Das war jetzt wirklich nicht Frithjof Kraemers Abend. Der Geschäftsführer der Aachener Alemannia wirkte wie der berühmte begossene Pudel, als er an diesem 20. Oktober 2008, kurz nach 21 Uhr vor Kamera und Mikrofon des Pay-TV-Kanals Premiere trat, um Rede und Antwort zu stehen. So manch einer hätte sich in dieser Situation auf ein törichtes „Kein Kommentar“ zurückgezogen. Kraemer jedoch stellte sich dem Unangenehmen. Wohl wissend, was auch in den nächsten Stunden passieren möge, es würde den Verein gewaltig durchrütteln. Ihm schwante, dass er als Chef der Fußball-GmbH in diesem aktuellen Schauspiel nur noch ausführendes Organ seines Aufsichtsrates sein würde.
Immerhin hatte Sportdirektor Jörg Schmadtke dem Fernsehpublikum weniger als eine Stunde zuvor, ummittelbar vor dem Anstoß des Meisterschaftsspiels gegen Mainz 05, live und in Farbe lakonisch verkündet, dass für ihn nach sieben Jahren zum Saisonende Schluss am Tivoli sei. Damit hatte der ob seiner Erfolge bei großen Teilen des zahlenden Volkes hoch im Kurs stehende Manager dem Aufsichtsrat eine mehr oder minder sorgfältig geplante Regie aus den Händen genommen.
Und der Sportdirektor setzte noch einen drauf. Während seines Halbzeitauftritts bei Premiere sprach er süffisant und mit unübersehbarer Geringschätzung von der GmbH, wenn er die Alemannia meinte. Unter dem Motto „Der Verein ist okay. Aber mit meinen Dienstherren habe ich abgeschlossen.“ Kraemer ahnte wohl, dass dieses Vorgehen das Fass bei den hohen Räten zum Überlaufen bringen würde und an eine rationale Lösung der Personalie Schmadtke nun nicht mehr zu denken war. Der Rest ist Geschichte. Eine Geschichte voller Widersprüche auf beiden Seiten, bei der sehr oft Eigentümlichkeiten, Eigenheiten und Eigensinnigkeiten eine entscheidende Rolle spielten.
Schwierige Person und vermeintliche Experten
Foto: Carl Brunn
Im Mittelpunkt steht auch knapp drei Monate nach seinem Rückzug in die Düsseldorfer Privatsphäre immer noch Jörg Schmadtke. Wie ein Schatten schwebt seine Person weiterhin über dem Tivoli. Schmadtke gilt weithin als „Querdenker“ und „schwierige Person“, auch weil das eine ohne das andere nicht zu haben ist. Selbst sehr wohlwollend urteilende Weggefährten gestehen ein, dass Teamfähigkeit und Kommunikationswillen nicht unbedingt zu seinen vornehmlichsten Eigenschaften gehören. Eine Begegnung mit ihm kann zu einer faszinierenden Lehrstunde in Sachen Fußball werden, aber ebenso zu einer zwiespältigen Erfahrung in Sachen Sozialverhalten.
Erik Meijer hatte das einmal auf den Punkt gebracht, als er meinte „Wenn Jörg schlechte Laune hatte, war man froh, wenn man ihm nicht begegnete.“ Im Mannschaftskreis galt Schmadtke jedenfalls als „professionell stur. Seine Meinung vertrat er immer energisch und hartnäckig: Auch dann, wenn er sie geändert hat“, erinnert sich Alexander Klitzpera. Verlassen konnte sich das Team hingegen immer auf ihren Chef, macht der Ex-Kapitän klar: „Sein Wort galt. Selbst die Versprechen, die er in schwierigen Situationen gegeben hat, wurden eingehalten.“
Auch für Tim Hammer, als Vizepräsident lange Jahre der starke Mann des Vereins, gestaltete sich die Zusammenarbeit mit Schmadtke nicht leicht. Während ihres fünfeinhalbjährigen gemeinsamen Wirkens für den Verein „ist es immer mal wieder zu Spannungen gekommen, weil er sich einfach nicht einbinden lassen wollte. Und ein gewisses Maß an Mannschaftsgeist und Kooperationswillen muss man einfordern dürfen. Und daran hat es eben öfters gehapert.“
Als erfolgreicher Unternehmer weiß Hammer allerdings auch, „dass fähige Manager keine einfachen Persönlichkeiten sind und nur dann effektiv arbeiten, wenn man ihnen nicht ins Handwerk pfuscht. Sicher kann man sich einen kommunikativeren Menschen vorstellen. Doch ein Typ wie Schmadtke nützt einem Verein manchmal mehr als ein eloquenter Blender.“
„Mit schwierigen Leuten entdeckt man Amerika, während die einfachen nur über den Hangeweiher paddeln.“
Ex-Präsidiumsmitglied Marcel Creutz hat ein Herz für Entdecker
Eine Einschätzung, die Marcel Creutz teilt, der bis August 2006 für den Sport zuständiges Präsidiumsmitglied und damit Schmadtkes Vorgesetzter war. Zwar litt auch er ab und an unter dem „verschlossenen Charakter“ seines leitenden Angestellten. „Doch mit schwierigen Leuten entdeckt man Amerika, während die einfachen nur über den Hangeweiher paddeln.“
Foto: Carl Brunn
Die jetzigen Entscheidungsträger der Alemannia jedenfalls warfen dem Erfolgsmenschen zunehmend dessen Hang zu Alleingängen vor. Nun goutiert man einsame Entscheidungen und eine konsequente Nichteinbindung in diesen Kreisen auf keinen Fall. „Das Problem ist, dass sich der ein oder andere schon immer für einen Experten in Sachen Fußball gehalten hat. Aber auch wenn ich jeden Tag in einem Gourmetrestaurant essen gehe, bin ich noch lange kein Spitzenkoch“, kommentiert Creutz die Gemengelage im Verein.
Aus seiner Sicht wäre es sogar fatal gewesen, hätte der Sportchef die Amts- und Würdenträger ständig in seine Pläne eingeweiht. „Wenn Schmadtke jedem Gremiumsmitglied beispielsweise seine Transferpläne offenbart hätte, wären die nicht besonders lange geheim geblieben. Diskretion ist nicht Jedermanns Sache.“ Creutz muss das wissen. Schließlich kennt er die meisten heutigen Würdenträger noch aus unzähligen gemeinsamen Sitzungen.
Gewiss fällt in der veröffentlichten Meinung immer wieder der Name Dr. Jürgen Lindens, wenn es um atmosphärische Störungen zwischen dem Sportdirektor und den Gremien geht. Wer sich indessen einmal genauer umschaut, der begegnet in diesem Zusammenhang sehr oft Franz-Wilhelm Hilgers. Der Vorstandssprecher der Aachener Bank ist zweiter Mann im Aufsichtsrat und seit Januar 2006 auch Vorstandsmitglied des Vereins. Hilgers, dem man eine gewisse Fußballferne nachsagt, gilt als zwar integrer Geschäftsmann aber auch als penibler Kontrolleur, der sämtliche Fäden gerne selber in der Hand hält.
„Jörg Schmadtke und ich hatten hier und da unterschiedliche Meinungen.“
Aufsichtsratsvize Franz-Wilhelm Hilgers gilt als penibler Kontrolleur
Einem solchen Mann muss ein manchmal starrköpfiger Macher wie Schmadtke nicht geheuer sein. Und tatsächlich begegnete er dem Sportdirektor trotz aller Erfolge und Leistungen immer kritisch. Schmadtke fragt sich jedenfalls bis heute, was er dem Banker denn getan habe, auch wenn Hilgers das nicht nachvollziehen kann. „Ich habe immer noch großen Respekt vor Jörg Schmadtke und seinen Erfolgen für den Verein. Das schließt aber nicht aus, dass wir hier und da unterschiedliche Meinungen hatten.“
Abmahnung und Rapport
Foto: Carl Brunn
Fürwahr scheinen diese „unterschiedlichen Meinungen“ zuweilen derart frappant gewesen zu sein, dass man dem Sportdirektor gerne schon einmal mit dem Instrument der Abmahnung drohte. Allein im Jahre 2006 gab es drei Initiativen. Die erste im Frühjahr nachdem der Erstligaaufstieg rechnerisch geschafft war. Da hatte der Manager in einem aufrüttelnden und mahnenden Interview einer sich abzeichnende Selbstzufriedenheit auf allen Vereinsebenen entgegenwirken wollen. Die Zurechtweisung passte einigen der feierlaunigen und stolzen Oberen nun gar nicht. Erst wollte man sogar den Rauswurf des Sportdirektors betreiben, um dann eine Abmahnung einzuklagen.
Nur wenige Wochen später, im Sommer, meinte man gleich zweimal einen Grund gefunden zu haben. Im Juli wechselte Mittelfeldspieler Goran Sukalo zur TuS Koblenz. An dem Transfer hatten die Gremienherren etwas auszusetzen. Der Vorwurf: Schmadtke hätte sich an dem Deal bereichern wollen. Anfang August sollte sich der Sportdirektor dann nach einer 0:6‑Niederlage im Saisonvorbereitungsspiel gegen Roda Kerkrade vor den Clubkadis rechtfertigen. Doch Schmadtke ignorierte die Aufforderung genervt, weil das Match von seinen Vorgesetzten gegen seinen Willen durchgedrückt worden war. Immerhin hatte man nur einen Tag zuvor bereits gegen Blackburn Rovers gespielt, und der Saisonstart folgte unmittelbar.
Letztendlich verliefen all diese Episoden im Sande. Offiziell ist dazu nichts zu hören. Franz-Wilhelm Hilgers verweist darauf, dass „solche Dinge grundsätzlich aus arbeits- und datenschutzrechtlichen Gründen nicht in der Öffentlichkeit diskutiert werden sollten.“
Gerne mischte man bei Transfers und Vertragsverlängerung mit. Beispielsweise wurde vor der Erstligasaison der Wechsel von Christian Tiffert verhindert. Die Vermögensberatung Creutz & Partner wollte die für den Transfer noch fehlende Summe von rund einer Million Euro gegen den damals üblichen Bankzinssatz vorstrecken. Allerdings verlangte Dr. Karl-Theo Strepp, damals wie heute Mitglied des Alemannia-Vorstandes, Sicherheiten von dem Unternehmen. Tatsächlich kann man trefflich darüber streiten, ob Transfers fremdfinanziert werden sollen. Aber es mutet schon seltsam an, dass der Geldgeber dem Darlehensnehmer Garantien vorlegen soll und nicht umgekehrt.
Auch die Verpflichtung Guido Buchwalds als Coach soll gegen das Votum des eigentlich für den Sport zuständigen Direktors aufgrund einer entsprechenden Meinungsbildung im Aufsichtsrat beschlossen worden sein. Freilich verneint Aufsichtsratsvize Hilgers eine übergebührliche Einflussnahme und spricht davon, dass „alle wesentlichen sportlichen Entscheidungen nur auf Empfehlung der sportlichen Leitung getroffen worden sind.“ Und das gelte auch für die Personalie Buchwald.
Nichtsdestotrotz musste sich Schmadtke ständig vor den Räten zu sportlichen Belangen erklären. Mal ging es darum, dass er die Zusammensetzung des Kaders und das sportliche Konzept erläutern sollte, bis hin zur Diskussion um einzelne Spieler. Dann war wieder die Leistung des Teams das Thema. So wurde er beispielsweise Anfang März 2008 nach einer 2:5‑Pleite gegen Greuther Fürth zum Rapport bestellt. Im September, nach dem hochnotpeinlichen Pokalaus beim SV Wehen-Wiesbaden, kam es erneut zu einer Vorladung. Nachdem das Team in einem wenig überzeugenden Spiel den SC Freiburg zu Hause geschlagen hatte, sah man für die angedrohte Aussprache indes zunächst keine Veranlassung mehr. Auf jeden Fall vermisste Schmadtke den uneingeschränkten Rückhalt bei den Gremien.
„Man muss den Sportdirektor ja wohl bitten dürfen, seine Pläne und Konzepte darzulegen. Das ist doch ein ganz normaler Vorgang“
Aufsichtsratschef Jürgen Linden führt gerne Aufsicht
Grundsätzlich haben Kontrollgremien in jedem Unternehmen das Recht, ja sogar die Pflicht, von ihren Führungskräften Rechenschaft zu fordern. Deshalb muss man Dr. Jürgen Linden, aktueller Chef des Kontrollorgans der Alemannia, zustimmen, wenn er meint, dass „man den Sportdirektor ja wohl bitten dürfen muss, seine Pläne und Konzepte darzulegen. Das ist doch ein ganz normaler Vorgang“.
Und da ist es auch nicht gerade dienlich, wenn der Angesprochene, Einladungen zu Aufsichtsratssitzungen geflissentlich ignoriert, so wie es dem manchmal kauzigen Schmadtke wohl schon Mal in den Sinn kam. Auch, wenn Teile des Rates nur recht wenig Einblicke in die Fußballmaterie haben. Immerhin hatte er in Oberbürgermeister Linden einen Gesprächspartner, der nun wahrlich nicht in dem Verdacht steht, eher seine eigenen Interessen als die der Alemannia im Blick zu haben. Der bewiesen hat, dass seine Motive in weit mehr als 20 Jahren Tätigkeit für den Verein das Wohl und Wehe des Clubs waren, unabhängig davon, ob es gerade förderlich für die politische Karriere war.
Nur Marionetten
Andererseits muss sich nicht nur Schmadtke die Frage stellen, ob man seinem erfolgreichen Sportchef nicht so viel Vertrauen entgegenbringen muss, dass zum Beispiel ein Bilanzziehen zweimal im Jahr reicht. Ist man am Tivoli also nicht geneigt, sich auf die Rolle des Kontrolleurs und strategischen Planers zu beschränken? Erliegt man zu leicht den Verlockungen des ungleich spannenderen Alltagsmanagements? Und dass, obwohl man die GmbH ausdrücklich auch mit dem Versprechen installiert hat, die anstehenden Aufgaben von Profis angehen zu lassen.
Jürgen Frantzen, seit zwei Jahren als Fanvertreter im Aufsichtsrat der Alemannia, will nicht verleugnen, dass „gerade bei einem Unternehmen, das als einzigen Geschäftszweck den Profifußball hat, die Abgrenzung zwischen den Aufgaben der strategischen Zielsetzung einerseits und dem operativen Geschäft andererseits gelegentlich schwierig ist. Und das nicht nur bei der Alemannia“.
„Wenn man gewisse Stellen schafft, muss man diese auch mit Kompetenzen und Verantwortlichkeiten ausstatten. Sonst hält man sich nur Marionetten.“
Vereinspräsident Horst Heinrichs hätte Schmadtkes Leine gerne lang gelassen
Vor diesem Hintergrund kann sich der in Gremienarbeit äußerst erfahrene Kommunalbeamte, der sich 2009 um das Amt des Bürgermeisters in der Gemeinde Titz bewirbt, vorstellen, dass Jörg Schmadtke durch die Vereinsstrukturen in seiner Kreativität „ein Stück weit“ eingeengt fühlte.
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Für Professor Horst Heinrichs, als Vereinspräsident automatisch Aufsichtsratsmitglied, eine eher schaurige Vorstellung. „Wenn man gewisse Stellen schafft, muss man diese auch mit Kompetenzen und Verantwortlichkeiten ausstatten. Sonst hält man sich nur Marionetten.“ In diesem Klima musste es über kurz oder lang zu extremen Spannungen kommen. Für Heinrichs hatte die jetzt vollzogene Trennung trotz der erheblichen Reibereien im Alltagsgeschäft denn auch „eine menschliche Komponente“. Vor allem das Verhältnis zwischen Dr. Linden und Jörg Schmadtke scheint sich mit der Zeit zerschlissen zu haben. Immerhin sprach der Aufsichtsratschef gegenüber der Lokalpresse jüngst davon, dass man die Psyche des Sportdirektors lange genug akzeptiert habe. Das Klima war zunehmend von Misstrauen geprägt.
Die Gremien vermissten nach den goldenen Jahren 2004 bis 2007 den Glanz des sportlichen Erfolges. Schmadtke wiederum schien plötzlich seine ganz eigene Agenda zu verfolgen. Im März 2008 erklärte er, seinen im Juni dieses Jahres auslaufenden Vertrag nicht verlängern zu wollen. Um dann, im September, eine ebenso späte wie überraschende Volte zu vollziehen, indem er in einem Zeitungsinterview von einer vorstellbaren Verlängerung des Engagements sprach. Schon kurz darauf, im Oktober, mokierte er sich darüber, dass aus seiner Sicht wichtige interne Dinge über seine Zukunft und die des Vereins in der Lokalpresse breitgetreten wurden. Die Atmosphäre vergiftete sich derart, dass zum Schluss wirklich harte Geschütze aufgefahren wurden.
Keine Entscheidungsgewalt
Endgültig besiegelt wurde die Trennung am Donnerstag, den 16. Oktober während eines abschließenden Gespräches zwischen Schmadtke, dem Aufsichtsrat und Geschäftsführer Frithjof Kraemer. Einen Tag später, also drei Tage vor dem ‚schwarzen Montag’ des Mainz-Spiels, traf sich Kraemer dann noch einmal mit dem scheidenden Sportdirektor, um die Details des Schmadtke-Abschieds festzuzurren. Dem Verein war daran gelegen, das Arbeitsverhältnis bereits zur nahenden Winterpause zu beenden.
Ein Ansinnen, das auch Schmadtke bis heute für logisch hält, um den Nachfolger so früh wie möglich in die sportliche Planung einbinden zu können. Nur den an diesem Freitag von Kraemer erläuterten Vorstellungen der Vereinsoffiziellen konnte er nichts abgewinnen: Beurlaubung ab dem 15. Dezember und als Gegenleistung für die halbjährige Freizeit Verzicht auf 40 Prozent des Gehaltes. Mit anderen Worten: Die Alemannia wollte den inzwischen ungeliebten Manager so schnell wie möglich vom Hof haben, scheute wegen der dann fälligen Abfindung jedoch die sofortige Vertragsauflösung. Stattdessen war man auf die Idee gekommen, Geld einzusparen.
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Bei einem in den Lokalmedien kolportierten Jahresgehalt von rund 600.000 Euro und einer Restlaufzeit von sechs Monaten wären das immerhin 120.000 Euro gewesen. Schmadtke fragte irritiert nach, warum er denn auf so einen Deal eingehen solle. Die Antwort, die er erhalten haben will, macht ihn heute noch wütend. ‚Weil wir Sie darum bitten’, soll Kraemer gesagt haben. Und: Solle er den Vorschlag nicht annehmen, würde man sich überlegen, das Gehalt des Sportdirektors via Medien öffentlich zu machen.
Mit der Aufforderung nach Gehaltsverzicht und einer Art Nötigungsversuch im Gepäck rückte Jörg Schmadtke ins Wochenende ab und beriet sich mit seiner Frau. Am Montagvormittag suchte er dann Frithjof Kraemer auf, um ihm sein Gegenangebot zu unterbreiten: die vom Verein gewünschte Beurlaubung zum Ende der Hinserie und eine Minderung des ausstehenden Gehaltes um 20 Prozent. Damit hatte man sich auf rund 60.000 Euro angenähert. Die Sache hätte sofort beschlossen und dann ohne weitere hässliche Nebengeräusche abgewickelt werden können.
Doch der Geschäftsführer, dem nach eigenem Bekunden „immer daran gelegen war, eine Lösung zu finden, die für beide Parteien gut war“, sah sich außerstande, selbst eine Entscheidung zu treffen. Vielmehr fühlte er sich in der Pflicht, den Aufsichtsrat einzubinden. Leider war keiner der Kontrolleure erreichbar. Und so musste er gegen 17.00 Uhr, also etwas mehr als drei Stunden vor dem Anpfiff des Mainz-Spiels, in Schmadtkes Büro gehen, um dem Sportdirektor zu eröffnen, dass man jetzt nichts festmachen könne.
„Jörg Schmadtke musste die Beurlaubung durch den Aufsichtsrat als Konsequenz ganz nüchtern einkalkulieren.“
Geschäftsführer Frithjof Kraemer zum Interview vor dem Mainz-Spiel
„Man kann so etwas nicht über’s Knie brechen. Gerade an einem Spieltag nicht, an dem man noch ganz andere Dinge zu erledigen hat“, erklärt der GmbH-Chef heute. Schmadtke jedenfalls hatte das, was er später als „Herumgeeiere“ bezeichnete, satt und beschloss, das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen. Nicht nur Kraemer glaubt an eine gezielte und berechnende Aktion. „Jörg Schmadtke musste die Beurlaubung durch den Aufsichtsrat als Konsequenz ganz nüchtern einkalkulieren. Er ist keiner, der etwas emotional einfach aus dem Bauch heraus unternimmt.“
Diese Rechnung ging auf. Zu Ungunsten des Vereins. Nur weil der Geschäftsführer der GmbH anscheinend selbst bei einer Summe von 60.000 Euro das Plazet des Aufsichtsrats benötigt, zahlt die Alemannia dem entsorgten Sportdirektor jetzt offenbar sein volles Gehalt aus. Es klingt wie Ironie: Aber es ist wohl letztendlich ausgerechnet der Kontrollwut des Aufsichtsrats und dessen Misstrauen in die Leistungsfähigkeit der eigenen Angestellten geschuldet, dass die Alemannia angeschlagen aus der Affäre ging.
Eher kläglich muteten dann die Versuche der Verantwortlichen an, den schwarzen Peter allein Jörg Schmadtke zuzuschieben. In den Tagen danach war viel von einem überraschenden Entschluss des Managers die Rede. Man beschwerte sich, dass dieser vorgeprescht sei, ohne dass eine gemeinsame Entscheidung vorgelegen hätte. Alles Nebelkerzen.
Bereits im März 2008 wollte der Verein die sofortige Trennung, scheute lediglich die von Schmadtke geforderte Abfindung. Danach hat es eine wirkliche Bereitschaft zur Fortführung der Zusammenarbeit niemals mehr gegeben. Und von einer vorschnellen einseitigen Verkündigung des Abschieds kann ja wohl auch nicht die Rede sein, wenn lediglich letzte Details der finanziellen Rahmenbedingungen zu regeln waren.
Viel auf dem Spiel
Es ist beklagenswert, dass man sich nicht zusammenraufen konnte. Dass im Grunde genommen zwei Personen, denen man durchaus zugestehen kann, stets im Sinne des Vereins gehandelt zu haben, keinen Modus Operandi fanden, wie man die Kräfte für das Fortkommen der Alemannia hätte bündeln können. Nicht trotz zweier sich gegenüber stehenden starker Egos, sondern gerade wegen solch ausgeprägter Persönlichkeiten. Für die zu haben, so manch ein Erstligaclub dankbar wäre.
„Jörg Schmadtke war für die Alemannia ein Glücksfall. Die Alemannia aber auch für ihn.“
Marcel Creutz über die sieben Schmadtke-Jahre in Aachen
„Jörg Schmadtke war für die Alemannia ein Glücksfall. Die Alemannia aber auch für ihn“, urteilt Marcel Creutz. Beide haben also voneinander profitiert. Jetzt muss es für den Tivoli-Club darum gehen, den von Schmadtke eingeschlagenen Weg kontinuierlich weiterzugehen und nicht Konzepte so mir nichts über Bord zu werfen, nur weil ein neuer Kopf verantwortlich ist. Es steht viel auf dem Spiel. Für den neuen Sportdirektor. Für den Aufsichtsrat. Und vor allem für die Alemannia.