„Die Schnapsidee“, wie sich Manfred Bresser erinnert, kam ihnen im Hinterzimmer eines Kioskes in der Viktoriastraße. Robert Jacobs, Peter Witteschuss, Claudia Press, Alex Weihrauch, Markus Buck, der vor mehr als zwei Jahren verstorbene Ladenbesitzer Ulrich „Ulze“ Hundertmark sowie Bresser selbst schwadronierten regelmäßig über die Stärkung der Position der Fans gegenüber dem Verein. Wie auch immer das geschehen sollte.
Das war 1993. Während trostloser Zeiten, in denen die verlebte Alemannia in drittklassigen Niederungen vor sich hinvegetierte. Während sich ihr Umfeld der Apathie anheim zu geben schien. All diesen mistigen Vorzeichen zum Trotz erwuchs aus der Büdchenlaune eine für eine kurze Etappe sehr schlagkräftige und einflussreiche Interessenvertretung. Und Manfred Bresser engagierte sich rund vier Jahre lang bis 2002 als einer ihrer Sprecher.
Viel ist seitdem passiert: Bresser, der bekennende und aktive Karnevalist, ist inzwischen 57 und seit 20 Jahren Vater eines Sohnes. Sein „zweites Wohnzimmer“ existiert nicht mehr. Seine „große Liebe“ hat den Roller Coaster vom Hades in den Olymp und schnurstracks wieder zurück genommen. Mit einer Wagenladung Drama, Tragik, Aberwitz und Rausch im Gepäck, die für drei Fanleben reichen würde. Die Fan-IG in ihrer damaligen Form hat abgewirtschaftet. Manfred Bresser ist geblieben.

Man sieht ihn immer noch bei nun wirklich jedem Heimspiel und den meisten Auswärtskicks. Und er lebt weiterhin sozusagen in Hörweite zum Tivoli. Aus der er sich Zeit seines Lebens auch nicht entfernt hat. Aufgewachsen in der Karolingerstraße, wohnte er einige Jahre in der Rolandstraße und ist seit 12 Jahren zurück im Haus seiner Jugend.
Dieser Tuchfühlung zum Epizentrum Öcher Tollheiten war es geschuldet, dass Manfred Bresser sich der Alemannia hingegeben hat. „Ich habe den ganzen Trubel und diese Aufgeregtheit ja von klein auf hautnah mitbekommen. Als Kind wirst Du dann halt neugierig und willst genau wissen, was da los ist“, denkt er zurück. Also marschierte er eines Tages los und erklomm den Aachener Wall. Ganz alleine. Im zarten Alter von elf Jahren.
„Ich musste quasi ja nur über die Straße. Und umsonst rein kam ich sowieso.“ Es war das dritte Heimspiel der Spielzeit 76/77, dem dritten Lebensjahr der Zweiten Liga Nord. Der Gegner hieß Westfalia Herne. Mit etwa 6.000 Zuschauern war das Spektakelkaliber leidlich. Und doch war Klein-Manni angefixt und wiederholte seinen Ausflug in das neue Land der Verheißung.
Allerdings begriff er ganz schnell, dass die eigentliche Bühne des schwarz-gelben Abenteuers der gegenüberliegende Würselener Wall war. Also wechselte der Steppke ein knappes Jahr später dorthin und fand sich im späteren M‑Block wieder. Erneut alleine. „Aber mit der Zeit lernte ich den ein oder anderen kennen, zum Beispiel von den Aachener Löwen. In jedem Fall fühlte ich mich gar nicht fremd oder verloren“, erzählt Bresser.
Peu à peu freundete er sich mit Gleichgesinnten an. „Zum Beispiel mit Michael Jülich und Dirk Krzoska. Wir sind dann jahrelang zu dritt zur Alemannia gegangen.“ Jahre später, da war er schon 21, kam der 2018 verstorbene Axel Lünemann vom Fanclub Schwarz-Gelb 81 auf ihn zu. Ob er nicht mitmachen wolle. Bresser zögerte nicht lange. „Klar wollte ich. Die Jungs waren genau meine Kragenweite. Anders als beispielsweise die Löwen.“ Denn die dritte Halbzeit hätte ihn nie gereizt. „Laut und deftig durfte es sein. Die Kiste Bier bei Auswärtstouren war obligatorisch. Doch Krawall war nie mein Ding.“
Bei Schwarz-Gelb sei er auf Brüder im Geiste gestoßen. „Typen wie Axel, Robert Jacobs oder Thomas von Thenen.“ Bresser ist dem rührigen Fan-Club, der nun schon mehr als 40 Jahre aktiv ist, bis heute treu geblieben. „Die Jungs gehören für mich zu meinem Alemannia-Leben dazu. Das kann man gar nicht voneinander trennen.“
Mannis Flashback
„Mein Sohn ist eigentlich ein Kind der Alemannia. Und Schuld hat der Verein auch noch. Ende März 2000 stand das Heimspiel gegen den VfL Bochum auf dem Programm. Und meine gute Freundin Steffi Imhoff hatte keine Karte mehr für die Rollstuhlplätze bekommen. So etwas war ihr noch nie passiert. Sie fragte mich, ob ich nicht etwas machen könnte. Dank meiner Arbeit bei der Fan-IG kannte ich den Ein oder Anderen und rief bei Hans-Gerd Klostermann an, der damals kaufmännischer Geschäftsführer der Alemannia war. Der konnte mir zwar auch keine Rolli-Karte mehr geben, sorgte aber dafür, dass Steffi ein Ticket für die alte Sitzplatztribüne bekam. Am Spieltag kam sie dann mit ihrer Freundin Heike zum Tivoli. Ich fuhr Steffi dann mit dem Rolli am Spielfeld entlang zur Sitztribüne. Dort halfen wir ihr die Stufen hoch, und ich verstaute ihren Rollstuhl in der IG-Bude auf dem Vorplatz. Nach dem Spiel ging es auf dem gleichen Weg zurück. Diese Heike war von der Aktion derart begeistert, dass sie sich mit mir anfreundete. Drei Monate später waren wir ein Paar. Nach weniger als zwei Jahren standen wir vor dem Standesbeamten. Da war unser Sohn Achim schon unterwegs.“
Hat sich in all den Jahrzenten in seiner Beziehung zum Tivoli-Club etwas verändert? Manfred Bresser ist sich da nicht ganz so sicher. „Die Verbundenheit zum Verein und die Leidenschaft sind im Laufe der Zeit sogar noch stärker geworden. Verändert hat sich der Blickwinkel, vor allem aufgrund der Tätigkeit in der IG.“ Das Naive oder Unbedarfte sei verloren gegangen. „Aber ich hatte niemals das Gefühl ‚So, jetzt gehe ich nicht mehr hin. Das war’s.‘ Unabhängig davon, was mal wieder schiefgelaufen ist.“
Spürbar verändert hätte sich allerdings der einmal einzigartige Alemannia-Stil. Etwas, das Bresser mit dem nun auch schon nicht mehr ganz so neuen Stadion verbindet. „In der alten Hütte wären die Ultras niemals solch ein Thema geworden. Das Stadion hatte alle vereint. Solche Dinge wie Megafon oder Dauergesang gab’s da nicht“.
Dennoch ist Bresser weit davon entfernt, die Ultra-Kultur zu verdammen. „Ich finde weiß Gott nicht alles toll, was die machen. Weil ich es anders gelernt habe und anders ticke.“ Man müsse jedoch auch akzeptieren, dass sich Zeiten nun mal ändern würden. Am Ende würden die genauso für die Alemannia brennen wie die Alten es täten. „Und mit den Zeiten ändern sich nun mal auch die Gewohnheiten. Ob wir das wollen oder nicht.“
Soziale Aachener