Ultra­kur­ze Leitung

Handy, Internet, TV: Es gibt heutzutage eine Menge Möglichkeiten, das Spielgeschehen zu verfolgen, wenn man einmal nicht live im Stadion dabei sein kann. Doch schon auf den zweiten Blick trennt sich die oberflächliche Spreu vom informativen Weizen. Wie schön, dass es auch im Zeitalter der multimedialen Komplettbespaßung immer noch den guten, alten Hörfunk gibt.
Foto: Carl Brunn

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Dass SMS zum Aus­tausch kur­zer Nach­rich­ten gedacht sind, merkt der ver­hin­der­te Sta­di­on­be­su­cher spä­tes­tens, wenn er sich am Spiel­tag von die­sen Diens­ten abhän­gig macht. Weil sich die meis­ten auf das Mit­tei­len von Toren, Aus­wechs­lun­gen, Halb­zeit- und End­stän­den beschrän­ken, bleibt alles Wei­te­re der Vor­stel­lungs­kraft des Emp­fän­gers überlassen.

Inter­net-Live­ti­cker prä­sen­tie­ren sich zwar deut­lich aus­führ­li­cher. Aber auch durch nett ani­mier­te Bild­chen ver­lie­ren deren immer glei­che For­mu­lie­run­gen nicht ihre auf Dau­er ermü­den­de Neben­wir­kung. Nur über­durch­schnitt­lich lethar­gi­schen Zeit­ge­nos­sen bie­tet neun­zig­mi­nü­ti­ges Anstar­ren des Video­tex­tes einen gewis­sen Unter­hal­tungs­wert. Wer nach einem 0:0 der eige­nen Mann­schaft nicht das Gefühl hat, bei die­ser Beschäf­ti­gung andert­halb Stun­den sei­nes Lebens ver­schenkt zu haben, darf sich mit Fug und Recht zu den Groß­meis­tern der Fuß­ball­me­di­ta­ti­on zählen.

All die­se Infor­ma­ti­ons­quel­len haben ohne­hin eines gemein­sam: Ihre Sup­pen schme­cken unge­sal­zen. Wäh­rend einer Par­tie ent­ste­hen­de Emo­tio­nen sind auf die­sen Wegen schlicht unvermittelbar.

Ohne Punkt und Kom­ma, mit Hand und Fuß

Ganz ande­re Mög­lich­kei­ten hat dies­be­züg­lich hin­ge­gen das Radio. Je hei­ßer es auf dem Rasen her­geht, des­to unge­brems­ter knallt die Atmo­sphä­re aus dem Laut­spre­cher. Im Hin­ter­grund rumo­ren die Mas­sen, wäh­rend die Stim­me im Vor­der­grund erzählt, wie und war­um es steht. Damit der Fun­ke beim Zuhö­rer aber wirk­lich über­springt, müs­sen die Repor­ter eini­ges an Hand­werks­zeug mit­brin­gen. Impro­vi­sa­ti­ons­ta­lent, Wort­ge­wandt­heit und Fuß­ball­sach­ver­stand machen den Unter­schied zwi­schen gehalt­lo­ser Schwa­fe­lei und fes­seln­der Bericht­erstat­tung. Anhän­ger der Alemannia haben sich in die­ser Hin­sicht von jeher nicht beschwe­ren können.

Zu Zei­ten der Ober­li­ga West lock­te nie­mand gerin­ge­rer als Kurt Brum­me, immer­hin Erfin­der der Kon­fe­renz­schal­tung, schwarz-gel­be Men­schen­trau­ben vor die Volks­emp­fän­ger. Mit Jochen Hage­leit und Eddie Kör­per haben sich in den Jahr­zehn­ten danach wei­te­re Gran­den der Fuß­ball­hör­funk­über­tra­gung an der Kre­fel­der Stra­ße Klin­ke und Mikro­fon in die Hand gegeben.

Auf der Pres­se­tri­bü­ne des Tivo­li fin­det sich auch in der Gegen­wart glei­cher­ma­ßen elo­quen­tes wie fach­kun­di­ges Radio­per­so­nal: Tom Adri­an vom Regio­nal­sen­der „100,5 – Das Hit­ra­dio“ bei­spiels­wei­se, oder Ste­phan Kau­ßen von WDR 2. Wenn die­se bei­den das Gesche­hen auf dem Feld schil­dern, tun sie dies ohne Punkt und Kom­ma, aber jeder­zeit mit Hand und Fuß. Bei­de wis­sen hör­bar, wovon sie spre­chen. Ein Umstand, der nicht zuletzt dar­an liegt, dass sie frü­her selbst all­sonn­täg­lich gegen den Ball getre­ten haben. Für Brei­ten­sport­an­sprü­che sogar rela­tiv hochklassig.

Adri­an lief für Ger­ma­nia Teve­ren als Rechts­au­ßen auf, wäh­rend Kau­ßen unter ande­rem bei Borus­sia Brand die lin­ke Bahn beacker­te. So gegen­sätz­lich ihre dama­li­gen Posi­tio­nen waren, so unter­schied­lich gehen sie an ihre heu­ti­ge Auf­ga­be her­an. Denn auch wenn Aachens UKW-Flü­gel­zan­ge am Spiel­tag kaum drei Meter von­ein­an­der ent­fernt sitzt, ihre Sen­der nur weni­ge Zehn­tel­fre­quenz­punk­te aus­ein­an­der lie­gen, trennt sie in der Art und Wei­se ihres Kom­men­tie­rens min­des­tens eine Spiel­feld­brei­te. Hohen Unter­hal­tungs­wert kann man kei­nem der bei­den absprechen.

Ritt auf der Rasierklinge

Foto: Carl Brunn

Ste­phan Kau­ßen ist der Sach­li­che die­ses unglei­chen Duos. Den­noch beweist er bei jedem sei­ner Tivo­li-Ein­sät­ze ein­drucks­voll, dass Objek­ti­vi­tät beim Hörer nicht zwangs­läu­fig zu Lan­ge­wei­le füh­ren muss. Schon als Teen­ager hat der gebür­ti­ge Aache­ner in den frü­hen Acht­zi­gern furio­se Spie­le auf dem Tivo­li erlebt, seit­her alle Höhen und Tie­fen mit­ge­nom­men. Sein Herz schlägt für die Alemannia, doch sein Mund darf sich das nicht anmer­ken las­sen. Schließ­lich ver­langt der WDR von sei­nen Repor­tern Unvor­ein­ge­nom­men­heit. Kau­ßen hat mit die­ser Stall­or­der kei­ner­lei Pro­ble­me. Er ist Pro­fi genug, sich am Mikro­fon nicht aus der schwarz-gel­ben Reser­ve locken zu lassen.

Ohne­hin hat der 39-Jäh­ri­ge selbst den Anspruch, „jede Par­tie voll­kom­men unpar­tei­isch zu schil­dern. Auch die der Alemannia. Viel­leicht sogar gera­de die.“ Die­se selbst auf­er­leg­te Neu­tra­li­tät hat für ihn aber nichts mit Zurück­hal­tung zu tun. Er ver­steht es, Spiel­sze­nen mit­rei­ßend zu beschrei­ben, star­tet so bei sei­nen Hörern das ganz gro­ße Fußballkopfkino.

Foto: Carl Brunn

Der Ale­man­niafan in ihm hat wäh­rend der Arbeit Pau­se, der Fuß­ball­fan nicht. Und der Jour­na­list erst recht nicht. Bei Inter­views nach dem Spiel scheut er nicht davor zurück, auch ein­mal unbe­que­me Fra­gen zu stel­len. Uli Hoe­ness quit­tier­te eine sei­ner for­schen Gesprächs­er­öff­nun­gen einst mit einer Gegen­fra­ge: „Jun­ger Mann, haben sie in ihrem Leben schon ein­mal eine intel­li­gen­te Fra­ge gestellt?“ Unbe­ein­druckt hak­te der jun­ge Mann nach und bekam alle Ant­wor­ten, die er wollte.

„Noch heu­te bin ich glück­lich, dass er mich nicht ein­fach aus der Hose gehau­en hat.“

Ste­phan Kaus­sen hat mal Schwer­ge­wicht­schamp Mario Gue­des gekitzelt

Sein denk­wür­digs­tes Inter­view fand aller­dings fern­ab des Fuß­balls statt. Aachens Vor­zei­ge­f­aust­kämp­fer Mario Gue­des hat­te gera­de den Titel des deut­schen Schwer­ge­wichts­meis­ters erboxt, als er im Eilen­dor­fer Saal­thea­ter Geu­len ans Mikro­fon trat. „Er stand da mit dem Gür­tel, voll­kom­men aus­ge­pumpt und immer noch mit Adre­na­lin auf­ge­la­den. Ich frag­te ihn, ob er den Sieg nicht nur sei­nem Bonus als Lokal­ma­ta­dor ver­dan­ke.“ Ein Ritt auf der Rasier­klin­ge. Doch der frisch­ge­ba­cke­ne Cham­pi­on kon­ter­te ledig­lich ver­bal. „Er hat sehr gelas­sen reagiert. Noch heu­te bin ich glück­lich, dass er mich nicht ein­fach aus der Hose gehau­en hat.“

Paar aufs Maul

Foto: Carl Brunn

Auch Tom Adri­an ist in Aus­übung sei­nes Beru­fes vor eini­ger Zeit haar­scharf an einer Schlä­ge­rei vor­bei­ge­schrammt. Im Früh­jahr 2006 hat­te er Alemannias Füh­rungs­tref­fer in Braun­schweig der­art aus­ge­las­sen beju­belt, dass jeder süd­ame­ri­ka­ni­sche Repor­ter vor Neid erblasst wäre. Ein Braun­schwei­ger Zuschau­er auf dem Tri­bü­nen­platz unter sei­ner Spre­cher­ka­bi­ne sah rot. „Wenn du jetzt noch ein­mal Tor rufst, hau ich dir ein paar aufs Maul. Ver­spro­chen!“, droh­te der Heiß­sporn. Ein­lö­sen muss­te er sein Ver­spre­chen nicht. Zum Glück fie­len kei­ne wei­te­ren Tore.

Aller gesund­heit­li­chen Gefahr zum Trotz, hät­te Adri­an wahr­schein­lich auch die­se gefei­ert. Der 34-Jäh­ri­ge kann gar nicht anders, sieht sich in ers­ter Linie als Fan, der ande­ren Fans vom Spiel des gemein­sa­men Lieb­lings­ver­eins erzählt. Bei den Über­tra­gun­gen macht er kei­nen Hehl aus sei­ner Vor­lie­be für die Schwarz-Gel­ben. Mit Objek­ti­vi­tät hat er nichts am Hut. In Anbe­tracht der Sen­der­eich­wei­te sei­nes Arbeit­ge­bers durch­aus bemerkenswert.

Immer­hin ist die­ser von Lüt­tich bis nach Köln emp­fang­bar. Sofern ihre Trak­to­ren mit Radi­os aus­ge­stat­tet sind, kön­nen sogar die Men­schen im Mön­chen­glad­ba­cher Borus­sen­land „Das Hit­ra­dio“ hören. Sieht man von Begeg­nun­gen wie der in Braun­schweig ab, erhält Adri­an trotz­dem fast aus­schließlich posi­ti­ve Rück­mel­dun­gen. Sie bestär­ken ihn in der Ansicht, am Spiel­tag den rich­ti­gen Ton zu tref­fen. „Wenn ich auf Sen­dung bin, mache ich mir kei­ne gro­ßen Gedan­ken um Form oder For­mu­lie­rung. Dann rede ich ein­fach genau so, wie ich es mit Freun­den auf der Tri­bü­ne tun würde.“

Foto: Carl Brunn

Und tat­säch­lich spricht er oft genau das aus, was im sel­ben Moment etli­che Anhän­ger auf den Rän­gen den­ken. Obwohl er jeden Aache­ner Spie­ler beim jewei­li­gen Spitz­na­men nennt, gelingt ihm dabei aber der Spa­gat zwi­schen emo­tio­na­ler und seriö­ser Bericht­erstat­tung. Bei aller Par­tei­nah­me kommt weder die nöti­ge Fair­ness, noch der kri­ti­sche Blick zu kurz. Adri­an ist kein schwarz-gel­ber Jubel­per­ser. Schlech­te Leis­tun­gen wer­den nicht schön gere­det. Wenn nötig, fin­det er deut­li­che Worte.

Ton aus, Radio an

Nur zu ger­ne wür­de Otto Nor­mal­zu­schau­er sol­che bei­zei­ten auch von den Repor­tern im Fern­se­hen hören. Ste­phan Kau­ßen hat Mit­te der Neun­zi­ger im Rah­men von Prak­ti­ka bei DSF und Sat1 in das Arbeits­feld der Kol­le­gen hin­ein­ge­schnup­pert. „Fuß­ball­re­por­ter im Radio und im Fern­se­hen sind zwei voll­kom­men unter­schied­li­che Beru­fe. Wir müs­sen mit unse­ren Wor­ten pau­sen­los das feh­len­de Bild erset­zen. Die Kol­le­gen kön­nen die­ses ein­fach wir­ken las­sen und somit län­ge­re Zeit schwei­gen.“ Wenn sie es denn nur täten.

Statt­des­sen hagelt es im TV Super­la­ti­ve. Da wird aus jedem halb­wegs gefähr­li­chen Kopf­ball die nächs­te sen­sa­tio­nel­le Welt­klas­se­ak­ti­on, aus einem Grot­ten­kick ein wei­te­res High­light einer ohne­hin unfass­ba­ren Sai­son in der sowie­so stärks­ten und span­nends­ten Liga aller Zei­ten. Gibt das Gesche­hen auf dem Rasen nichts her, wer­den The­men aus der Bou­le­vard­pres­se auf­ge­grif­fen oder auf der Basis von Gesichts­aus­drü­cken psy­cho­lo­gi­sche Exper­ti­sen angefertigt.

Hek­ti­sche Schnit­te und end­los lan­ge Groß­auf­nah­men von der VIP-Tri­bü­ne ver­stär­ken den Ein­druck, dass vor allem beim Privat‑, Bezahl- und Spar­ten­fern­se­hen der Sport schon lan­ge nicht mehr im Mit­tel­punkt der Bericht­erstat­tung steht. All dies deckt sich mit Kau­ßens Auf­fas­sung von Medi­en­ar­beit nicht. Erst vor kur­zem hat er ein ent­spre­chen­des TV-Job­an­ge­bot abgelehnt.

„Immer wie­der schrei­ben mir Hörer, dass sie ihren Fern­se­her auf stumm schal­ten, um mei­nen Kom­men­tar zum Spiel zu hören.“

Tom Adri­an hat TV-Format

Tom Adri­an hin­ge­gen wür­de sich ger­ne ein­mal in der Welt der bun­ten Bilder aus­pro­bie­ren. Erfah­run­gen hat er dies­be­züg­lich noch nicht gemacht. Den­noch hat er schon in so man­chem Aache­ner Wohn­zim­mer den Ton zur Matt­schei­be gelie­fert. „Immer wie­der schrei­ben mir Hörer, dass sie ihren Fern­se­her auf stumm schal­ten, um mei­nen Kom­men­tar zum Spiel zu hören“, berich­tet er nicht ohne Stolz.

Neben einer Bestä­ti­gung sei­ner Arbeit ist die­ses Feed­back ein deut­li­cher Hin­weis dar­auf, dass für vie­le ver­hin­der­te Sta­di­on­be­su­cher auch die Glot­ze kei­ne wirk­li­che Alter­na­ti­ve zum Radio dar­stellt. Wer will es ihnen ver­den­ken? Und damit zurück in die ange­schlos­se­nen Funkhäuser.


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Über den Pratsch

Als wir die ersten Buchstaben tippten, um unsere fixe Idee eines Alemannia-Magazins in die Tat umzusetzen, spielte Henri Heeren noch in Schwarz-Gelb. Jupp Ivanovic machte drei Buden am Millerntor und trotzdem träumte niemand von Bundesliga oder Europapokal. Das ist lange her. In der Zwischenzeit waren wir mit dem TSV ganz oben. Wir sind mit ihm ziemlich unten. Aufgehört haben wir unterwegs irgendwie nie. Neue Ausgaben kamen mal in größeren, mal in kleineren Abständen. Und jetzt schreiben wir halt auch noch das Internet voll.

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