Zur Sorte 24/7‑Alemannin gehört sie nicht. Ihr Bezugsrahmen ist nicht ausschließlich schwarz-gelb angepinselt. Ihr Horizont reicht über die Soers hinaus. So hat sie sich auch schon mal fünf Jahre Abstinenz vom Tivoligeschehen gegönnt. Ohnehin befand sich ihr Feuchtbiotop während der wilden Zeit der späten 80er in der Region Hauptquartier und Intensivstation. Sozusagen im Underground der Öcher Ausgehszene.
Da ist es stimmig, dass sie sich auch im Kreise Aachener „Alt-Autonomen“ wohl fühlte. Claudia Press unterscheidet zwischen „Alemannia und privat“. Die 57-Jährige lacht kurz auf, als sie merkt, was sie da gesagt hat. Doch sie lässt es stehen. „Klingt bescheuert. Trifft es aber.“ Andererseits lässt sich die Relevanz dieses gewohnheitsmäßig tumultuösen Vereins wohl kaum zugespitzter skizzieren. „Alemannia und privat“.
Eigentlich war das von Anfang an so. Im Gegensatz zu manch anderem verfiel sie dem Reiz des schwarz-gelben Milieus nicht Knall auf Fall als sie mit neun Jahren zum ersten Mal den Tivoli betrat. Vielleicht geht so etwas auch gar nicht, wenn man lediglich das Alibi für den im elterlichen Hotelbetrieb angestellten Oberkellner sein darf. Mit der Tochter des Chefs an der Hand lässt sich die Arbeitszeit nun mal nachspielgefeiter flexibel gestalten. „Für mich war das im besten Fall mehr Abenteuer als Interesse oder gar Leidenschaft“ erinnert sich Claudia.
Das änderte sich auch nicht wesentlich, nachdem sie sich von der Servicekraft emanzipiert hatte. Als junger Teenie pilgerte sie zwar mit einer Klassenkameradin zur Krefelder Straße. Doch eher halbherzig und nur, bis sie sechzehn war. Dann wurden andere Dinge endgültig wichtiger. Vor allem das Volleyballspielen. Claudia schmetterte und baggerte im Trikot von Hertha Walheim. Und das mit solcher Hingabe, „dass mich die Alemannia während dieser Zeit überhaupt nicht interessierte.“
Lange fünf Jahre blieb Claudia Press clean. Bis sie eines Abends Anfang der 90er Jahre im Degraa am Fischmarkt auf den nahezu legendären und einschlägig beleumundeten Ulrich Hundertmark traf. Der brachte sie wieder mit dem Suchtmittel TSV in Kontakt. „Ulze schleppte mich in den T‑Block auf der Überdachten. Schon beim ersten Spiel waren die Dämme gebrochen und ich war voll infiziert“, blickt sie zurück. Schnell und leicht fand sie sich im geselligen Kreis der Robert Jacobs, Alex Weihrauchs und Markus Bucks zurecht. Später bewegte sie sich zudem im Umfeld der Supporters. In deren Nähe, im Block O6, ist bis heute ihr Stadionstammplatz.
Nun ist Claudia Press der Typ Frau, der etwas entweder gar nicht oder unter vollen Segeln macht. Als gelernte Köchin ist das Ärmelraufkrempeln für sie triftig. Man muss ihr die Baustellen nicht zeigen. Sie sieht sie, mischt sich ein und packt an. Durchaus streitbar und meinungsstark. Mit dieser Attitüde stürzte sie sich denn auch in die zweite Phase ihres Fandaseins.
Schon im Sommer 1993 engagierte sie sich an der Seite unter anderem von Robert Jacobs, Alex Weihrauch und Markus Buck in der Fan-IG, dem Dachverband der Alemannia-Anhänger. „Ich wollte etwas für den normalen Fan tun. Der sollte endlich eine Stimme bekommen, die bei den Vereinsverantwortlichen gehört wurde.“ Noch im gleichen Jahr trat sie dem Fanclub Die Kaiserlichen bei. Und auch um die jüngsten Anhänger kümmerte sie sich. Ab 2000 arbeitete sie für rund vier Jahre im Junior Club des Vereins mit. Gemeinsam mit Frank Hansen, dem Leiter des Projektes, organisierte und betreute sie zum Beispiel ein Junior-Fanzine, Ausflüge und diverse Aktionen.
So voller Überzeugung sie sich für die Alemannia und deren Fans engagiert hatte, so klar und wenig romantisierend ist heute ihr Blick in den Rückspiegel. Die Bindungen bei den Kaiserlichen existieren nicht mehr. Das sei schleichend ausgelaufen. Da sei kaum etwas geblieben. Die Gründung der Fan-IG wiederum sei zwar wichtig und richtig gewesen, aber man habe zunächst nicht das erreichen können, was man sich vorgenommen hatte. „Da waren wir etwas naiv. Wir waren noch zu unbedeutend. Kein Vergleich zu späteren Zeiten, als Köpfe wie Achim Foki und Dirk Heinhuis das Thema Mitbestimmung richtig nach vorne treiben konnten.“
Und dennoch: Von der Droge TSV ist Claudia Press nicht mehr losgekommen und will das auch gar nicht. „Ich gehe immer noch mit einer riesigen Freude zum Tivoli und finde es da immer noch großartig. Und ich bin da keinen Deut gelassener als vor 30 Jahren.“ Nichtsdestotrotz vermisst sie ein wenig das Feeling der 90er und frühen Nuller Jahre. „Die Tivoli-Atmosphäre ist nicht mehr die Tivoli-Atmosphäre, die damals jeden in ihren Bann gezogen hat. Damals stand die Alemannia im Fokus. Die Mannschaft wurde angefeuert und gefeiert. Heute habe ich oft den Eindruck, dass man sich lieber selber feiert. Dass das Ultra-Sein wichtiger ist, als das, was auf dem Rasen geschieht und die Alemannia nur als Mittel zum Zweck dient.“
Bei allem Enthusiasmus für den Verein: Das Erlebnis Alemannia beschränkt sich für Claudia zurzeit weitestgehend auf den Spieltag. Hier trifft sie unzählige Leute, die sie im Laufe der Jahre kennengelernt hat. Ein ‚Hallo‘ hier, ein ‚Wie geht’s?‘ da. Fachsimpeln über Spiel, Team und Verein. Schwelgen in Erinnerungen. Das war’s dann aber auch. Darüber hinaus gehende Beziehungen mit ausschließlich Alemannia-Bezug gebe es kaum mehr. Mit einer Ausnahme: Zu Robert Jacobs sei das Verhältnis ein sehr inniges geworden. „Wir sind echte Freunde geworden. Weit über die Alemannia hinaus.“ Alemannia und privat eben.