Die Unzufriedenheit mit den bisherigen Darbietungen der Alemannia und damit zwangsläufig auch mit Trainer Stefan Vollmerhausen ist allenthalben zu spüren. Und dank eines vermeintlichen Spieleraufstandes gegen den Coach bekam das Ganze eine zusätzliche Brisanz. Also haben wir uns auf Spurensuche begeben und gesprochen. Mit etlichen Beteiligten auf allen Seiten. Unter anderem mit Spielern, mit der sportlichen Leitung, mit Gremikern. Wir haben Aussagen verglichen, hinterfragt und quergecheckt. Am Ende des Tages ergibt sich ein Bild, das dem bisher kolportierten nicht entspricht. Dass einige unserer Gesprächspartner zwar bereitwillig Auskunft erteilen, aber anonym bleiben wollen und müssen, ist verständlich.
Mit 16 Toren die niedrigste Trefferquote der Liga. Seit November 2020 in 13 Spielen lediglich acht geschossene Tore. Im gleichen Zeitraum nur gegen die Zweitvertretung des 1. FC Köln ein nennenswertes Chancenplus. Spielidee, Konzept und System schwerlich erkennbar. Dass bei Alemannia Aachen auf dem Platz etwas im Argen liegt, fällt jedem auf, der die Spieler der Kaiserstädter am mehr oder weniger wackeligen Stream verfolgt.
Entsprechend fallen die Kommentare auf den einschlägigen Plattformen aus. „Unansehnlich“, planlos“, „destruktiv“ oder „uninspiriert“ lesen sich die freundlicheren Zustandsbeschreibungen. Glaubt man dem geneigten Publikum, spielen die Schwarz-Gelben einen ungepflegten Zufallsfußball.
Trainer Stefan Vollmerhausen sieht die Defizite, will diese Urteile allerdings relativiert wissen: „Sicher war bisher gerade offensiv Luft nach oben. Aber das lag weniger am Herausspielen von Torchancen, sondern vor allem an deren Verwertung. Und manchmal ist eben auch ein Null zu Null ein Erfolg. Zum Beispiel, wenn man in Rödinghausen mit dem allerletzten Aufgebot antreten muss.“
Darüber hinaus führt der 48-Jährige die schlechten Rahmenbedingungen ins Feld. „Die Platzverhältnisse waren eher suboptimal. Da war gegen Rot-Weiß Ahlen ein auch nur ansatzweise vernünftiges Spiel gar nicht möglich.“ Hinzu kämen die vielen verletzten Stammkräfte.
Auch sein Chef, Sportdirektor Thomas Hengen, betrachtet die Lage differenzierter. Er bestreitet nicht, dass man sich mehr erwartet hätte. Doch vieles hätte sich auch bestens entwickelt. „Unsere defensive Stabilität ist herausragend. 14 Gegentore in 20 Spielen. Besser geht es kaum. Und unterm Strich fehlen eigentlich nicht viele Punkte. Angesichts der Umstände unter denen wir arbeiten müssen, wäre eine etwas wohlwollendere Betrachtung nicht verkehrt.“
Unteres Regionalliganiveau?
Der Großteil der Mannschaft hingegen diagnostiziert ein grundsätzlicheres Problem. Man will die Trainingsgestaltung und taktische Herangehensweise als einen entscheidenden Grund für die sportliche Misere ausgemacht haben. Schon in der Saisonvorbereitung sei etwas in die falsche Richtung gelaufen. „Das Training war von Beginn an monoton und variationsarm. Es gab keine vernünftige Steuerung“, klagt einer der Profis. Themen wie Spielidee und System fänden kaum statt. Bis heute würden die Einheiten professionellen Maßstäben schwerlich standhalten. So übe man unterschiedliche Spielsituationen sowie einen variablen Spielaufbau wenig ein. Was all das angeht sei man auf einem unteren Regionalliganiveau.
Mal hätte die Truppe zu hören bekommen, dass Fußball spielen hier nicht gefragt sei. Mal, dass Offensive eine untergeordnete Rolle spiele und Absicherung befohlen sei. Mal, dass man die Sechser nicht anspielen solle, weil die es nicht könnten und der Torwart deshalb lang zu spielen habe. Von solcher Qualität seien die taktischen Anweisungen. „Entsprechend eindimensional und leicht lesbar ist unser Spiel“, fällt einer der kickenden Angestellten sein eigenes Urteil.
„Auf dem Papier verfügen wir über eine hohe fußballerische Qualität. Spielintelligenz, spielerisches Vermögen und taktisches Verständnis sind top. Leider schafft es der Trainer nicht, diese Potenziale auszuschöpfen. Das wirkt sich auf Spielaufbau, Umschaltspiel und das Kreieren von Chancen aus“, so einer der Profis. Um dem zu entrinnen, hätte man zu Beginn noch versucht, seine Vorstellung auf dem Platz in Eigenregie umzusetzen „Doch da wurde man an der Seitenlinie prompt ziemlich fiebrig.“ Andererseits könne man auf dem Platz nicht auf Dauer gegen die Vorstellungen des Chefs arbeiten. So etwas würde im Sport nicht funktionieren.
Auch die ungewöhnlich hohe Zahl der Muskelverletzungen habe weniger mit der Pandemiesituation zu tun. Schließlich sei Aachen nicht der einzige Verein, der unter solchen Bedingungen spielen müsse. Vielmehr wäre eine unzureichenden Belastungssteuerung ein Grund. Hinzu käme ein weitgehender Verzicht auf ein kontinuierliches Athletiktraining und vorhandenes Equipment, wie das Polarsystem. „Die Expertise unseres wirklich guten Athletikcoaches scheint nicht sonderlich gefragt zu sein. Jedenfalls wird der unserer Meinung nach nicht adäquat eingebunden.“
„Es gibt immer Spieler, die zu Beginn irritiert sind.“
Stefan Vollmerhausen
Bereits nach dem desaströsen Mittelrheinpokalfinale gegen Düren hätte der Coach den Unmut innerhalb der Gruppe gespürt. Denn der habe seine Mannschaft drei Tage nach dem Spiel kollektiv gewarnt, es nicht zu „Schwingungen“ gegen ihn kommen zu lassen. Doch vor allem die fachlichen Themen hätten das Binnenklima immer stärker belastet. Und beileibe nicht die Beschwerden über einen angeblich allzu rauen Umgangston. „Sicher gab es schwer erträgliche Pöbeleien gegen einzelne Spieler. Aber das darf man nicht zu hoch hängen“, verdeutlicht ein Aktiver.
Umso mehr ärgere es die Beteiligten, dass man gegenüber der Öffentlichkeit die Beschwerden des Kaders auf diese Thematik reduzieren würde. „Wahrscheinlich will man uns auf diese Weise diskreditieren. Das empfinden wir als höchst unfair.“
Stefan Vollmerhausen versteht das nicht. „Es ging nie um fachliche Inhalte. Wir machen alle zusammen ein gutes Training. Aber wenn ein neuer Coach auf Spieler stößt, die über eine lange Zeit gewisse Abläufe gewohnt waren, braucht es halt alles seine Zeit. Vor allem, wenn ein geregelter Trainingsablauf, wie unter Pandemiebedingungen, sehr schwer durchführbar ist.“
Thomas Hengen will das Thema endgültig ad acta gelegt wissen. „Ich spreche nicht über Interna. Was in der Kabine besprochen wird, bleibt in der Kabine. Das ist man dem Verein schuldig. Denn keiner darf sich über die Interessen des Clubs stellen. Kein Spieler, kein Trainer, kein Sportdirektor, kein Funktionär.“
In der Mannschaft ärgert man sich zudem über die von der Aachener Zeitung veröffentlichte Behauptung des Sportdirektors, dass man erst am 2. November von Vorwürfen gegenüber dem Trainer erfahren hätte. Dass vorher niemand auf die sportliche Leitung zugekommen sei. Vollmerhausen bestätigt das: „Vor November gab es keine Anzeichen für Unzufriedenheit. Keiner hat mich angesprochen.“
„Das stimmt nicht“, kontert ein Beteiligter. Zum Beispiel hätten einzelne Spieler unmittelbar nach dem zweiten Saisonspiel, das bei Rot-Weiß Ahlen nur dank eines Sonntagstreffers durch Vincent Boesen gewonnen werden konnte, das Gespräch gesucht. Und dann nochmals Ende September im Rahmen einer Besprechung der beiden Kapitäne mit Trainer Stefan Vollmerhausen, Co-Trainer Kristofer Andersen, Sportdirektor Thomas Hengen und dem Assistenten der sportlichen Leitung, Jörg Laufenberg.
„Zu Kutsch zu gehen, war ein Fehler.“
Spieler
Rund drei Monate nach Trainingsauftakt hatte der Großteil des Kaders jedenfalls genug. Man sah keine Basis mehr für eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Doch was tun? Thomas Hengen fiel als Ansprechpartner aus. Das Vertrauen zum Sportdirektor war hinreichend gestört. „Sportchef und Coach wurden zunehmend zu einer Einheit. Die sprachen wie eine Person. Einen unvoreingenommenen Austausch mit uns gab es nicht.“ Zum Aufsichtsrat wiederum hatte man keinen Draht. Ratsboss Martin Fröhlich sei für die Aktiven unsichtbar gewesen. In dieser Situation erinnerte man sich an Helmut Kutsch. Der Bauunternehmer ist Hauptsponsor der Alemannia, war einmal Aufsichtsratsmitglied und ist bestens vernetzt. Und er war einigen Spielern gut bekannt. Für die Woche vom 26. Oktober bis 1. November arrangierte man einen Gesprächstermin.
Drei Mitglieder des Kaders setzten sich im Auftrag eines Großteils der Mannschaft mit Kutsch zusammen. „Nicht gerade unsere brillanteste Idee. Im Nachhinein war’s ein Fehler. Uns hätte klar sein müssen, welche Dynamik die Sache damit bekommen würde. Aber uns fiel zu diesem Zeitpunkt nichts Besseres ein“, blickt einer der Aktiven zurück.
Kutsch war nach eigenem Bekunden „entsetzt und aufgebracht“. Er gab den Spielern den Rat, sich an Aufsichtsrat Dirk Kall zu wenden. Das Aufsichtsratsmitglied verstehe schließlich etwas von dem Geschäft. Diesen Vorschlag nahm man auf. Am Sonntag, den 1. November erhielt Kall einen Anruf von Mannschaftskapitän Alexander Heinze. Doch auch der ehemalige Vorstandschef von Fortuna Düsseldorf musste passen. „Ich konnte ohne die Einbeziehung des gesamten Gremiums nicht handeln. So etwas muss man als Team regeln.“
Außerdem warnte er, dass eine Mannschaft weder Trainer noch Sportdirektor entlassen könne. Stattdessen appellierte der Funktionär an die Aktiven, noch einmal das Gespräch mit Thomas Hengen zu suchen und sich dann gegebenenfalls an Aufsichtsratschef Martin Fröhlich zu wenden.
18 von 21
Schon einen Tag später kam es zum Showdown. Vollmerhausen befand sich zu dieser Zeit in Corona bedingter Quarantäne. Vor dem Training am 2. November, einem Montag, setzte sich die Mannschaft zusammen, um über die Situation zu sprechen. Es sei vereinbart worden, dass diejenigen, die massive Bedenken an einer weiteren Zusammenarbeit mit dem Coach gehabt hätten, in der Kabine bleiben sollten. Alle anderen sollten den Raum verlassen.
Von 21 anwesenden Spielern seien 18 geblieben und hätten Thomas Hengen zur Rede gestellt. Der hätte im Nachgang immer wieder kolportiert, dass es sich nur um ‚einige Spieler‘ gehandelt hätte. „Bei 18 von 21 ist das wohl etwas geschönt“, belächelt einer aus der Gruppe die offizielle Darstellung. In jedem Fall hätte Hengen sich alles angehört und sei dann wortlos aus der Kabine gestürmt.
Eine Reaktion sei dann am folgenden Tag erfolgt. Der Sportchef hätte eine Wutrede gegenüber der gesamten Mannschaft gehalten, ohne sich mit den inhaltlichen Gesichtspunkten auseinander setzen zu wollen. Stattdessen hätte er sich vehement darüber beschwert, dass man sich an Dirk Kall gewandt hatte.
Freitags darauf, es war der 6. November, trat Hengen erneut vor die kickenden Angestellten. Dieses Mal mit Interimsgeschäftsführer Hans-Peter Lipka an der Seite. Der Sportdirektor hätte unmissverständlich klar gemacht, dass an Stefan Vollmerhausen nicht zu rütteln sei und man unverrückbar zum Trainer stehen würde. „Das war so etwas wie ein Basta-Statement“, zeigt sich einer der Anwesenden noch heute fassungslos. Nach dem Training kam es zu einem erneuten Gespräch. Dieses Mal mit Hengen, Lipka und dem Mannschaftsrat. Weil man danach das Gefühl gehabt hätte, dass eine objektive Aufarbeitung durch den Sportdirektor nicht mehr möglich gewesen wäre, ergriff man den letzten Strohhalm. Am 7. November kontaktierte Mannschaftskapitän Alexander Heinze im Auftrag eines Großteils des Teams Präsident und Aufsichtsratschef Martin Fröhlich.
Als Heinze nach dem Telefonat vor seine Kollegen trat, hatte er nichts Beruhigendes zu berichten. Einer der Spieler erinnert sich: „Martin Fröhlich hat anscheinend äußerst ungehalten reagiert.“ Auf die Bitte um einen Termin des Mannschaftsrates mit dem Aufsichtsrat sei der Clubboss nicht eingegangen. Der hätte jegliche Einmischung abgelehnt. Man solle das mit Hengen klären. Mit dem Argument, dass der sich selber als unvoreingenommener Vermittler aus dem Spiel genommen hätte, sei man bei Fröhlich nicht durchgedrungen.
„Ich habe mir die Vorgänge rund um die Klitzpera-Benbennek-Affäre nochmals sehr genau angeguckt. In der Eigendynamik waren damals am Ende Spieler, Trainer, Sportdirektor und Sportvorstand von Bord. Daraus habe ich gelernt, dass man Strukturen nutzen muss. Und wir haben bestimmt keine professionellen Strukturen geschaffen, um diese bei der erst besten Gelegenheit wieder über den Haufen zu werfen. Wenn eine Mannschaft ein Problem mit dem Trainer hat, ist bei uns der Sportdirektor die einzig richtige Adresse“, argumentiert der Jurist. Bei Coach Vollmerhausen stößt er damit auf offene Ohren. „Man kann anderer Meinung sein. Man muss diese auch äußern dürfen. Aber man darf nicht Strukturen verletzen.“
„Der Aufsichtsrat hätte sich zur Verfügung stellen müssen.“
Dirk Kall
Um der Affäre die Spitze zu nehmen, kaprizieren sich die Entscheidungsträger bis heute darauf, das Narrativ der sportlichen Leitung zu streuen: Man hätte es lediglich mit einzelnen bequemen Profis zu tun, die man aus ihrer Komfortzone gerissen hätte. Die aufgeworfenen Fragen nach der fachlichen Qualität werden unterschlagen. Einzig Dirk Kall hat da so seine Zweifel: „Das ist nicht sauber gelaufen. Da gab es zwei Fronten mit zwei Sichtweisen. Auf der einen Seite der Großteil der Mannschaft. Auf der anderen die sportlich Verantwortlichen. Die Wahrheit liegt bei so etwas oft in der Mitte. Also hätte sich der Aufsichtsrat als Mediator und Vermittler unbedingt zur Verfügung stellen müssen, anstatt die Lösung des Problems einer der beiden Parteien zu überlassen. Das wird weder dem Team gerecht noch Stefan Vollmerhausen und Thomas Hengen.“ Kall konnte sich mit seiner Meinung nicht durchsetzen.
Die schwarz-gelbe Truppe jedenfalls hat trotz des monatelangen zermürbenden Streitens um eine bessere Trainings- und Spielqualität in seinem Engagement nie nachgelassen. Hat sich nicht dazu verleiten lassen, gegen den Trainer anzuspielen. Bereitschaft und Einsatzwille standen immer außer Zweifel. Etwas, das auch Chefaufseher Fröhlich honoriert: „Die Jungs haben sich nie hängen gelassen und jederzeit alles gegeben. Die Mannschaft hat Charakter.“
Für Stefan Vollmerhausen und Thomas Hengen ist die Affäre sowieso vom Tisch. „Fehler macht jeder. Und ich bin nicht der nachtragende Typ“, sagt der Trainer. Sein Sportdirektor ergänzt: „Wir haben mit den Spielern alles aufbereitet. Es gab im November eine kleine Delle. Aber die ist Schnee von gestern. Wir blicken nach vorne.“
In der Mannschaft stößt diese Einschätzung auf Unverständnis. „Eine echte Aufarbeitung mit dem gesamten Team fand nicht statt. Ja, es gab Einzelgespräche. Aber dass man kollektiv versucht hätte, sich mit unserer Kritik auseinanderzusetzen, können wir nicht bestätigen“, so ein Akteur. „Allerdings muss man fairerweise auch feststellen, dass sich seit dem Crash an der einen und anderen Stelle etwas bewegt hat. Kleinigkeiten in der Trainingsgestaltung. Aber auch im Ton der Ansprachen“, räumt ein Spieler ein.
Stefan Vollmerhausen ist sich sicher: „Wir haben zu Beginn vielleicht etwas gebraucht, um uns zu finden. Aber wir haben das in die richtigen Bahnen lenken können.“
„Jetzt beginnt die Saison richtig.“
Thomas Hengen
Vielleicht hat der Trainer ja recht, wenn er meint, dass bessere Zeiten in Sicht seien. „Mit den jüngsten Verpflichtungen haben wir der Mannschaft an genau den richtigen Stellen einen Qualitätsschub verpasst. Ich bin mir sicher, dass wir künftig eine Alemannia sehen, die spielerisch mehr überzeugt und Tore schießt.“ Thomas Hengen formuliert es zugespitzter: „Jetzt beginnt die Saison richtig. Denn wir haben im Laufe der vergangenen Wochen die Voraussetzungen geschaffen, den sportlichen Ansprüchen Alemannia Aachens vollends gerecht zu werden. Alle sind in der Bringschuld: Mannschaft, Trainer, das Umfeld und ich.“