Als der Morgen des 14. Februar 1984 graute, war Alemannias Präsident verschwunden. Abgehauen in einer Nacht-und-Nebel-Aktion. Egon Münzenberg, der wohl schillerndste Vereinsvorsitzende der Clubgeschichte, hatte sich nach Kanada abgesetzt. Er wusste, dass sein Immobilienimperium kurz vor dem Zusammenbruch stand. Seiner Alemannia hinterließ er einen großen Scherbenhaufen. Was aber hatte dieser Egon Münzenberg mit dem Verein angestellt?
Von Vorfreude war weit und breit keine Spur. Einige Monate vor dem Start in die neu gegründete zweite Bundesliga 1974 herrschte bei der Alemannia totale Ebbe in der Kasse. Händeringend wurde ein neues Präsidium gesucht, das dem Traditionsverein aus der Bredouille helfen konnte. Mit Aachens Fußballidol Reinhold „der Eiserne“ Münzenberg fand sich schließlich ein geeigneter Repräsentant für das Präsidentenamt. Sein Neffe Egon, ein erfolgreicher Unternehmer, sollte als Vize und allmächtiger Finanzchef den aktiven Part im neuen Vorstand ausfüllen.
Noch nicht ganz im Amt, formulierte der ehrgeizige Baulöwe Egon Münzenberg auch schon seine ambitionierten Ziele mit der Alemannia: Die schnelle finanzielle Sanierung und der baldige Aufstieg in die erste Liga. Der „Hoppla- jetzt-komm-ich-Typ“ legte los wie die Feuerwehr und „überredete“ etliche Geschäftspartner seiner expandierenden Baufirma in den klammen Verein zu investieren.
In den nächsten Jahren wurden beachtliche Summen, auch einige Hunderttausend Mark aus Egons gut gefüllter Privatschatulle, in viele gestandene Spieler wie Klaus-Dieter Sieloff, Wolfgang Glock oder Jupp Bläser investiert. Die Ergebnisse auf dem grünen Rasen standen aber im krassen Gegensatz zum finanziellen Aufwand. Egons Engagement als omnipotenter Chefeinkäufer und „Sportdirektor“ endete 1978 sogar fast mit dem Abstieg in die drittklassige Oberliga.
Mit Dr. Heintze (der hatte Reinhold Münzenberg 1976 auf dem Präsidentenstuhl beerbt) kam es im Zuge des sportlichen Misserfolgs vermehrt zu heftigen Kompetenzstreitigkeiten. Während andere Mitstreiter nur hinter vorgehaltener Hand murrten, wollte der Temperamentsbolzen die Alleingänge von Münzenberg junior in Personalfragen nicht weiter hinnehmen. Doch der Mann mit dem Geldkoffer war nun mal Münzenberg. So zog der Doc den Kürzeren und stand aus „persönlichen Gründen“ nicht für eine weitere Amtszeit zur Verfügung. Im März 1978 ließ sich Kronprinz Egon zum obersten Alemannen küren. Jetzt sollten erst recht alle nach seiner Pfeife zu tanzen!
Amtsführung nach Gutsherrenart
Die „Ehrentitel“ Napoleon von Aachen und kleiner Diktator waren für den „Klengen“ schon längst zur gängigen Metapher in der Öcher Fußball-Szene geworden. Vor allem die Übungsleiter der Alemannia bekamen seine Amtsführung nach Gutsherrenart deutlich zu spüren. Das stets antriebsstarke Trainerkarussell (fünf Trainer heuerten alleine von 1981 bis 1983 an) wurde in der Aachener Volkszeitung folgendermaßen kommentiert: „Der Mantel des barmherzigen Vergessens möge zudecken, welch lächerliches Hickhack es in verschiedenen Trainerpossenspielen gegeben hat.“
Ein „Höhepunkt“ war dabei die Burleske um Trainer Horst Buhtz. Seine Installation war im Winter 1981 noch stilgerecht im noblen Ratskeller beschlossen worden. Zunächst war Münzenberg kategorisch gegen die von seinen Präsidiumskollegen favorisierte Nominierung des bekannten Fußballlehrers. Während eines opulenten Mahls mit reichlich nahrhaften Getränken ließ sich der eitle Machtmensch dann aber überraschenderweise umstimmen. Eine nahezu sensationelle Wendung, war Egon doch ein besonders beratungsresistentes Exemplar der Spezies Mensch.
„Es gibt wenige Vereine,
Egons Trainerphilosophie
aber viele Trainer“
Doch Münzenberg wäre nicht Münzenberg gewesen, hätte er den von ihm ungewollten Coach längerfristig arbeiten lassen. Nach elf Monaten bei der Alemannia wurde Buhtz Ende 1982 der Stuhl vor die Tür gesetzt. Nicht etwa wegen Erfolglosigkeit, denn das Team belegte zu diesem Zeitpunkt immerhin den sechsten Rang, mit nur zwei Punkten Abstand auf einen direkten Aufstiegsplatz.
Nein, Buhtz hatte es gewagt, die taktischen Empfehlungen seines Chefs zu ignorieren. Egon: „Herr Buhtz treibt die Leute mit seiner praktizierten Raumdeckung in Scharen aus dem Stadion und trotz des Präsidentenratschlags ist er nicht bereit, das sportliche Konzept zu ändern. Von daher ist seine Entlassung unumgänglich, auch wenn wir mit ihm vielleicht sogar Meister geworden wären.“
Selbstherrlich, aber generös
Münzenberg kannte auch keine Freunde, wenn es um Kumpels ging. Trainer Erhard Ahmann hatte zwischen 1978 und 1981 erfolgreiche Arbeit am Tivoli abgeliefert (zweimal Platz sieben, einmal Fünfter) und damit vor allem in der erfolgreichen Qualifikationssaison zur eingleisigen zweiten Liga 1980/81 für einen beachtlichen Zuschauerzuspruch gesorgt.
Von der Ehrentribüne bestaunte der Präsident, wie die Fans den prall gefüllten Tivoli bei Topspielen regelmäßig in ein Meer aus Konfetti verwandelten und dafür sorgten, dass die südamerikanische Atmosphäre auch überregional Schlagzeilen machte. Im Anschluss an ein siegreiches Pokalspiel gegen den Karlsruher SC musste der Tivoli noch Tage später von den kniehoch liegenden Papierresten befreit werden.
Doch auch Ahmann musste nach einem verpatzten Saisonstart 1981/82 (Platz 14 nach sechs Spieltagen) und massiven Fanprotesten seinen Hut nehmen. Dass Münzenberg ihm kurz zuvor noch absolute Loyalität zugesichert hatte, spielte keine Rolle mehr. Egon: „Wir haben uns nicht dem Volkszorn gebeugt, aber irgendwo mussten wir die Konsequenzen ziehen. Wir können es uns nicht erlauben, dass die Zuschauer nicht mehr zum Tivoli kommen, weil sie uns eins auswischen wollen.“
So unberechenbar, sprunghaft und selbstherrlich Münzenberg oft mit den sportlichen Führungskräften umging, so leutselig, feierwütig und generös präsentierte er sich gerne im Kreise „seiner“ Alemannia-Familie. Da wurden Angestellte, Spieler, Freunde und Gönner mal zu einer heißen karibischen Nacht mit gut dotierten Stargästen in das zur Oase umgebaute Eurogress eingeladen. Nach erfolgreichen Fußballfesten feierte König Egon mit seinen Spielern gerne bis in die frühen Morgenstunden in diversen Szenelokalen wie dem „Red House“ und „Le Bistrot“.
Auch kulinarisch wurden einige Register gezogen, um die Stimmung und Motivation der Spieler hochzuhalten. So kam die Mannschaft auch in den Genuss eines üppigen Wildmahls. Die Hirsche und Rehe hatte Hobbyjäger Münzenberg natürlich selbst erlegt.
Weitsichtig, wie der nimmermüde Vereinsboss war, kümmerte er sich aber nicht nur um das Befinden seiner Untertanen. Auch das Wohl von so manchem Schiedsrichter lag ihm sehr am Herzen. So weilte unter anderem die Schiri-Legende Wolf-Dieter Ahlenfelder mit Vorliebe in Aachen, wurde er doch in den Tivoli-Tennishallen feudal von Kumpel Egon bewirtet. Viele Hebel hatte der Hansdampf auf und neben dem Spielfeld in Bewegung gesetzt.
Fehlkalkulationen in Millionenhöhe
Aber alle Bemühungen, mit seiner Alemannia aufzusteigen und sich als gefeiertes Vereinsoberhaupt in Aachen ein Denkmal zu setzen, scheiterten. Auch finanziell zogen wieder dunkle Wolken am Tivoli auf. Beim Heimspiel gegen Uerdingen 1982 waren zwei Besucher ohne Tickets zu Gast. Die Finanzbeamten schnappten sich nach dem Abpfiff den Großteil der Tageseinnahmen, denn der Verein stand beim Fiskus mit 45.000 Mark in der Kreide. Für den Lebemann Münzenberg eine eher läppische Summe: „Schatzmeister Krings verweilt gerade im Urlaub und hat wohl vergessen die Schecks vor der Abreise beim Finanzamt abzugeben“, so Egons süffisanter Kommentar.
Doch dann kam es richtig dick! Der Patron musste im Sommer 1983 nach einer total verkorksten Saison Fehlkalkulationen in Millionenhöhe einräumen. Damit auch alle mitbekamen, dass nur er wirklich wichtig für den Traditionsverein war, ließ er die Öffentlichkeit großspurig wissen: „Ich alleine bürge für den Millionenverlust, denn der Verein besitzt ja schließlich nichts außer ein paar Wimpeln.“ Und da alle anderen eh Staffage waren, durften die teuren „Stars“ Mödrath und Koitka via Zeitung erfahren, dass sie trotz laufender Verträge nicht mehr für die Alemannia auflaufen würden.
„Ich bin zu ehrgeizig. Da muss man schon damit rechnen, dass man mal auf die
Egon im Februar 1983
Schnauze fällt.“
Sechs Monate später kündigte der Vereinschef weniger großspurig seinen Rückzug nach zehn Jahren bei der Alemannia an. Konkrete Gründe nannte er keine. Diese ließen sich dann wenig später erahnen, als sich Münzenberg in Richtung Wahlheimat Kanada aus dem Staub machte. Die Gerüchteküche um seinen plötzlichen Abgang brodelte. Täglich machten neue Spekulationen die Runde, beispielsweise, dass er seine Reisekasse mit reichlich Barem aus dem Tresor der Alemannia aufgefüllt hätte.
Kurz nachdem Münzenberg am 7. März 1984 per Fax seinen Rücktritt als Präsident der Alemannia verkündet hatte, wurde scharf gegen den nunmehr ehemaligen Vereinschef geschossen. Folgte man den Ex-Weggefährten, war König Egon zu einem Baron Münchhausen mutiert. „Münzenberg ist ein Märchenerzähler und hat uns ein Desaster zurückgelassen“, so Präsidiumsmitglied „Bubi“ Hirtz.
Wie gewonnen, so zerronnen
Egon ließ über seinen Anwalt alle Vorwürfe gegen sich dementieren. Er habe nicht nur viel Zeit, sondern auch eine Menge Geld in diesem Verein gelassen, hieß es in einer der anwaltlichen Verlautbarungen. Nicht dementieren konnte Münzenberg hingegen den Niedergang seines Firmenkonglomerats, durch den auch seine Bürgschaften bei der Alemannia nichts mehr wert waren. Der Verein wurde immer tiefer in den Schlamassel gezogen. Hatte Münzenberg zu Beginn seiner Ära maßgeblich dazu beigetragen, die finanziell schwer angeschlagene Alemannia zu sanieren, so hinterließ er zehn Jahre später einen ebenso maroden Club. In den folgenden Monaten gelang es den neuen Herren an der Krefelder Straße gerade noch, einen Konkurs abzuwenden.
Bis zu seinem Tod 2014 stand Münzenberg in Kontakt mit Dr. Mönning, dem damaligen Vergleichsverwalter seines Immobilienreichs. Dabei spielte auch die Alemannia stets eine Rolle. Man kann sich gut vorstellen, was der unerschütterlich selbstbewusste Ex-Präsident vom Niedergang der letzten Jahre gedacht haben mag: Mit mir wäre das alles nicht passiert!
„Ich habe Schatten- und Sonnenseiten des Lebens kennengelernt.“
Egon Münzenberg