de kommt zu fol­gen­den Ergeb­nis­sen: Zunächst ging es zu For­tu­na Köln, bevor er sei­nem Men­tor Wyn­ton Rufer nach Neu­see­land folg­te. Mit den Auck­land Foot­ball Kingz spiel­te er eine Sai­son in der aus­tra­li­schen Natio­nal Soc­cer League und tanz­te mit sei­nen Mann­schafts­kol­le­gen vor jedem Spiel den Mao­ri-Kriegs­tanz HAKA.

Nach dem Pazi­fik­aben­teu­er wech­sel­te Ibra­him zu sei­nem alten Köl­ner Trai­ner Hans Krankl, der inzwi­schen den Übungs­lei­ter beim FC Admi­ra Wacker Möd­ling in der Wie­ner Süd­stadt gab. Vor­erst letz­te Sta­ti­on war der CF Est­re­la da Ama­do­ra in der Nähe von Lis­sa­bon, mit dem Ibra­him 2003 in die ers­te por­tu­gie­si­sche Liga auf­stieg. Danach Sport­in­va­li­di­tät und Kar­rie­re­en­de. Spä­tes­tens hier ver­sie­gen die Fußballdatenbankquellen.

Nach wei­te­ren Recher­chen offen­bart sich die Model­kar­rie­re des Den­nis Ibra­him. Und so sit­zen wir nach eini­gen Tele­fo­na­ten in einem Café am Köl­ner Bar­ba­ros­sa­platz und freu­en uns auf Alemannia-Anek­döt­chen und Mode­bran­chen-Gos­sip. Unser Gesprächs­part­ner ent­puppt sich als sehr ent­spann­ter, rela­tiv nor­ma­ler Typ, der den übli­chen Dress­man­kli­schees zu wider­spre­chen scheint.

Auf­merk­sam folgt er unse­ren Fra­gen und nimmt sich viel Zeit für die For­mu­lie­rung der Ant­wor­ten. Auch von dem immer wie­der klin­geln­den Mobil­te­le­fon lässt er sich dabei nicht zu unnö­ti­ger Eile antreiben

Bun­des­li­ga­de­büt und Eskapaden

Auf sein ers­tes Heim­spiel für die Alemannia ange­spro­chen, zuckt der gebür­ti­ge Ham­bur­ger zunächst mit den Schul­tern. Erst nach­dem man ihm ein wenig auf die Sprün­ge hilft, erin­nert er sich: „Stimmt, Pokal­spiel. Da war der enge Kabi­nen­gang und schon beim Ein­lau­fen bro­del­te das gan­ze Sta­di­on. Ich hat­te ja in Düs­sel­dorf mein Bun­des­li­ga­de­büt gege­ben und mit einer sol­chen Kulis­se in der Regio­nal­li­ga nicht gerech­net. Ich dach­te mir: Wenn du hier ein Tor machst, springst du auf den Zaun.“

Hakt man nach und ver­sucht wei­te­re sport­li­che Erin­ne­run­gen her­vor­zu­lo­cken, lan­det man frü­her oder spä­ter im außer­fuß­bal­le­ri­schen Bereich. Dies liegt zum einen am plötz­li­chen Herz­tod von Wer­ner Fuchs, den Ibra­him haut­nah mit­er­lebt hat. Zum ande­ren an der per­sön­li­chen Kri­se in der er zum Zeit­punkt sei­nes Wech­sels steckte.

„Ich dach­te mir: Wenn du hier ein Tor machst, springst du auf den Zaun.“

Den­nis Ibra­him über sein ers­tes Spiel auf dem Tivoli

In Düs­sel­dorf hat­te der damals 22-Jäh­ri­ge ver­brann­te Erde hin­ter­las­sen. Wie so vie­len jun­gen Spie­lern war ihm der ers­te Pro­fi­ver­trag zu Kopf gestie­gen und er hat­te sich deut­lich mehr auf Après-Spiel-Akti­vi­tä­ten als den Trai­nings­all­tag kon­zen­triert. „Ich habe es natür­lich genos­sen im Mit­tel­punkt zu ste­hen und ohne Ende Par­ty gemacht. Dabei habe ich des Öfte­ren mei­nen B‑Promistatus miss­braucht und vie­len Leu­ten vor den Kopf gesto­ßen.“ Eine Rei­he von Eska­pa­den führ­te schließ­lich dazu, dass der dama­li­ge For­tu­na-Trai­ner Alek­sand­ar Ris­tić ihn 1997 vor die Tür setz­te und Ibra­him dem Rhein­land den Rücken kehrte.

Wen­de­punkt Alemannia

Mit dem Zurück­las­sen kennt Den­nis Ibra­him sich schon seit frü­hes­ter Kind­heit aus. Sei­nen Erzeu­ger hat­te er nie ken­nen­ge­lernt. Als es Pro­ble­me mit dem Stief­va­ter gab, hau­te er kur­zer Hand von zu Hau­se ab. Da war er gera­de zwölf. In einem Heim für schwer­erzieh­ba­re Kin­der ver­leb­te er eine gute Zeit, es stell­te sich aber schon hier her­aus, dass er ein Pro­blem mit Auto­ri­tä­ten hat­te. „Den fami­liä­ren Rück­halt, der einem jun­gen Men­schen die Rich­tung weist und Gebor­gen­heit gibt, habe ich nie gehabt. Irgend­wie fehl­te da immer was.“

Mit zuneh­men­dem Alter begann der Fuß­ball die­se Lücke zu fül­len. Mit 17 Jah­ren wur­de er in das Fuß­ball­in­ter­nat von Wer­der Bre­men auf­ge­nom­men. Seit­dem ver­folg­te er sein gro­ßes Ziel, Bun­des­li­ga­pro­fi zu werden.

Die­ser Traum war mit dem Ende in Düs­sel­dorf jäh geplatzt und Ibra­him begann sich zu hin­ter­fra­gen. „Ich hat­te mei­ne gro­ße Chan­ce nicht genutzt und war in der 3. Liga gelan­det. Dar­über hin­aus hat­te ich vie­le Men­schen ver­letzt und muss­te mir ein­ge­ste­hen, dass ich allein dafür ver­ant­wort­lich war.“ So stellt der Wech­sel zur Alemannia einer­seits einen Abstieg des Fuß­bal­lers dar, mar­kiert aber ande­rer­seits einen wich­ti­gen Wen­de­punkt des Men­schen Den­nis Ibrahim.

„Der Trai­ner tole­rier­te kei­ner­lei Cli­quen­bil­dung, wie ich sie vor­her und nach­her in allen Teams erlebt habe.“

Den­nis Ibra­him über Wer­ner Fuchs

Er kam in eine intak­te und homo­ge­ne Mann­schaft, deren guter Team­spi­rit vor allem Wer­ner Fuchs zu ver­dan­ken war. „Der Trai­ner tole­rier­te kei­ner­lei Cli­quen­bil­dung, wie ich sie vor­her und nach­her in allen Teams erlebt habe. Die­se gute Atmo­sphä­re, bei der jeder mit jedem konn­te, hat mir nach dem Frust von Düs­sel­dorf sehr gut getan. Zudem war sie die Basis des Auf­stiegs.“ Der Tod des Trai­ners war für Ibra­him – wie für alle aus dem Alemannia-Umfeld – natür­lich ein Riesenschock.

Ibra­him hat­te als einer der ers­ten den beim Wald­lauf zusam­men­ge­bro­che­nen Fuchs erreicht und gemein­sam mit Andy Bluhm und Mario Krohm erfolg­lo­se Wie­der­be­le­bungs­ver­su­che begon­nen. Vor allem die Trau­er der Hin­ter­blie­be­nen und die Freu­de über den Auf­stieg, der vier Tage spä­ter in Erken­sch­wick unter Dach und Fach gebracht wur­de, hin­ter­ließ ein zwie­späl­ti­ges Gefühl. Dies auch vor dem Hin­ter­grund, dass Ibra­him immer kla­rer wur­de, dass der Fuß­ball als Sinn­stif­ter sei­nes Lebens aus­ge­dient hatte.

Erwe­ckungs­er­leb­nis

Fragt man den Ex-Ale­man­nen, was statt­des­sen zum Leit­fa­den in sei­nem Leben wur­de, wirkt er zunächst ein wenig miss­trau­isch und taxiert sei­nen Gesprächs­part­ner genau. Erst nach län­ge­rem Schwei­gen sagt er: „Der Glau­be an Gott.“ Es scheint als kön­ne er die Gedan­ken­kas­ka­de sei­nes Gegen­übers erah­nen: „Ach so, die beten­den Kicker. Dirk Hei­nen, Jor­g­inho, Lucio und Kon­sor­ten. Stän­dig mit Fin­ger­far­ben­shirts auf Mis­si­on und wie Wind­stär­ken­prü­fer immer min­des­tens einen Fin­ger gen Him­mel gerich­tet. So einer also.“ Eigen­tüm­li­cher­wei­se bedient Ibra­him aber kei­nes die­ser Vorurteile.

Foto: Carl Brunn

Er legt im Gespräch kei­nen mis­sio­na­ri­schen Eifer an den Tag und ist erst nach mehr­ma­li­gem Nach­fra­gen bereit, über sei­nen Glau­ben zu reden. „Ich habe bei Alemannia Aachen Andy Bluhm ken­nen­ge­lernt, der sich in einem Bibel­kreis enga­gier­te. Dort habe ich dann mei­nen Weg zu Gott gefun­den. Seit­dem hat sich mei­ne Sicht auf die Welt stark ver­än­dert.“ So ist er bei­spiels­wei­se davon über­zeugt, dass das Schei­tern in Düs­sel­dorf nicht zufäl­lig war, son­dern eine gött­li­che Mah­nung dar­stell­te, die ihm den Hoch­mut aus­trei­ben soll­te. Auch der Blick auf sei­ne Pro­fes­si­on ver­än­der­te sich. Nach­dem er Gott gefun­den hat­te muss­te ihm der Fuß­ball fast zwangs­läu­fig recht pro­fan vorkommen.

Die­se Zwei­fel tra­ten jedoch, auch auf­grund des Kon­takts zum eben­falls prak­ti­zie­ren­den Chris­ten Wyn­ton Rufer, immer mehr in den Hin­ter­grund. Nicht nur beim Fuß­ball über­nahm der Glau­be nun dis­zi­pli­nie­ren­de Funk­ti­on: „Der Glau­be gibt mir Halt und Sicher­heit dadurch, dass er das mora­li­sche Fun­da­ment mei­nes Ver­hal­tens bil­det. So konn­te ich im Trai­ning bei­spiels­wei­se nicht mehr schlu­dern, weil ich wuss­te, da schaut einer von oben zu.“

Der so Geläu­ter­te ging nach sei­nem Aache­ner Erwe­ckungs­er­leb­nis deut­lich gelas­se­ner mit den Hochs und Tiefs des Fuß­bal­ler­le­bens um. Ein­zig mit sei­ner Sport­in­va­li­di­tät hader­te er lan­ge. „Ich hat­te mit Ama­do­ra eine rich­tig gute Sai­son gespielt und es gab sogar Kon­tak­te zur nige­ria­ni­schen Natio­nal­mann­schaft.“ Ibra­him, der in Aachen als tech­nisch ver­sier­ter Angrei­fer galt, war in Por­tu­gal zum kom­pro­miss­lo­sen Links­ver­tei­di­ger umge­schult wor­den und woll­te in der ers­ten Liga noch ein­mal rich­tig angreifen.

Doch das rech­te Knie spiel­te nicht mit. Drei Ope­ra­tio­nen – Ibra­him ver­mu­tet Ärz­te­pfusch – mach­ten ihm einen Strich durch die Rech­nung. Zwei Jah­re lang ging es ihm nach dem Kar­rie­re­en­de dann auch rich­tig schlecht, bis mit dem Modeln der nächs­te Traum­job an die Tür klopf­te. Inzwi­schen ist er sehr gefragt und ent­spre­chend viel unter­wegs. Den­noch macht er erstaun­lich wenig Auf­he­ben um sei­ne Kar­rie­re in der Mode­bran­che. Kein arro­gan­tes Geha­be, kei­ne Erzäh­lun­gen von Dro­gen­es­ka­pa­den, kein künst­lich erzeug­ter Ter­min­stress. Es scheint als brau­che er das alles nicht mehr.

Suche nach den Wurzeln

Viel­leicht noch wich­ti­ger für sei­nen See­len­frie­den war das Schlie­ßen der fami­liä­ren Lücke. Abi Obafe­mi, ein befreun­de­ter Fuß­bal­ler, hat­te in Lagos Ibra­hims Fami­lie väter­li­cher­seits aus­fin­dig gemacht und so reis­te der Ex-Fuß­bal­ler 30 Jah­re nach sei­ner Geburt das ers­te Mal in Rich­tung Nige­ria. „Ich habe mich dort sofort hei­misch gefühlt. Wie die Leu­te mit­ein­an­der umge­hen, wie es riecht, wie es schmeckt. Das hat schon sehr viel mit mir zu tun.“

Foto: Carl Brunn

Vor allem durch das Ken­nen­ler­nen des Vaters scheint Ibra­him mit sei­ner kom­pli­zier­ten Fami­li­en­ge­schich­te Frie­den geschlos­sen zu haben. Und so wirkt der 33-Jäh­ri­ge, als sei er nach sei­ner per­sön­li­chen Wen­de, bei der die Sta­ti­on Aachen eine nicht uner­heb­li­che Rol­le spiel­te, zur Ruhe gekom­men. Es sei schon alles gut, so wie es gelau­fen ist, gibt er ohne Weh­mut zu Protokoll.

Erfährt man schließ­lich, dass der Vater nur drei Wochen nach dem Besuch in Lagos ver­stor­ben ist, beginnt man eine Ahnung von Ibra­hims Gott­ver­trau­en zu bekom­men und ertappt sich dabei, sel­ber an so etwas wie Vor­her­se­hung zu glauben.

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