Hier, hinter der Fassade eines hochmodernen Stadionbaus mit seinen schicken Büros, Aufzügen, Shops und Logen vermutet man eher die zurückhaltende Arroganz des Erfolges. Doch nichts davon. Die Herren Manager geben sich umgänglich und aufgeschlossen. Bei Kaffee und Gebäck plaudern sie freimütig, beantworten die Fragen, lassen sich jede Zeit der Welt. Die Lockerheit und Geradlinigkeit ist entwaffnend. Vielleicht ist das so gewollt.
Vermutlich ist es sogar Ausdruck dieser ganz speziellen Art unserer westlichen Nachbarn. Sie machen Geschäfte, wie sie Fußball spielen: entkrampft, aber unnachgiebig, charmant, aber angriffslustig, dem Kollektiv verpflichtet, aber der Individualität huldigend. Willkommen in den Niederlanden, willkommen bei Roda JC Kerkrade.
Foto: Carl Brunn
Von den Zuschauern abhängig
Der Club gehört nach den alles beherrschenden Dreien – Ajax, PSV und Feyenoord – inzwischen zu den etablierten Vereinen in der holländischen Eeredivisie. Ein Platz im UEFA-Cup ist beinahe zur Selbstverständlichkeit geworden. Und das alles mit einem Jahresetat, der sich mit rund zehn Millionen Euro auf dem höchstens mittleren Wert von Vereinen wie FC Utrecht, Willem II Tilburg oder SC Heerenveen einpendelt.
Die Einnahmesituation des Vereins ist keine leichte. Die Zahl potenter Sponsoren ist eher überschaubar. TV-Gelder fließen in Hollands erster Liga nicht ganz so üppig wie in der deutschen Bundesliga und machen höchstens 30 Prozent des Etats aus. Zudem orientieren sie sich am Tabellenplatz. Und da sind die wirklich einträglichen Ränge eins bis drei von vornherein an die Phalanx der Renommiervereine aus Amsterdam, Eindhoven und Rotterdam vergeben.
„Wir sind deshalb sehr von den Zuschauern abhängig, müssen allerdings auch hier behutsam vorgehen und die Möglichkeiten der Menschen in dieser Region berücksichtigen“, erklärt Frank Rutten.
Der General Manager spricht die Preispolitik des Vereins an. Die ist äußerst moderat. So kostet ein Ticket in der komplett überdachten Sitzplatzarena auf der Gegentribüne 21 und auf der Westtribüne 13 Euro. Im Schnitt liegen die Eintrittspreise damit deutlich unter Liganiveau.
Kein Ritt auf der Rasierklinge
Ist man vor diesem Hintergrund nicht auf Gedeih und Verderb vom internationalen Geschäft abhängig? Zieht das nicht automatisch hohe Investitionen, etwa in Spieler, nach sich? Darauf hat Frank Rutten eine deutliche Antwort: „Nein. Wir sind auf das internationale Geschäft nicht angewiesen. Und das wollen wir auch unter allen Umständen vermeiden. In der ersten und zweiten Runde hat man es in der Regel mit einem unattraktiven Gegner zu tun. Da springt nichts raus. Die wirklich lohnenden Runden sind für uns jedoch unter normalen Umständen nur sehr schwer zu erreichen. Um das zu ändern, müssten wir gefährlich viel in den Kader investieren. Dann wiederum würde die Saison zu einem Ritt auf der Rasierklinge. Ohne uns! Wir sind völlig schuldenfrei und wollen das auch bleiben.“
„Wir sind auf das internationale Geschäft nicht angewiesen.“
Frank Rutten, General Manager Roda JC
Folgerichtig ist Rodas Equipe auch nicht mit teuren Stars bestückt, sondern mit vielen jungen und ehrgeizigen Spielern. „Unsere Jungs verdienen sicherlich nicht schlecht. Doch es darf nicht das Grundgehalt sein, das sie in erster Linie zu uns zieht. Es sind vielmehr atmosphärische Faktoren wie Ruhe im Verein, Vertrauen in die Menschen, professionelle Strukturen und Sicherheit. Wir waren im Gegensatz zu vielen anderen Vereinen noch immer in der Lage, unseren Verpflichtungen gegenüber den Spielern nachzukommen“, betont der General Manager.
Logen als Goldgrube
Aber wie funktioniert das Roda-System? Wie ist es einem Club aus einer 50.000-Seelen-Gemeinde möglich, eine so gute Rolle in der Eliteliga seines Landes zu spielen? Für Frank Rutten markiert der Umzug vom altehrwürdigen, aber völlig maroden Stadion Kaalheide in das moderne Parkstad Limburg Stadion, kurz PLS, das wohl wichtigste Datum der Vereinsgeschichte: „Wenn man weitgehend von den Zuschauereinnahmen lebt, dann muss man den zahlenden Gast in allen Punkten zufrieden stellen können. Den Fan auf der Westtribüne ebenso wie den Geschäftsmann, der seinem Kunden etwas bieten will. Und hierfür liefert nur ein modernes Stadion wie das PLS die besten Voraussetzungen.“
Nimmt man die nüchternen Zahlen als Maßstab, hat das Management den richtigen Schritt getan. Verirrten sich früher bei Erstligaspielen noch durchschnittlich etwa 7.000 Zuschauer nach Kaalheide, so besuchen heute rund 14.000 Menschen jede Begegnung in Rodas neuer Heimat. Doch als wirklich entscheidend erwies sich der Einbau von Zuschauerlogen. Denn die Vermietung der insgesamt zwei Dutzend „Sky Boxen“ spült mehr Geld in die Kassen als der Verkauf aller anderen Tickets zusammengenommen.
Die Fans sehen das etwas differenzierter. „Wir haben hier etwa 11.000 Menschen mit einer Saisonkarte. Das ist ein gewaltiges Potenzial. Die dürfen nicht vernachlässigt werden“, meint Marcel Bakker von der bereits 1961 gegründeten „Supportersvereiniging Roda JC“, der ältesten Fanorganisation des Clubs. Der 24-Jährige ist der Sohn des inzwischen 67-jährigen Mitbegründers der Supportersvereiniging, Henk Bakker. Der Filius ist sich wie die meisten auch sicher, dass der Stadionneubau notwendig war. „Obwohl die Atmosphäre auf Kaalheide besser war.“ Und Stolz schwingt mit, wenn der eingefleischte Rodafan erzählt, dass das Parkstad Limburg Stadion neben der „Amsterdam Arena“ und dem Rotterdamer „De Kuip“ zu den drei schönsten Stadien der Niederlande gezählt wird.
„Die Meinung der Fans wird gehört und, soweit es geht, berücksichtigt.“
Frank Rutten über turnusmäßige Sitzungen mit den organisierten Roda-Anhängern
Dem Argwohn zum Trotz arbeitet die Clubführung intensiv am Verhältnis zum Fan. So findet alle sechs bis acht Wochen eine ausführliche Besprechung mit den drei vom Verein offiziell anerkannten Gruppierungen statt. Neben der Supportersvereiniging sind dies noch die „Westside Ultras“, sowei das „Fanproject 98“. Bei diesen Meetings werden die organisierten Anhänger über wichtige Entscheidungen informiert. „Ihre Meinung wird gehört und, soweit es geht, berücksichtigt“, versichert Frank Rutten. Fansenior Henk Bakker bestätigt das entspannte Verhältnis: „Die Zusammenarbeit klappt seit der Gründung der SV gut.“
Foto: Carl Brunn
Ausgeklügeltes Zuschauermarketing
Überhaupt ist Zuschauermarketing für die Macher am Roda J.C. Ring 1 zum maßgeblichsten aller unternehmensstrategischen Instrumente geworden. Dabei spielt die Clubkaart eine Schlüsselrolle. Ihre Vorlage ist Voraussetzung für den Erwerb eines Heimspieltickets. Eingeführt als Maßnahme, um unerwünschte Gäste fernzuhalten, ist sie inzwischen ein universelles Bindeglied zum Roda-Kunden.
Die Karte ist nicht nur das einzig akzeptierte Zahlungsmittel im Stadion, sondern registriert zum Beispiel auch jeden PLS-Besuch ihres Inhabers penibel. „Wir können so auf eine umfassende Datenbank zurückgreifen, die uns ermöglicht, jedem Fan maßgeschneiderte Angebote zu machen. Wenn wir beispielsweise feststellen, dass sich jemand nur Tickets gegen die drei großen Clubs kauft, können wir ihn im Vorfeld der Spiele anschreiben und ihm ‚seinen’ Sitzplatz reservieren“, beschreibt Marcel Michiels einen Nutzen der sechs Euro teuren Karte.
Darüber hinaus verweist der für das Marketing verantwortliche Roda-Geschäftsführer auf eine ganze Palette von Hochglanzpublikationen, die der registrierte Rodafan vom Verein kostenlos erhält. Glanzstück ist dabei das sechs Mal jährlich erscheinende Fußballmagazin „Rodaction“, das sich in seiner Machart an jedem Kiosk gut verkaufen ließe.
Für Marcel Michiels ist jedoch die Arbeit außerhalb des Stadions beinahe noch wichtiger. Denn das Roda-Publikum „ist zu alt. Wir müssen uns schon heute vor allem darum kümmern, dass wir auch morgen noch Anhänger haben.“ Und so geht der Verein aktiv auf die Menschen in der Region zu. Für die Schulen gibt es ein spezielles Lernheft zum Rechnen und Schreiben. Das gerade angelaufene Projekt „TeamPlay“ wendet sich an Kinder und Jugendliche aus schwierigen Umfeldern. Solche Kids erhalten Spieler der ersten Mannschaft als Mentoren und werden regelmäßig zu Trainings eingeladen.
„Wir müssen uns schon heute darum kümmern, dass wir auch morgen noch Anhänger haben.“
Marcel Michiels, Roda-Geschäftsführer Marketing
Die jüngste Idee der Roda-Führung ist eine Zeitung, die zweimal jährlich an alle Haushalte der Region kostenlos verteilt wird. „Das sind nur drei Beispiele für unser Bemühen, Roda JC im öffentlichen Leben und im Bewusstsein der Menschen Südlimburgs fest zu verankern“, beschreibt Marcel Michiels die Strategie. Und das ist auch notwendig, glaubt man zumindest Marcel Bakker. Denn der sieht deutliche Unterschiede zwischen Deutschland und den Niederlanden in der Beziehung der Fans zu „ihrem“ Verein: „Im Vergleich zu den Deutschen denken wir beim Vereinsfußball eher rational. Die Verbundenheit zum Club ist hier nicht so groß wie zum Beispiel in Aachen oder auf Schalke.“
Nein zum FC Limburg
Im Gespräch mit dem Roda-Management geht es auffällig häufig um „Ertragsmaximierung“, „Databased Management“ oder „Customer Relations Management“. Mit der Begriffswelt eines klassischen Vereinslebens hat das nichts mehr zu tun. Da verwundert es auch nicht, wenn ab und an die Bokabel „Fusion“ en vogue wird. Immer mal wieder bastelten in der Vergangenheit manche Denker gerne am Modell eines „FC Limburg“. Und ganz aus den Köpfen scheint ein Zusammenschluss von Roda JC, MVV Maastricht und Fortuna Sittard zu einem neuen Großverein nicht zu sein.
Foto: Carl Brunn
Jedenfalls wird über einen solchen Schritt im offiziellen Internetforum einmal mehr heftig diskutiert. Doch Frank Rutten erteilt solchen Gedankenspielen inzwischen eine deutliche Absage: „Das Projekt stand wirklich einmal im Raum. Die stille Mehrheit der Fans hätte den Entschluss sogar akzeptiert. Doch letztendlich ist es vor allem an der Ablehnung des MVV-Managements gescheitert. Und heute ist es für uns kein Thema mehr.“
Zumindest eingefleischte Anhänger wie die Bakkers dürften das mit Erleichterung vernehmen. Ist für sie der Nachbar aus Maastricht doch das rote Tuch schlechthin. Warum auch eine Fusion? „Wir setzen Maßstäbe“, zeigt sich Frank Rutten selbstbewußt. „In den Niederlanden betreiben neben uns nur noch Feyenoord und Heerenveen ein ähnlich konsequentes Kundenbindungsprogramm.“ Das spricht sich herum. In jüngster Vergangenheit haben sich darum die Verantwortlichen von PSV Eindhoven, Ajax und sogar Manchester United in Kerkrade schlau gemacht.
Voneinander lernen
Und die Alemannia? „Echte Kontakte zur Alemannia haben sich leider erst mit dem neuen Präsidium etabliert. Doch da kann etwas wachsen. Schließlich können beide Vereine voneinander profitieren“, sagt Frank Rutten. Alemannias Marketingchef Thomas Korr bestätigt das. Man sei zwar noch ein einer Art „Findungsphase“, doch der angelaufene Erfahrungsaustausch würde beiden Seiten gut tun. Rodas Manager sind davon überzeugt, dass die deutschen Nachbarn vor allem in Sachen Management, Organisation und Sponsorenmanagement lernen können.
„Wir wollen hier kein Theaterpublikum wie in vielen niederländischen Stadien.“
Marcel Michiels bevorzugt auch im modernen PLS eine ursprüngliche Stimmung
Nur, was sollte sich der niederländische Erstligist von den Kaiserstädtern abgucken wollen? Marcel Michiels muss da nicht lange überlegen: „In Sachen Stadionatmosphäre im Allgemeinen ist uns die Alemannia meilenweit voraus. So ein Stadion wie das PLS verleitet leicht dazu, den Fußball seiner Wurzeln zu berauben. Doch wir wollen hier kein Theaterpublikum wie in vielen niederländischen Stadien. Wie man rund um das Spiel eine ursprüngliche Stimmung erzeugt, können wir in Aachen lernen. Hirzu gehören unter anderem Fanbetreuung, Stadionsprecher, Musikanimation und vor allem der optimale Einsatz der Videowand.“
Rodas leitender Angestellter sieht da noch einigen Nachholbedarf. Selbst im eigenen Land zähle die Stimmung nicht zu den besten. „An Vereinen wie Utrecht, Nijmegen, Breda oder sogar Feyenoord können wir uns noch nicht messen. In Sachen Atmosphäre liegen wir eher im Mittelfeld.“
Schlecht ist schlecht
Die Rodafans sind ebenfalls skeptisch. „Die Stimmung auf dem Tivoli ist besser. Ganz klar. So etwas ist hier nur schwer hinzubekommen“, urteilt Marcel Bakker. Doch für den überzeugten Rodafan hat die Mentalität auch Vorteile: „Wir haben hier nicht so einen großen Respekt vor den Spielern. Wir erkennen in einem Spieler nicht den Star, sondern den ganz normalen Menschen. Und dem begegnen wir mit genau der gleichen Einstellung wie anderen Mitmenschen auch. Deshalb jubeln wir auch nicht dann noch, wenn die Profis schlechte Leistungen abliefern. Ich finde das viel ehrlicher. Denn schlecht ist schlecht.“