Als die Herren am 3. Dezember 2015 ihre elektronische Post öffneten, fielen sie kollektiv aus allen Wolken. Damit hatten die Aufsichtsräte der Alemannia Aachen GmbH nun gar nicht gerechnet.
Der Coach der Profimannschaft sollte ein disziplinfanatischer Drill-Sergeant mit despotischer Ader sein? Das Binnenverhältnis zwischen ihm und den Spielern sollte quasi verwahrlost sein? Zumindest, wenn man den von den Berufskickern geschriebenen Zeilen Glauben schenken wollte.
Dabei hatte man der Führungsriege doch immer wieder beruhigend vermittelt, dass zwischen dem spielenden Personal und seinem Übungsleiter alles zum Besten stehen würde. Außerdem hatte Gremiumsmitglied Thomas Deutz, immerhin so etwas wie der oberste Sportchef des Unternehmens, nie Gegenteiliges zu vermelden gehabt.
Informierte Räte
So wurde sie jedenfalls im Nachhinein erzählt: die Geschichte des alemannischen Herbstes 2015. Waren die Kontrolleure wirklich so ahnungslos? War es am Ende wirklich nur Thomas Deutz, der von all den Querelen wusste, diese Dinge aber für sich behalten hatte? Eine Darstellung, die sich nach der Lektüre einiger Mails zwischen Gremikern der GmbH und des Muttervereins nicht aufrechterhalten lässt.
Aus der elektronischen Post, die IN DER PRATSCH einsehen konnte, geht hervor, dass nicht nur die Aufsichtsräte, sondern auch Präsidiumsmitglieder des Vereins spätestens im Oktober 2015 über die Tragweite des Zerwürfnisses zwischen der Profitruppe und ihren unmittelbaren Chefs informiert gewesen sein mussten.
Im gleichen Monat hatte zudem Trainer Christian Benbennek unmissverständlich gefordert, die Spieler Peter Hackenberg, Frederic Löhe, Bastian Müller und Aimen Demai auszusortieren. Hackenberg und Löhe aus hierarchischen Erwägungen heraus, Müller wegen seiner Einstellung zum Job und Demai aufgrund sporttauglicher Zweifel. Eine Maßnahme, die von den Lenkern damals abgelehnt wurde. Aus deren Sicht wäre dem Publikum eine solche Sache nicht zu verkaufen gewesen.
Überhaupt war Benbennek nicht nur einmal Gast bei Aufsichtsratssitzungen. Es gab einen stetigen Meinungs- und Informationsaustausch zwischen den Räten und der sportlichen Leitung. Per Mail, über Telefonate und im Rahmen persönlicher Treffen. Probleme kamen dabei regelmäßig zur Sprache. Auch wenn Aufsichtsratschef Christian Steinborn dem immer noch widerspricht: Das Missverhältnis zwischen dem Kapitän und dessen Crew musste allen Entscheidungsträgern weit vor dem Brandbrief der Mannschaft bekannt gewesen sein.
Entweder haben die Kontrolleure die Dinge einfach laufen lassen. Oder sie haben die Lösung des Problems bewusst dem inzwischen beurlaubten Sportdirektor Alexander Klitzpera als operativ Verantwortlichem überlassen. Und diesen dann im Sturm der öffentlichen Meinung alleingelassen, als der keine Lösung fand.
Kernige Begrüßung
Dass das Verhältnis der Truppe zu ihrem neuen Übungsleiter ein schwieriges werden könnte, dämmerte einigen Profis bereits zu Beginn der Vorbereitung im Sommer 2015. „Ihr müsst euch nichts einbilden. Ihr habt noch nichts erreicht. Ihr seid Zweiter geworden. Das zählt nicht. Das Einzige, was zählt, ist der Aufstieg.“ Benbenneks Begrüßung war kernig, als er seiner Mannschaft zum ersten Mal gegenübertrat. Und sie damit irritierte.
„Ihr müsst euch nichts einbilden. Ihr habt noch nichts erreicht. Ihr seid Zweiter geworden. Das zählt nicht. Das Einzige, was zählt, ist der Aufstieg.“
Christian Benbenneks Antrittsrede in der TSV-Kabine
Denn bei der Aachener Alemannia war man in dem Glauben, sehr wohl etwas zuwege gebracht zu haben. Hatte man nicht mit dem zweiten Tabellenplatz das offizielle Saisonziel übertroffen? Hatte man nicht einen nach der Insolvenz immer noch schlingernden Verein zumindest sportlich auf Kurs gebracht? Hatte man nicht das Umfeld beruhigen, ja sogar wieder eine gewisse Euphorie entfachen können? Und das sollte nach Lesart des neuen Coachs nichts wert sein? „Wir haben das erst einmal als eine Art Ausrufezeichen so hingenommen. Wir haben gedacht, dass hier jemand eine Duftmarke setzen will, auch um uns von vornherein auf das große Ziel Relegation einzuschwören“, erinnert sich einer der Spieler, der wie alle Akteure unbedingt anonym bleiben will.
Doch das Verhältnis zwischen der Mannschaft und dem Coach entkrampfte sich nicht. Im Gegenteil: Benbennek begegnete seinen Mannen mit grundsätzlichem Misstrauen. Der Fußballlehrer monierte mangelnde Professionalität und fehlende Einstellung. Er vermittelte den Eindruck, er habe eine undisziplinierte, schwer steuerbare Truppe übernommen. Glaubt man den Spielern, so war der Ton auch in der Folgezeit vornehmlich ein rauer und herrischer.
Zudem hätte man bereits während der überaus erfolgreichen Startphase der Saison, in der die Alemannia sensationelle 16 Punkte aus den ersten sechs Spielen einfuhr, Bedenken wegen der taktischen Ausrichtung gehabt. Die Ergebnisse hätten über die spielerischen Defizite hinweggetäuscht. Auf entsprechende warnende Hinweise hätte der Trainer nicht reagiert.
Der Gegenentwurf
Hört man Christian Benbennek zu, wird schnell deutlich, warum er der Meinung seiner Spieler wenig Raum gab. Bei dem Niedersachsen fallen entwaffnend häufig die Begriffe „Disziplin“ und „Hierarchie“. Für ihn bestimmt allein der Coach die gesamte Richtung. Training, Aufstellung, System, Taktik: Die Angestellten haben da nicht mitzureden. Sie sollen nicht hinterfragen, sondern folgen. Selbst kleinste Vergehen werden sofort sanktioniert.
Mit seinem Führungsstil der kompromisslos harten Hand war der 43-Jährige der absolute Gegenentwurf zu seinem Vorgänger. „Ich kann durchaus autoritär werden, wenn es die Situation verlangt. Doch insgesamt ist mein Führungsstil ein eher kooperativer“, so Peter Schubert. Fragt man bei Schuberts ehemaligen Schützlingen nach, bestätigt sich dies. Unter dem Schwaben hätten in der Tat klare Verhältnisse geherrscht. Schubert und sein Co-Trainer Reiner Plaßhenrich hätten durchaus auch wenig populäre Maßnahmen im Repertoire gehabt.
Zum Beispiel durften Spieler, die nicht im Kader waren, erst gar nicht im Mannschaftsbus Platz nehmen. „Doch das lief alles respektvoll und auf Augenhöhe ab. Vor allem blieb alles intern und wurde nicht über die Medien breitgetreten“, so ein damaliges Kadermitglied.
Alexander Klitzpera jedoch erläutert, dass er die Entscheidung für einen Trainertyp, wie ihn Benbennek verkörpert, sehr bewusst getroffen habe. Er macht sogar das Verpassen der Relegation unter Peter Schubert „an der Schwächephase“ des Teams fest. „Als die Spieler realisierten, dass sie Platz eins schaffen konnten, spielten sie nicht mehr befreit auf. Sie waren mental noch nicht so gefestigt und konnten physisch nicht mehr zulegen.“ Der Ex-Sportchef hatte öffentlich kundgetan, die Truppe hätte sich unter dem damaligen Trainer eine „Wohlfühloase“ geschaffen.
Eine Einschätzung, die Benbennek später noch einmal wiederholte. Von so etwas will Peter Schubert nichts wissen. „Wir hatten feste Regeln des professionellen Umgangs. Diese Regeln wurden so gut wie nicht überschritten. Und wenn das tatsächlich einmal geschehen war, gab es entsprechende Konsequenzen. Nur hatten wir dazu kaum Veranlassung. Im Gegenteil: Ich habe die Truppe als äußerst zielorientiert und willensstark wahrgenommen, deren Stärke eine enorme mannschaftliche Geschlossenheit war.“
Schwere Beine
Die Statistiken der Saison 2014/2015 scheinen diese Einschätzung zu stützen. Da konnten die Schwarz-Gelben in immerhin zehn Spielen einen Rückstand zumindest in ein Unentschieden umbiegen. Allein neun Mal gelangen ihnen entscheidende Treffer im Laufe der letzten 15 Minuten. Kollektives giftiges Dagegenhalten schien Teil des Programms. Ständig war man bereit, sich bei strittigen Szenen mit Gegenspielern und Schiedsrichtern anzulegen, Rudelbildung inklusive.
Alexander Klitzpera ficht das nicht an: „Es war von Beginn an unser Anspruch, professioneller zu arbeiten. Unser Ziel muss die dritte Liga sein. Also muss jeder Einzelne bei unseren Möglichkeiten das Maximale herausholen. Sonst erreichen wir unsere hohen Ziele nicht.“ Die spielende Belegschaft will jedoch von einer Professionalisierung nichts gespürt haben.
Vor allem Trainingssteuerung und taktische Vorgaben wurden nun zum Thema. „Zum Beispiel haben wir noch wenige Tage vor einem Match immer wieder sechs Eintausendmeterläufe absolviert. Am Spieltag waren die Beine schwer“, erläutert ein Aktiver.
Bereits im ersten Drittel der Saison schien sich die grundsätzliche Skepsis der Mannschaft zu bestätigen. Der Höhenflug der Alemannia endete schnell. Nach dem vermeintlich goldenen Sommer paarten sich die ohnehin spielerisch eher durchwachsenen Auftritte nun auch mit schlechten Resultaten. Im gesamten September konnten die Kaiserstädter aus fünf Begegnungen nur noch einen Punkt mitnehmen.
Raues Klima
Im Laufe dieser Wochen wurde das Klima am Tivoli branchenüblich rauer. Christian Benbennek reagierte dünnhäutig und erhöhte den Druck auf sein Personal. So suspendierte er vor dem Spiel bei der Zweitvertretung des 1. FC Köln die Spieler Dominik Ernst und Frederic Löhe. Die beiden waren zu spät zum Training erschienen. Als man in der Domstadt prompt verlor, keilte der Übungsleiter öffentlich vor allem in Richtung der Verdammten aus. In harschen Worten schob er die Schuld an der Niederlage ausschließlich ihnen in die Schuhe.
Ein Mannschaftskamerad der beiden „Sünder“ beschreibt die Wirkung auf das Team so: „Auch wenn man die Suspendierung als solche vielleicht nachvollziehen könnte. Wie die beiden im Nachhinein abgekanzelt wurden, schürte bei vielen von uns Angst. Keiner konnte sicher sein, ob er nicht der Nächste war, den es aus irgendeinem Grund treffen würde.“ Eine Intervention beim ehemaligen Sportdirektor wäre nicht infrage gekommen. „Benbennek und Klitzpera waren eine Einheit. Wir haben schnell gemerkt, dass der Trainer sofort alles erfahren hat, wenn man mit einem Problem zu Klitzpera gegangen ist. Sogar die entsprechenden Namen.“
Am Tag der Deutschen Einheit reisten die Schwarz-Gelben zum Tabellensechsten nach Wattenscheid. Hier wollte man „den Bock umstoßen“, wie es Benbennek immer wieder gerne formulierte. Der gab sich vor dem Wettkampf eher konziliant denn giftig. Doch nach etwas mehr als 90 Minuten stand ein erneuter Fehlschlag zu Buche. Das Team war ratlos. Trainer und Sportdirektor präsentierten sich ohnmächtig. Unmittelbar nach dem Spiel setzten sich einige Führungsspieler zusammen, um die Lage zu erörtern. „Wir waren uns einig, dass wir uns erst einmal an unsere eigene Nase packen mussten“, so einer der Beteiligten.
Als einige Mannschaftskameraden per SMS erstmalig den Sturz des ungeliebten Coachs forderten, wirkten die Leader deeskalierend auf ihre Kollegen ein. Mit Erfolg: Einen Tag später, am 4. Oktober, traf man sich im großen Kreis. Trainer und Sportdirektor eingeschlossen. Man diskutierte sowohl Taktik als auch Trainingsgestaltung. Die Mannschaft äußerte zum Beispiel den Wunsch, „grundsätzlich über mehr Ballbesitz ins Spiel zu kommen“. Insgesamt empfanden die Spieler das Gespräch als „sehr konstruktiv. Wir hatten endlich den Eindruck, dass man unsere Sicht der Dinge ernst nehmen würde. Dass sich etwas bewegen würde“, erinnert sich einer der Teilnehmer. Alexander Klitzpera spielt die Sache herunter: „Da kam nichts Substanzielles. Trotz mehrmaligen Nachfragens waren es nur Kleinigkeiten. Auf die konnte Benbennek leicht eingehen.“
So oder so, das Meeting schien etwas bewirkt zu haben. Trotz der beinahe erwarteten Niederlage: Die Aachener zeigte sich in der anschließenden Pokalbegegnung gegen Drittligist Fortuna Köln in nahezu allen Belangen deutlich verbessert. Man agierte auf Augenhöhe mit den höherklassigen Domstädtern. Nichtsdestotrotz war den meisten Beobachtern bewusst, dass Benbennek bei einem Scheitern gegen den chronisch erfolglosen Aufsteiger Wegberg-Beeck nicht mehr zu halten gewesen wäre.
So sah das wohl auch die Mannschaft. „Uns war schon klar, dass das ein Schlüsselspiel für den Trainer war. Wir hätten ihn ganz einfach auflaufen lassen können. Aber das war für uns zu keiner Zeit eine Lösung. So tickte die Truppe nicht. Dazu war sie zu anständig“, erklärt einer der Akteure. Die Niederrheiner wurden mit 3:1 bezwungen.
„Körperlich am Ende“
Am 24. Oktober musste die Alemannia bei der Spielvereinigung Velbert antreten. Laut Mannschaft hatte Christian Benbenneks schon nach der Pokalniederlage gedroht: „Wir haben es jetzt nach euren Vorstellungen probiert. Es hat nichts gebracht. Ihr habt wieder verloren. Jetzt geht es eben wieder nach meinen Vorstellungen.“ Zwar bestreitet der Ex-Trainer, dies so gesagt zu haben. Doch glaubt man den Spielern, so seien die Einheiten wieder „unsinnig intensiviert“ worden.
„Wir waren schon vor dem Anstoß körperlich ziemlich am Ende, hatten überhaupt nichts zuzusetzen“, so einer aus der damaligen Startformation. Alexander Klitzpera begegnet dem Vorwurf mit einem Verweis auf die Rahmenbedingungen am Tivoli: „Generell ist die Trainingsgestaltung nicht meine Aufgabe. Das ist Sache unseres Trainers. Aber eines muss mal klar gesagt werden: Unsere Spieler sind Vollprofis. Im Gegensatz zum Gros der Viertligaspieler müssen sie in Aachen keinem anderen Beruf nachgehen und haben somit keine Doppelbelastung. Es wäre doch fahrlässig, wenn wir diesen Vorteil nicht für uns nutzen würden.“
Sei es wie es war: Die Alemannia verlor in der Christopeit Sport Arena nach einer erschreckend schwachen Leistung mit 0:1. Und das ausgerechnet vor dem „Klassiker“ gegen Rot-Weiss Essen, der nur wenige Monate zuvor noch mehr als 30.000 Fans in seinen Bann gezogen hatte. Benbennek sah sich anscheinend gezwungen, seine Position gegenüber der Mannschaft zu verdeutlichen.
Seine unmissverständliche Kampfansage „Bevor ich hier gehe, fliegen fünf andere vor mir“ machte von da an die Runde. Und er schlug sofort Pflöcke ein: Mittelfeldakteur Bastian Müller wurde suspendiert. Eine Maßnahme, die indes mit Mannschaftsrat, Sportdirektor und sogar dem Aufsichtsrat abgesprochen gewesen sein soll. Ins Scheinwerferlicht der öffentlichen Diskussion musste sich jedoch der Trainer alleine stellen.
Neben der Unzufriedenheit über das sportliche Auftreten war es die Art der Menschenführung, die bei den Spielern den Argwohn gegenüber ihrem Übungsleiter wachsen ließ. Von einer Atmosphäre der bewusst geschürten Angst ist da die Rede. Versuchte Bespitzelungen, Drohungen und das Ausspielen einzelner Akteure gegeneinander seien bevorzugte Werkzeuge gewesen. „Ständig hat der Trainer versucht, Einzelne von uns auszuhorchen. Er wollte immer wissen, wer im Team warum gegen ihn sei. Da war er richtig manisch“, behauptet einer der Betroffenen.
Dabei hätte Benbennek auch schon mal suggeriert, dass für spezifische Informationen ein Platz in der Mannschaft winken würde. Doch der Coach schien das Binnenverhältnis der Truppe fahrlässig unterschätzt zu haben. „Wir waren eine Einheit. Solche Dinge haben wir immer sofort im Mannschaftskreis weitergegeben und besprochen. Da gab es kaum Geheimnisse. Deshalb fruchtete das nicht“, beschreibt ein Profi die Situation.
Die Abstimmung
Unmittelbar nach der peinlichen Pleite in Velbert kam es im Kader zu einer geheimen Abstimmung. Anonym sollte geklärt werden, wie groß der Rückhalt Benbenneks im Team wirklich war. Aus dem Team heraus wird ein überdeutliches Votum kolportiert: 21 Profis hätten sich gegen eine weitere Zusammenarbeit mit dem ungeliebten Coach ausgesprochen, nur zwei dafür.
„Es gab keine Enthaltungen. Es waren 21 zu zwei Stimmen. Alles andere entspricht nicht der Wahrheit.“
Ein Abstimmungsteilnehmer erinnert sich
Einige der GmbH-Verantwortlichen zweifeln das Ergebnis inzwischen stark an. Man spricht davon, dass man neun Enthaltungen einfach als Nein-Stimmen gezählt hätte. Einer der Teilnehmer an der Abstimmung widerspricht dem energisch: „Es gab keine Enthaltungen. Es waren 21 zu zwei Stimmen. Alles andere entspricht nicht der Wahrheit.“
In jedem Fall traf sich der Mannschaftsrat noch vor dem anstehenden Meisterschaftsspiel gegen Rot-Weiss Essen mit Alexander Klitzpera und dem für den Sport zuständigen Aufsichtsratsmitglied Thomas Deutz. „Wie schon zuvor kamen da keine wirklich substanziellen Dinge zur Sprache. Das blieb eher bei Problemchen. Zum Beispiel, wie viele Sprints man zwei Tage vor dem Spiel gemacht hat“, belächelt der beurlaubte Sportchef das Gespräch.
Die Profis wollen allerdings sehr wohl deutlich gemacht haben, dass das Team nicht mehr an den Plan des Trainers glaube und dass man unter ihm nicht das wahre Leistungsvermögen ausschöpfen könne. Ohne allerdings das Resultat der Abstimmung zu kommunizieren. Diese eher diplomatische Vorgehensweise wurde von Teilen der Spieler angesichts des klaren Meinungsbildes im Nachhinein kritisiert. Vor allem, als Alexander Klitzpera später der Mannschaft übermittelte, dass Christian Benbenneks nicht zur Disposition stünde. Ungeachtet dieses Bekenntnisses des Vereins zum Trainer habe dieser unmittelbar vor dem Westschlager „die Vertrauensfrage gestellt. Ohne greifbares Ergebnis“, stellt Klitzpera fest.
Allen schrillen Misstönen zum Trotz schwang sich die Alemannia zu einem 2:0‑Erfolg gegen den Erzrivalen RWE auf, ging aber nur eine Woche später bei den Düsseldorfer Jung-Fortunen chancenlos 1:3 unter. Nach Abpfiff am Flinger Broich stellten sich einzelne Spieler aufgebrachten Anhängern und versuchten, ihren Trainer aus der Schusslinie zu nehmen. Der jedoch nahm sich die Mannschaft vor und fahndete nach Sündenböcken. Während der üblichen Videoanalyse ging er auf Abwehrchef Peter Hackenberg und Außenverteidiger David Vrzogic los. Hackenberg wurde erst einmal aus der Startformation verbannt.
Das Debakel
Und wieder folgte auf eine desaströse Vorstellung ein alles in allem souveräner Heimsieg. Den SC Verl schickte man mit 3:0 zurück ins Ostwestfälische. Nur um am folgenden Spieltag bei der Kölner Viktoria in die Totalkatastrophe zu schlittern. In Höhenberg wurden die Schwarz-Gelben 0:6 demontiert. Und gemessen an der Leistung der Tivoli-Kicker fiel das Ergebnis nicht annähernd zu hoch aus. „Diese Achterbahnfahrt von Niederlage zu Sieg zu Niederlage hat uns am Ende alle zermürbt“, sagt Alexander Klitzpera heute.
In Köln hatte Benbennek erneut den etatmäßigen Innenverteidiger Hackenberg auf der Bank gelassen und mit Tim Lünenbach sowie Tobias Mohr zwei Youngster in die Schlacht geworfen. Lünenbach stand zuvor erst einmal in der Startelf und wurde fünfmal als Auswechselspieler gebracht. Mohr hatte bis dahin insgesamt überhaupt erst 47 Spielminuten absolvieren dürfen. „Ausgerechnet die beiden hat sich der Trainer zur Halbzeit vorgeknöpft. Der hat die regelrecht fertiggemacht“, entsinnt sich ein Mannschaftskamerad.
Zweifellos hat das Kölner Debakel „eine ganz neue Dynamik in die Geschichte gebracht hat“, urteilt Ex-Sportdirektor Klitzpera im Nachhinein. Der meldete sich am 30. November, also nur zwei Tage nach dem Köln-Desaster, in der Aachener Zeitung zu Wort. Allen offensichtlichen Missständen und Misstönen zum Trotz und die öffentliche Meinung beinahe verhöhnend sprach er von einem intakten Verhältnis zwischen Mannschaft und Trainer. Gleichzeitig bekräftigte er sein Vertrauen in Benbennek und dessen Arbeit.
Heute verteidigt die ehemalige Defensivkraft ihr Vorgehen: „Nach dem Köln-Spiel wollte ich keine vorschnellen Schuldzuweisungen und keinen hektischen Aktionismus in der Öffentlichkeit verbreiten. Deshalb habe ich in den Medien nicht vorschnell Fakten geschaffen, sondern wollte zunächst einmal Ruhe in den Verein bringen.“
Und auch der Aufsichtsratsvorsitzende der Alemannia Aachen GmbH, Dr. Christian Steinborn, stellte klar, dass man nicht hektisch reagieren werde und am ausgegebenen Fahrplan festhalten wolle. Nach der Lektüre des Artikels befürchtete die Mannschaft, dass sich nichts bewegen würde. Auch weil sie argwöhnte, dass die Dinge, die sie gegenüber Klitzpera und Deutz deutlich angesprochen hatte, gar nicht zu allen Mitgliedern des Gremiums durchgedrungen waren.
Verhandlungsmarathon
Alemannias Profis fassten den Entschluss, die Entscheidungsträger direkt anzusprechen. Noch am Abend des 30. November formulierte man bis tief in die Nacht ein Papier, das man den Räten persönlich erörtern wollte. Doch wenige Stunden später meldete sich Thomas Deutz überraschend bei einem Führungsspieler und schlug ein erneutes Treffen vor. Obwohl die Mehrheit skeptisch war, beschlossen die Spieler, das Angebot anzunehmen und auf die direkte Ansprache des gesamten Aufsichtsrates erst einmal zu verzichten.
Das Treffen mit Abgesandten des Kaders fand am Abend des 1. Dezember, dem Dienstag vor dem Pflichtspiel gegen Lotte, statt. Die Teamvertreter hätten erneut deutlich gemacht, dass man keine gemeinsame Zukunft mehr mit Christian Benbennek sehen würde. Deutz bat Alexander Klitzpera zu dem Gespräch hinzu. Dieser versicherte, noch am kommenden Tag die Lage mit dem gesamten Aufsichtsrat zu erörtern und eine Entscheidung herbeizuführen.
Und tatsächlich: Am Mittwochnachmittag überbrachte der Ex-Sportchef der aufbegehrenden Truppe eine Entscheidung. Doch die fiel so ganz anders aus, als es die Spieler gedacht hatten: Insgesamt seien sich die Kontrolleure zwar uneins gewesen. Doch am Ende hätte eine Trennung von Christian Benbennek nicht zur Diskussion gestanden. So die Botschaft aus dem Gremium.
Sämtliche Vorstöße über Alexander Klitzpera und Thomas Deutz hatten bis zu diesem Tag zu keinem Resultat im Sinne der Mannschaft geführt. Also beschloss diese, ihren Plan, sich selber direkt an den gesamten Aufsichtsrat zu wenden, nun tatsächlich umzusetzen. Sie holte das bereits formulierte Grundsatzpapier aus der Schublade. In ihm waren sämtliche Vorwürfe und Kritikpunkte aufgelistet: vom psychischen Druck über versuchte Bespitzelungen bis zu willkürlichen Bestrafungen und cholerischen Ausfällen.
„Unterschrieben war das Papier von allen Spielern mit Ausnahme von Taku Ito und Gilles Deusings. Da haben wir auf deren Sprachprobleme Rücksicht genommen.“
Ein Spieler der Alemannia
Angesprochen wurden darüber hinaus die mangelnde Fitness des Teams, die ungenügende Trainingsgestaltung sowie die Amtsenthebung des beliebten Torwarttrainers. „Unterschrieben war das Papier von allen Spielern mit Ausnahme von Taku Ito und Gilles Deusings. Da haben wir auf deren Sprachprobleme Rücksicht genommen“, beschreibt ein Spieler das Vorgehen.
Das Schreiben wurde sämtlichen Aufsichtsratsmitgliedern mit Ausnahme Thomas Deutz’ am 3. Dezember zugestellt. Ebenfalls auf der Empfängerliste standen die maßgeblichen Herren des Vereinspräsidiums: Präsident Heinz Maubach und Schatzmeister Horst Reimig. Die beiden behielten ihr Wissen anscheinend für sich.
Jedenfalls informierten sie den Verwaltungsrat – das Kontrollgremium des Vereins – nicht. Die Post ließ die Räte aufschrecken. Ihre Verteidigungslinie formulierten sie rasch. Ohne es zitierfähig auszusprechen, gelang es ihnen, den nachhaltigen Eindruck zu vermitteln, sie seien von der Entwicklung völlig überrascht worden.
Die Entscheidung
Der 4. Dezember, immerhin der Freitag vor der Heimbegegnung gegen den Spitzenreiter aus Lotte, geriet zum Tag der Krisendiplomatie. Eine wirkliche Vorbereitung auf das Spiel fand nicht statt. So traf sich der fast komplette Aufsichtsrat – Tim Hammer fehlte wegen einer Fernreise – mit den Vertretern des Profikaders. Bei dieser Gelegenheit beschwerten sich die Profis, dass sie den Eindruck hätten, hingehalten zu werden. Die Mannschaft wollte eine endgültige Lösung.
Am Ende reagierte der Aufsichtsrat. Er stellte Christian Benbennek frei. Diese Entscheidung sollte nach dem Spiel gegen die Ostwestfalen bekanntgegeben werden. Aber wie üblich in diesem Geschäft sickerte sie frühzeitig durch. Benbennek selber teilte dem Team seinen Abschied vor dem Anpfiff in der Kabine mit.
Doch mit der Demission Christian Benbenneks sollte die Angelegenheit noch nicht erledigt sein. Für Alexander Klitzpera stand fest, dass die Affäre weitreichendere Konsequenzen haben musste. Deshalb hätte er Vizekapitän Peter Hackenberg und den dritten Spielführer Frederic Löhe eindringlich aufgefordert, über einen offenen Brief auf die Fans zuzugehen und einige Dinge klarzustellen. „Die Mannschaft hat das abgelehnt. Offenbar befürchtete sie, dass dies als Schuldeingeständnis bewertet würde.“
Die Profis bestätigen diesen Vorgang grundsätzlich. Allerdings hätte man von ihnen verlangt, öffentlich zuzugeben, dass sie sich grundsätzlich falsch verhalten hätten. „In dieser Absolutheit konnten wir das nicht tun. Faktisch wäre es darauf hinausgelaufen, dass nur wir am Pranger gestanden hätten“, so einer der Protagonisten.
Hierarchien aufbrechen
Die Verantwortlichen um Klitzpera und den Aufsichtsrat hatten das Gefühl, die gewachsenen Strukturen im Team aufbrechen zu müssen, um eine vermeintliche Ordnung wiederherstellen zu können. „Wir wollten zur Winterpause Mentalität und Hierarchie des Teams verändern. Deshalb haben wir nach reiflicher Analyse und Überlegung die dazu notwendigen Personalentscheidungen getroffen“, bemüht sich der ausgemusterte Sportchef erstmalig um eine Begründung für die Suspendierungen.
„Wir wollten zur Winterpause Mentalität und Hierarchie des Teams verändern. Deshalb haben wir nach reiflicher Analyse und Überlegung die dazu notwendigen Personalentscheidungen getroffen.“
Alexander Klitzpera über die Verbannung dreier Leistungsträger und angeblicher Rädelsführer
Bis dato hat der Verein beharrlich geschwiegen. Doch man gibt zu, dass die Verbannung Hackenbergs und Löhes schwer vermittelbar gewesen sei. Zu gut sei der Ruf der beiden gewesen. Galten sie doch allerorts als großartige Sportsmänner und vorbildliche Profis mit einer tadellosen Berufsauffassung. Hoch angesehen bei Kollegen wie bei Offiziellen. Aktuelle wie ehemalige Kameraden meldeten sich später in aller Öffentlichkeit zu Wort, um gewaltige Lanzen für die beiden zu brechen. So Marcus Hoffmann, Dennis Dowidat und Raphael Garcia.
Auch Reiner Plaßhenrich, bis Ende der vergangenen Saison Co-Trainer bei den Profis, springt für seine ehemaligen Schützlinge in die Bresche: „Hackenberg ist eigentlich über jeden Zweifel erhaben. Der ist auf und neben dem Platz ein Vorbild. Löhe ist ebenfalls ein herausragender Sportsmann, auch wenn er polarisieren mag. Außerdem haben beide immer ihre Leistung gebracht und sich sogar kontinuierlich steigern können.“
Es ist eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet die Mannschaft dabei half, die unbequemen Vordenker loszuwerden. Nach dem letzten Vorrundenspiel am Tivoli hatte sich die Truppe den üblichen Gang zur Südtribüne demonstrativ erspart. Sie fühlte sich von den Fans missverstanden und zu Unrecht beschimpft. Denn das Publikum hatte die Truppe deutlich mit Missfallen bedacht. Klitzpera und andere Verantwortliche wollen Hackenberg und Löhe als diejenigen ausgemacht haben, die das Team gegen dessen eigene Anhänger aufgestachelt hätten.
Am 17. Dezember wurden Peter Hackenberg, Frederic Löhe und zudem Bastian Müller in die zweite Mannschaft strafversetzt. Mit der klaren Ansage, dass eine Rückkehr ins Profiteam ausgeschlossen sei. Unbeantwortet bleibt die Frage, warum man aus Gründen eines Hierarchieumbaus zwar den zweiten und dritten Spielführer aussortierte, den Kapitän aber verschonte. Unbeantwortet bleibt aber vor allem die Frage, warum man den Trainer opferte, wenn doch die Mannschaft nicht in der Spur lief. Oder warum man überall respektierte Leistungsträger opferte, wenn der Trainer ein Missverständnis war. Überhaupt bleibt einiges unbeantwortet.