Als wir neulich beim Kramen im Archiv über einen alten Artikel gestolpert sind, der sich mit der Elf vom Niederrhein befasst, hielten wir es darum für mehr als angemessen, diesen Text leicht entstaubt in unser Blog zu heben. Dabei ist uns durchaus bewusst, dass sich die Welt weitergedreht hat, seit dieser Artikel in unserer Ausgabe Nummer 9 im Mai 2006 erstmals erschien. Wir spielen mittlerweile seit Jahren gegen Gladbachs Zweite. Anders als im Text erwähnt, gibt es Fußball aktuell auch nur ohne Publikum.
Das alles ändert aber nichts daran, dass es im Land der Fohlen und Runkelrüben weiterhin reichlich öde ist. Denn mit dieser These nahm der Artikel seinerzeit seinen Anfang. Von trostlosen Käffern war die Rede. Und was das betrifft, hat sich die Welt eben nicht weitergedreht …
Nee, nee, nee! Was mag sich Prometheus nur dabei gedacht haben, als er den mühsam ihre Nacktheit kaschierenden Bewohnern des niederrheinischen Tieflands am Ostabfall der Schwalm-Nette-Platte das Feuer brachte? Mit dem Feuer kamen die Dampfmaschinen, mit dem Dampf die Textilmaschinen, mit den Textilmaschinen endlich Textilfabriken, in die sich schließlich zahlreiche rotgesichtige Bauernburschen drängten, um als Spinner ihr Auskommen zu finden.
Diese Berufsspinner umgarnten die Bauernmädel der umliegenden Dörfer, feierten glückliche Hochzeit, zogen Nachwuchs auf und binnen weniger Jahre wurde aus einem unbedeutenden Tausendseelennest eine miefige Kleinstadt, in der schließlich, als überflüssigste aller Taten, am 1. August des Jahres 1900 der Verein für Leibesübungen Borussia Mönchengladbach das Licht der Welt erblickte. Wie ist das zu begreifen? Gar nicht! Wieder einmal hatte die zivilisierte Welt ein Problem mehr, mit dem sie fertig werden musste.
Fettklotz als Attraktion
Immerhin darf sich der Club zugute halten, das einzige Aushängeschild seiner Heimatstadt zu sein. Denn ohne die Borussia würde vermutlich kaum jemand von Mönchengladbach gehört haben. Selbst die Wetterkarte des WDR tut so, als gäbe es den Ort nicht. Wen wundert’s? Im führenden Museum der Stadt war einst ein Fettklotz von Joseph Beuys die Hauptattraktion, bis die Leihgabe in eine andere Stadt vergeben wurde. Ein Studentenviertel mit gemütlichen Kneipen, in denen es sich aushalten ließe, gibt es ebenso wenig wie eine einheimische Tageszeitung.
Angesichts dieses grausigen Unterhaltungs- und Kulturangebots trifft es sich gut, dass die Begegnung in Gladbach zu den kürzesten Auswärtstouren der laufenden Regionalligasaison gehört. Die Kaiserstadt bleibt in der Nähe und ist nach dem Abpfiff schnell erreicht. Das gilt natürlich nur für diejenigen, die nach dem Spiel nicht stundenlang vom unvermeidlichen Stau in der Umgebung des Borussiaparks festgehalten werden.
Denn die Spielstätte der Fohlen steht auf der grünen Wiese, mitten hineingebaut in eine Landschaft des Stinknormalen, durch die nur ein einziger Zubringer von den Parkplätzen zur Autobahn führt. Der Auswärtsfan braucht also Geduld, ehe das Defilee der niederrheinischen Traktorenvereine beendet ist und er den Parkplatz ungestört verlassen kann.
Gesprächsstoff für die Provinz
Immerhin dürfen sich die schwarz-gelben Fans sicher sein, dass es in der Wartezeit zu keinen fraternisierenden Zumutungen kommt, wie sie bei Auswärtsspielen in der zweiten Bundesliga gelegentlich auftraten. Schließlich lässt sich nicht gerade behaupten, dass zwischen den Kernen der beiden Fanlager eine hygienisch einwandfreie Beziehung bestünde.
Vor allem die Gladbacher sehnen sich nach Revanche für das verlorene Pokalhalbfinale 2004, in dem Schiedsrichter Steinborn und sein Linienrichtergespann kurz vor dem Spielende ein klares Handspiel des Aacheners George Mbwando im Strafraum ungesühnt ließen. Selbst der Mann in Schwarz konnte nicht übersehen haben, wie der Schlacks in den Reihen der Schwarz-Gelben den Ball in bester Volleyballermanier aus dem Strafraum geschmettert hatte.
Hatte er auch nicht. Nach dem Spiel gab er cool zu Protokoll, er habe das Handspiel zwar gesehen, aber keine Absicht darin erkennen können. Die Altbiergemeinde schäumte vor Wut. Die Landwirtschaftsmessen und Bauernhochzeiten am Niederrhein waren auf Monate mit Gesprächsstoff versorgt. Wen kümmerte es, wie schlecht sich die Fohlenelf vor allem vor dem Tor präsentiert hatte? In den Savannengebieten zwischen Kleve und Grevenbroich, Viersen und Rheydt waren sie der Meinung, um den sicheren Sieg gebracht worden zu sein.
Natürlich sind Fußballfans aller Lager subjektiv, weshalb es wirklich niemanden überrascht hat, dass ganz Gladbach dem Übeltäter George Mbwando die Pest an den Hals wünschte. Dass sich allerdings dieselben Leute nicht peinlich berührt fühlten, als sie sich wenige Monate später bitterlich über eine angebliche Medienkampagne gegen Nationalstürmer Oliver Neuville beklagten, grenzt schlicht an Dummheit. Dabei hatte der Liebling der Gladbacher Fans in einem Spiel gegen Kaiserslautern den Ball klar mit der Hand über die Linie bugsiert und dies nach dem Spiel partout nicht zugeben wollen. Pffft.
In Aachen geht die Abneigung gegen Gladbach auf zwei Pokalvergleiche der achtziger Jahre zurück, die geprägt waren durch massive Ausschreitungen des Gästemobs auf dem Tivoli. Bei einem dieser Spiele zerbrachen nach einem irrtümlichen Torjubel der Pferdefreunde mehrere Wellenbrecher, die Unbekannte vor dem Spiel in unzweifelhafter Absicht angesägt hatten.
Wie ein präzise gesprengtes Haus fiel die grün-weiße Menschentraube im mittleren Bereich des Aachener Walls in sich zusammen, und es erschien als ein Wunder, dass bei diesem Vorfall niemand ernsthaft zu Schaden gekommen war. Wer die Übeltäter waren und aus welchen Reihen sie kamen, konnte nie aufgeklärt werden.
Klepper statt Fohlen
Seitdem ist das gegenseitige Verhältnis ziemlich zerrüttet. Erkennbar etwa im Frühjahr 2006: In der gleichen Minute, als der 1. FC Saarbrücken die Bundesligarückkehr der Mannen vom Tivoli durch einen Sieg gegen Fürth perfekt machte, fragten sich die User in den Fanforen der Borussia, was von diesem Neuankömmling wohl zu halten sei. Nicht viel, da waren sich die Meinungsführer schnell einig. „Drecksverein“ oder „Dreckspack“ waren noch die mildesten Bezeichnungen, die für den Verein und die Fans aus der Kaiserstadt gefunden wurden.
Die folgenden Begegnungen waren logischerweise von besonderer Brisanz. Dabei hatte der in verwegener Übertreibung zum Mythos erhobene Club, der in den Siebzigern zum Mode- und Kuschelverein der alternativen Szene avancierte, die Favoritenstellung inne. Obwohl die Qualität des Kaders unbestritten zugenommen hatte, war der Erfolg der Personalpolitik, gemessen an den Möglichkeiten, die der Borussiapark bietet, eher bescheiden.
Auf der Suche nach Verstärkungen wurden – in einem Anfall von Geltungssucht – große Namen verpflichtet, deren Träger ihren Zenit längst überschritten hatten, und aus den Feldlazaretten der Liga auf das Spielfeld gezerrt. Mit Ziege, Elber, Böhme weideten im Borussiapark statt junger, vielversprechender Fohlen ausrangierte Klepper, die sich in Gladbach ihr Gnadenbrot abholten.
In dieser Saison konnte Trainer Horst Köppel die Mannschaft zwar aus dem Abstiegskampf heraushalten, der Traum vom UEFA-Cup erfüllte sich jedoch nicht. Seine Ablösung schien festzustehen, es wurden bereits die Namen Ralf Rangnick und Christoph Daum als mögliche Nachfolger gehandelt. Den Posten erhielt am Ende Jupp Heynckes. Schade, der zuvor diskutierte Exzentriker mit der besonderen Vorliebe für Kunstschnee hätte immerhin ein Problem zwischenzeitlich beheben können. Der triste Gladbacher Alltag hätte endlich seine Szene bekommen.