Ange­li­ka Jahn

aka Stupsi


Foto: Carl Brunn

4 Min. Lesezeit

Ein nie um eine flot­te Ansa­ge ver­le­ge­nes Mund­werk. Eher schrof­fe Kan­te denn sanf­te Hand. Immer mit­ten­mang oder bes­ser: vor­ne weg. Sie war authen­tisch bis zur Schmerz­gren­ze und manch­mal darüber hin­aus. Sie war eine Aus­nah­me­erschei­nung im männ­lich­keits­prot­zi­gen Kos­mos her­an­wach­sen­der Fuß­ball­fans der 80er Jah­re. Sie hat­te Stan­ding und genoss Respekt. Sogar bei den rau­bau­zi­ge­ren Gemütern. Ange­li­ka Reu­ters war die Blau­pau­se eines Riot Grrrls. Ein Natur­er­eig­nis, Aller­or­ten bekannt unter ihrem Spitz­na­men Stup­si. Oder soll­te man bes­ser sagen: Kampfname?

Aus Reu­ters ist inzwi­schen Jahn gewor­den. Aus dem Girl eine 57-jäh­ri­ge Frau und Mut­ter. Nicht ver­lo­schen ist jedoch ihre kate­go­ri­sche Treue zur Alemannia. Nach wie vor ver­sucht sie, jedes Spiel der Kar­tof­fel­kä­fer zu sehen. Ob am hei­mi­schen Tivo­li oder aus­wärts. In der Regel tut sie das im Krei­se der vor sie­ben Jah­ren wie­der­be­leb­ten Black Eagles. „Dort, wo all das Elend sei­nen Anfang genom­men hat“, wie sie grin­send aufklärt.

Foto: Carl Brunn

Das war im Som­mer 1979. Bis dahin war Klein-Ange­li­ka an der Hand ihres Papas öfters zum Mön­chen­glad­ba­cher Bökel­berg gepil­gert. Ihr fuß­ball­be­geis­ter­ter Vater schwärm­te nun mal für die Foh­len. Was soll man machen? Bis ein Bekann­ter der Fami­lie eine bes­se­re Idee hat­te. Er bot an, sie statt­des­sen zum Aache­ner Tivo­li mit­zu­neh­men. Sie sag­te zu. Pre­mie­re war der 25. August 1979. Pokal­spiel gegen Erst­li­gist Wer­der Bre­men. Sitz­platz.

Doch Ange­li­ka hat­te kei­nen Blick für das Rasen­ge­sche­hen. „Ich habe eigent­lich nur zum Würselener Wall geschaut. Die­ses Tam­tam, die­se Gesän­ge. Das hat mich völ­lig in den Bann gezo­gen. Das war viel inten­si­ver und wil­der als in Glad­bach. Ich war schon damals als knapp 14-Jäh­ri­ge nicht gera­de der Typ Heim­chen in der Stu­be. Folg­lich pack­te mich das. Mir war sofort klar: Da muss ich mit­mi­schen.“ Aber wie soll­te sie das anstellen?

Der Zufall hielt ihr den Steigbügel. Auf dem Rückweg vom Wer­der-Spiel fiel ihr an einer Haustür in unmit­tel­ba­rer Nach­bar­schaft zur elter­li­chen Woh­nung ein hand­ge­mach­tes Schild auf: ‚Alemannia Aachen Fan­club. Sup­port­ers Club Black Yel­low‘ war dar­auf zu lesen. Inklu­si­ve des Namens Nor­bert Met­zen sowie einer Tele­fon­num­mer. Dass es sich dabei um die führende Figur der ale­man­ni­schen Rabau­ken­sze­ne han­del­te, ahn­te sie nicht. Es hät­te sie wohl auch nicht abgeschreckt.

Zuhau­se ange­kom­men, wähl­te sie kurz­ent­schlos­sen besag­te Num­mer. Aus die­sem ers­ten vor­sich­ti­gen Kon­takt ent­wi­ckel­ten sich Freund­schaf­ten. Zwei der Jungs schlepp­te sie ins Haus Seve­nig nach Maria­dorf. Wo ihnen ande­re jun­ge Alemannia-Fans begeg­ne­ten. Rasch bil­de­te sich eine Grup­pe, aus der sich noch im glei­chen Jahr der Fan­club Black Eagles gründete.

Foto: Black Eagles

Der Rest war eine Jugend in schwarz-gel­ber Maß­lo­sig­keit. Stup­si blieb stets mit­ten­drin. Sie ließ so gut wie nichts aus und schon gar nichts anbren­nen. Sie ver­kroch sich nicht, wenn es auf frem­dem Ter­rain ungemütlich wur­de. Sie mar­schier­te vor­weg, wenn man am Tivo­li in der Halb­zeit den Kon­takt zu Gäs­te­fans such­te. Sie klet­ter­te bei Heim­spie­len über den Zaun, um im Mit­tel­kreis das damals obli­ga­to­ri­sche Bet­ri­tu­al zu voll­zie­hen. Würde sie sich im Rückblick als Hoo­li­gan bezeichnen?

Sonst sel­ten um eine Ant­wort ver­le­gen, lässt sie sich Zeit. „Ich war bestimmt kein Kind von Trau­rig­keit. Eine gro­ße Klap­pe hat­te ich sowie­so. Und weg­ge­lau­fen bin ich auch nicht. Aber ein Hoo­li­gan? Nein. Wir sind Aus­ein­an­der­set­zun­gen nicht aus dem Weg gegan­gen. Wir haben sie manch­mal sogar gesucht. Doch eigent­lich blieb es bei harm­lo­sen Ran­ge­lei­en und Verbalscharmützeln. Ich kann aller­dings ver­ste­hen, wenn mir Außen­ste­hen­de die­ses Eti­kett umhän­gen woll­ten.“ Zur Wahr­heit gehört frei­lich auch, dass die Cli­que nicht gera­de zum Kaf­fee­kränz­chen ein­lud, wenn sie unter­wegs war. Nicht immer war es nur harm­lo­se schwarz-gel­be Folk­lo­re, was man zur Aufführung brachte.

Das Anders­sein, das Unge­brems­te, das Gefühl des Aben­teu­ers wären das gewe­sen, was sie gereizt hät­te, meint Ange­li­ka Jahn im Rückblick. „Weil man nie genau wuss­te, was pas­sie­ren würde“, erklärt sie. Wäh­rend sie in der Schu­le die bra­ve Ange­li­ka gewe­sen wäre, hät­te sie beim Fuß­ball die wil­de Stup­si sein kön­nen. Wel­che Rol­le ihr bes­ser gefiel, ist unschwer zu erra­ten. Angst hät­te sie jeden­falls nie gehabt. „Ich fühlte mich immer von den Jungs gut beschützt. Die hat­ten stets ein Auge auf mich.“ Sogar ein Platz in der Alemannias Fan-His­to­rie dürfte ihr sicher sein. Sie gehör­te 1989 zu den Initia­to­ren, der bis heu­te bestehen­den engen Freund­schaft zu den nie­der­län­di­schen Nach­barn aus Kerk­ra­de.

Stup­sis Flashback

„Im August 1984 sind wir mit der gesam­ten Kapel­le zum Aus­wärts­spiel nach Ber­lin bei Blau-Weiß gefah­ren. Wir muss­ten also auf dem Tran­sit­weg durch die dama­li­ge DDR. An der Gren­ze wur­den wir von der Volks­po­li­zei inspi­ziert. Wir muss­ten einen Plan vor­zei­gen, auf dem exakt ver­zeich­net war, wo wel­che Per­son saß. Einer der VoPos beschwer­te sich, dass die Noti­zen kein Schwein lesen kön­ne. Nor­bert Met­zen ent­schul­dig­te sich mit den Wor­ten, dass er ja nicht hät­te wis­sen kön­nen, dass an der Gren­ze Schwei­ne kon­trol­lie­ren würden. Der Ordnungshüter fand das nicht ganz so lus­tig und blaff­te Nor­bert an: ‚Du bist wohl aus der Mup­pet­show.‘ Und Met­zen, nicht mund­faul, keil­te sofort zurück: ‚Die DDR guckt also West­fern­se­hen. Da kann sie sich mal in Far­be sehen.“ Noch bes­ser wur­de es, als die Poli­zis­ten die zwei Taub­stum­me kon­trol­lie­ren woll­ten, die öfters mit uns fuh­ren. Die reagier­ten ein­fach nicht auf die VoPos. Wie denn auch? Doch die mach­ten ein­fach wei­ter. Uns als die Fra­ge kam, was die Bei­den denn beruf­lich machen würden, ant­wor­te Met­zen: ‚Die arbei­ten bei der Tele­fon­aus­kunft.‘ Wir ande­ren haben vor Lachen auf dem Boden gele­gen. Aber eigent­lich war das nicht so wit­zig. Die VoPos fühlten sich sicht­lich auf den Arm genom­men. Und am Ende saßen die am län­ge­ren Hebel. Die hät­ten uns ein­fach erst­mal dabe­hal­ten und dann wie­der zurückschicken kön­nen. Doch sie begnügten sich damit, sich mit der Überprüfung der Aus­wei­se beson­ders viel Zeit zu lassen.“

Bedin­gungs­lo­se Freund­schaft sei auch das gewe­sen, was sie in der bis­her schwers­ten Pha­se ihres Lebens erfah­ren hät­te. Ostern 2015 verunglückte ihr damals 16-Jäh­ri­ger Sohn schwer. „Die Leu­te aus der Alemannia-Sze­ne waren per­ma­nent für mich da. Sie kamen sogar wäh­rend der Reha-Pha­se täg­lich nach Münster, um uns zu unterstützen“, erin­nert sie sich. Neben den Aache­nern sei­en auch Kerk­ra­der, Eupe­ner und sogar Bon­ner zur Stel­le gewe­sen, wenn man sie gebraucht hätte.

„Ins­ge­samt war es eine gei­le Zeit“, blickt Ange­li­ka zurück. „Aber irgend­wann ver­schie­ben sich halt die Prio­ri­tä­ten.“ Mit etwa 30 Jah­ren begann sie, auf die Brem­se zu tre­ten. Doch die Lei­den­schaft sei geblie­ben. Nur lebe sie die­se mitt­ler­wei­le zivi­li­sier­ter aus. „Auch wenn man die eine oder ande­re ver­ba­le Ent­glei­sung immer noch nicht ver­mei­den kann. Will ich auch gar nicht.“ In sol­chen Momen­ten bleibt Ange­li­ka dann doch der Stup­si treu.

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Als wir die ersten Buchstaben tippten, um unsere fixe Idee eines Alemannia-Magazins in die Tat umzusetzen, spielte Henri Heeren noch in Schwarz-Gelb. Jupp Ivanovic machte drei Buden am Millerntor und trotzdem träumte niemand von Bundesliga oder Europapokal. Das ist lange her. In der Zwischenzeit waren wir mit dem TSV ganz oben. Wir sind mit ihm ziemlich unten. Aufgehört haben wir unterwegs irgendwie nie. Neue Ausgaben kamen mal in größeren, mal in kleineren Abständen. Und jetzt schreiben wir halt auch noch das Internet voll.

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