Ihre Karriere fand bisher in höheren Ligen statt. Warum jetzt ein Viertligist?
Nach meiner Zeit in Kaiserslautern hatte ich mich selbstständig gemacht und war damit auch zufrieden. Aber wenn man 25 Jahre lang für Mannschaften verantwortlich war, dann fehlt einem anscheinend irgendwann diese Spannung von Wochenende zu Wochenende. Etwas gestalten zu können und das Ergebnis der Arbeit schon kurzfristig sehen zu können. Ich habe gemerkt, dass ich nicht einfach auf der Couch sitzen und unbeteiligt Fußball gucken konnte. Mir hat der direkte Bezug gefehlt.
Das erklärt aber noch nicht, warum man sich vor dem Hintergrund einer solchen Laufbahn für die vierte Liga entscheidet.
Sicher stand die Regionalliga nicht ganz oben auf meiner Agenda. Zudem hatte ich mir aufgrund meiner Erfahrungen in Kaiserslautern fest vorgenommen, vor einem neuen Engagement etwas genauer hinzuschauen. Hier in Aachen bot sich mir die Möglichkeit, das Sportmanagement mit der kompletten kaufmännischen Verantwortung verknüpfen zu können. Ich habe dann bei dem einen oder anderen nachgehakt, wie Alemannia Aachen tickt. Bei Jörg Schmadtke, zum Beispiel. Und alle haben mir vermittelt, dass die Rahmenbedingungen eigentlich sehr gut seien. Mir wurde klar, dass die Alemannia eine spannende und herausfordernde Aufgabe sein würde. Mit gewissen Risiken, aber eben auch mit Chancen.
Wie stellen sich Ihnen die Rahmenbedingungen denn dar?
Erfolgsfaktoren im Fußball sind grundsätzlich die Größe der Stadt, die Infrastruktur rund ums Stadion, die Fanbasis und selbstverständlich das wirtschaftliche Potenzial. Die ersten drei Faktoren sind bei der Alemannia vollauf gegeben. Das wirtschaftliche Potenzial ist in der aktuellen Situation überschaubar. Aber im Gegensatz zu Vereinen mit einer ähnlichen DNA, wie zum Beispiel Kaiserslautern, hat die Alemannia keinerlei Verbindlichkeiten. Man hat hier im Präsidium und Aufsichtsrat nach der zweiten Insolvenz offenbar sehr vernünftig gewirtschaftet und ein brauchbares Fundament gelegt.
Foto: Carl Brunn
„Ich habe bestimmt nicht vor, mich dauerhaft in der Regionalliga einzugrooven.“
Dennoch: Berlin, Nürnberg, Hannover, Kaiserslautern. Ihre bisherigen Aufgaben waren von einer ganz anderen Größenordnung. Haben Sie nicht die Befürchtung, dass die Regionalliga auf Dauer für Sie zu eng sein könnte?
Ich habe bestimmt nicht vor, mich dauerhaft in der Regionalliga einzugrooven. Ich möchte schon die Möglichkeit sehen, etwas gestalten und entwickeln zu können, was uns erfolgreichen Fußball beschert. Aber mir ist bewusst, dass dies unter den gegebenen Umständen kein kurzfristiges Unterfangen sein kann. Also müssen wir es erst einmal hinbekommen, dass die Alemannia wieder für etwas steht. Für etwas, das ihre Tradition verkörpert. Für eine bestimmte Art des Fußballs. Damit die Menschen den Verein wiederentdecken wollen, obwohl wir den Blick zurzeit nicht ganz nach oben richten können.
„Wir sind zurzeit Mittelmaß in der Regionalliga. Punkt.“
Kann das reichen? Zählt nicht am Ende des Tages selbst an Traditionshochburgen wie Kaiserslautern und Aachen nur der sportliche Erfolg? In Kaiserslautern ist eigentlich nichts anderes als der Aufstieg zu vermitteln. Und in Aachen wird Erfolg mindestens über den Kontakt zu den Aufstiegsplätzen definiert.
Wir müssen dieses wirklichkeitsferne Anspruchsdenken in Aachen aufbrechen. Wir sind zurzeit Mittelmaß in der Regionalliga. Punkt. Und zwar nicht durch einen dummen Zufall oder dank böser Mächte. Sondern hausgemacht. Zurzeit haben wir fünf bis acht Mannschaften in der Liga, deren wirtschaftliche Möglichkeiten ungleich größer sind und die weiter sind als die Alemannia. Und ich bin halt Fan davon, solche Realitäten zu benennen und nicht mit großen Sprüchen Wolkenkuckucksheime aufzubauen. Ich werde also einen Teufel tun und laut verkünden, dass wir dann oder dann aufsteigen werden. Wir werden aber sehr wohl versuchen, das eine oder andere Ausrufungszeichen zu setzen. Im Sportlichen wie im Wirtschaftlichen.
Glauben Sie, dass sie mit der bloßen Restaurierung der Identifikation eine sicherlich notwendige Euphorie entfachen können? Bei den Fans ebenso wie bei den Sponsoren?
Was bleibt uns aktuell denn anderes übrig? Wenn man uns die wirtschaftlichen Möglichkeiten präsentieren würde, die Oberhausen, Münster, Wuppertal haben, dann könnten wir uns auch andere Erwartungen leisten. Über Essen und die Zweitvertretungen will ich erst gar nicht sprechen.
Wir sind uns doch einig, dass die Alemannia möglichst schnell dem Mittelmaß entkommen muss. Um das Wirklichkeit werden zu lassen, benötigt man Geld. Aber um Geld zu bekommen, darf man nicht Mittelmaß sein. Ein Teufelskreis?
Es ist richtig, dass wir dem Mittelmaß entkommen müssen. Aber weil die Bedingungen sind, wie Sie sie gerade skizziert haben und die Dinge in Aachen sind, wie sie sind, funktioniert das nicht über Nacht. Also lasst uns doch mal Realismus walten lassen! Alles andere ist alternativlos. Wir werden keine Mannschaft zusammenstellen können, die den Anspruch haben muss, oben mitzuzuspielen. Wir werden aber eine Mannschaft haben, die eine gute Saison spielt und hier und da positiv überrascht. Und mit der man auf Strecke etwas anfangen kann. Nur das darf unser erstes Ziel sein. Und dann kann es weitergehen.
„Die Menschen sollen mit der Mannschaft etwas anfangen können.“
Mit was wollen Sie die Menschen denn kurzfristig für die Alemannia begeistern, wenn es schon nicht der sportliche Erfolg sein kann?
Verstehen Sie mich nicht falsch. Wir fordern den Ehrgeiz, das Maximale erreichen zu wollen, vom ersten Tag an ein. Das müssen wir ungeachtet der Probleme, die wir haben, von Allen verlangen können. Wir wollen also schon mit einer ehrgeizigen Mannschaft erfolgreichen Fußball spielen und maximale Ergebnisse erzielen. Die Mannschaft soll so auftreten, dass die Leute auch bei einem Unentschieden zufrieden den Tivoli verlassen. Die Menschen sollen mit der Mannschaft etwas anfangen können. Sie sollen davon überzeugt sein, wieder mit Spaß zum Tivoli gehen zu können, auch wenn ein Aufstieg nicht ins Visier genommen werden kann. Weil man sich mit der Mannschaft identifizieren kann. Weil die Art Fußball zu spielen, Spaß macht. Weil die Menschen sehen können, dass sich hier etwas konsequent weiterentwickelt. Unabhängig davon, ob sich diese Entwicklungsphase über Jahre hinzieht. Mehr kann man zurzeit nicht anstreben. Höhere Ziele sind unrealistisch.
„Mit Essen, Münster, Oberhausen oder Wuppertal können wir nicht mithalten.“
Müssen wir unsere Ansprüche also herunterschrauben und lernen, den sportlichen Erfolg kurzfristig als zweitrangig einzustufen?
Ich wiederhole mich. Mit Vereinen wie Essen, Münster, Oberhausen, Wuppertal oder den Zweitvertretungen der Bundesligisten können wir nicht mithalten. Deren wirtschaftliche Potenz ist um mindestens 25 bis 30 Prozent größer als unsere. Also müssen wir Erfolg für uns im Moment anders definieren. Allerdings müssen wir versuchen, diese Lücke zu schließen.
Sie formulieren also kein konkretes Ziel für die kommende Saison?
Ich kann dann Ziele formulieren, wenn wir unsere Hausaufgaben gemacht haben. Also dann, wenn wir die finanziellen Möglichkeiten konkretisiert haben und daraus resultierend der Kader steht. Von mir aus können wir im August gerne über konkrete Ziele sprechen. Momentan verfügen wir über einen Etat, der uns erlaubt, über einen Platz im Mittelfeld der Liga zu reden.
„Es wird Zeit einzusehen, dass es andere Vereine besser machen.“
Glauben Sie wirklich, dass dies in Aachen vermittelbar ist?
Nochmals, was ist die Alternative? Seit sieben oder acht Jahren spricht man hier von der Rückkehr in den bezahlten Fußball. Und seit sieben oder acht Jahren scheitert man an diesem Anspruch. Also wird es einmal Zeit, einzusehen, dass es andere Vereine anscheinend einfach besser machen und man deshalb die eigenen Ansprüche den Realitäten anpassen muss. Denn der Name und das Stadion allein bringen ja noch keine Punkte. Um Ihre Frage zu beantworten: Ja, ich glaube schon, dass wir die Leute auf unseren Weg einer langfristigen Entwicklung mitnehmen können. Dieser muss nur sichtbar, kontinuierlich, nachhaltig und damit glaubwürdig sein.
Kennen die potenziellen Sponsoren denn bereits diese neue Bescheidenheit?
Ich habe während der vergangenen Wochen einen Großteil meiner Zeit damit verbracht, mich bei unseren Partnern vorzustellen, unsere Ziele zu erläutern und Visionen zu transportieren. Abzuklopfen, wer denn überhaupt bereit ist, uns weiterhin zu unterstützen. Denen muss ich immerhin den vierten Neuanfang verkaufen. Das ist nicht zu unterschätzen. Denn das haben die nun schon ziemlich oft gehört. Aber von den bestehenden Sponsoren hat mir die Mehrzahl verdeutlicht, uns auch weiterhin unterstützen zu wollen.
Mit welchem Sportetat können Sie denn realistischerweise Stand heute planen? Und um wieviel höher müsste der Etat denn ausfallen, um mit den von Ihnen genannten besser dastehenden Vereinen mithalten zu können?
Wir stellen uns darauf ein, dass der Etat Corona bedingt unter dem der vergangenen Saisons liegen wird. Zum Vergleich: Oberhausen plant mit 1,5 Millionen Euro. Das sind immerhin etwa 15–20 Prozent mehr als uns aktuell für die kommende Spielzeit zur Verfügung steht. Damit lassen sich Spieler einer gewissen Güteklasse schon deutlich leichter zu einer Vertragsunterschrift bewegen. Und die Möglichkeiten in Essen, Münster und bei den Zweitvertretungen sind noch einmal ganz andere. Wir müssen demnach gar nicht versuchen, in deren Regale zu greifen.
„Wir können nur mit dem Geld planen, das wir sicher einnehmen.“
Das klingt alles nach sehr viel Ungewissheit.
Gerade die jüngste Zeit mit der Pandemie hat uns doch ganz deutlich vor Augen geführt, wie fragil ein Verein ohne wirtschaftliche Substanz sein kann. Sicher arbeitet es sich einfacher, wenn man Rücklagen besitzt. Oder einen Mäzen, Gönner oder ein Investor im Rücken hat, der noch mal etwas auf den Etat legt, wenn es Not tut. So wie vielleicht in anderen Vereinen in der Regionalliga. Haben wir aber nicht. Also können wir nur mit dem Geld planen, das wir sicher einnehmen. Und selbst das ist viel Glaskugellesen. Können Sie mir sagen, ob wir im Schnitt 4.000, 5.000 oder 6.000 Zuschauer begrüßen können? Nein. Das kann keiner seriös voraussagen.
Aber das kann doch kein Dauerzustand sein, wenn man zumindest auf lange Sicht der Viertklassigkeit entkommen will.
Deshalb muss die Verbesserung der wirtschaftlichen Substanz eine unserer Kernaufgaben sein. Wir müssen hier entsprechende Konzepte entwickeln.
Wie sollen die aussehen? Daran haben sich schon etliche Verantwortliche erfolglos versucht. Wie wollen Sie zum Beispiel angesichts der neuen sportlichen Bescheidenheit das Sponsoringaufkommen erhöhen?
Realismus hat nichts mit sportlicher Bescheidenheit zu tun. Wir wollen eine interessante junge Mannschaft mit Kontinuität zusammenstellen und dadurch auch Fans und Sponsoren überzeugen, dass sich dann sportlicher Erfolg nachhaltig einstellen kann. Darüber hinaus müssen wir über weitere Einnahmemöglichkeiten nachdenken.
„Mit einem fremden Investor von außen würde ich mich schwertun.“
Müssen wir nicht über den Einstieg eines Investors sprechen. Ist das nicht zwangsläufig der Weg, den die Alemannia gehen muss, um nach vorne zu kommen?
Nicht auf Teufel komm raus. Das macht nur dann Sinn, wenn das Engagement eine gewisse Logik für den Verein und den Investor hat und somit für beide Seiten einen Gewinn bedeutet. In Hoffenheim macht die Geschichte für Verein und Geldgeber gleichermaßen Sinn. In Uerdingen hat es meiner Meinung nach gar keinen Sinn gemacht. Zumindest nicht für den Club. Sollten sich in Aachen beispielsweise Unternehmen aus der Region zusammentun, wie es in Bielefeld geschah, dann würde ich das sehr begrüßen. Sollte irgendein Fremder von außen kommen, würde ich mich schwertun. Das würde aus meiner Sicht hier nicht funktionieren. Außerdem muss von Vornherein feststehen, dass sich ein potentielles Engagement nicht allein auf die erste Mannschaft bezieht. Es muss immer dem gesamten Club zugutekommen. Der Infrastruktur, der Nachwuchsarbeit. Es muss die Alemannia als Ganzes auf das gewollte Niveau heben. Und das unbedingt nachhaltig. Alles andere wäre zu riskant. Und last but not least darf es niemals die 50+1‑Regelung untergraben. Von dieser bin ich ein großer Anhänger.
Wie gehen Sie angesichts all der von Ihnen plastisch beschriebenen wirtschaftlichen Einschränkungen bei der Kaderplanung vor?
Wir wollen kreativ sein. Patrick Helmes, Kris Andersen und ich sind uns einig, dass wir mit einem kleinen Kader arbeiten wollen. Wir setzen stark auch auf junge Spieler, die sich noch entwickeln können. Uns schwebt eine Mannschaft vor, deren Kern mal zwei bis drei Jahre erhalten bleibt, ohne große Umbrüche verkraften zu müssen.
„Bei den Spielern müssen wir mit anderen Dingen punkten als dem Finanziellen.“
Aber was können Sie Spielern mit Potenzial denn bieten, um sie für einen Verein mit derart eingeschränkter Wirtschaftlichkeit zu begeistern?
Uns ist klar, dass wir bei den Spielern in erster Linie mit anderen Dingen als dem Finanziellen punkten müssen. Wir wollen Spieler überzeugen, die die Chance begreifen, bei der Alemannia den nächsten Schritt machen und sich entscheidend weiterentwickeln zu können. Oberligaspieler mit Potenzial zum Beispiel, für die es die nächste logische Herausforderung ist, in einer höheren Klasse zu spielen. Und diese Spieler sollen verstehen, dass dies in Aachen besser gelingen kann als an den meisten anderen Standorten. Denn wenn man es in Aachen gut macht, wird das immer noch anders bewertet als bei anderen Vereinen. Sie sollen davon überzeugt sein, dass der Trainer gut ist und sie besser macht. Sie sollen Aachen interessant finden, weil die Art des Fußballs attraktiv ist, weil die Infrastruktur außergewöhnlich gut ist, weil die Fanunterstützung sensationell ist. Matti Cebulla hat das alles sehr schnell begriffen.
Ihr Blick richtet sich bei der Zusammenstellung des neuen Kaders demnach vornehmlich in Richtung Oberliga?
Auch. In unserem Fokus steht zudem unsere eigene U19. Deshalb sprechen wir zum Beispiel intensiv mit Aldin Dervisevic, wohlwissend, dass der bereits bei anderen Clubs auf dem Zettel steht. Insgesamt wollen wir regelmäßig bis zu vier Spielern aus der U19 die Chance geben, sich in der Vorbereitung zu zeigen. Darüber hinaus planen wir mit einigen Erfahrenen aus dem aktuellen Team. Und bei Bedarf auch mit dem ein oder anderen externen Erfahrenen aus der Regionalliga. Generell glaube ich nicht, dass es sinnvoll ist, zu viele Spieler zu verpflichten, die bereits mehrere Regionalligastationen hinter sich haben. Doch am Ende muss jede Verpflichtung eine gewisse Logik besitzen. Zum Beispiel indem sie dem Trainer Alternativen für sein System schafft. Insofern werden wir nichts von Vornherein ausschließen.
„Wir wollen keinen grundsätzlichen Umbruch.“
Sie haben immer betont, dass Sie gerne mit einem Teil des bisherigen Personals verlängern würden. Obwohl die Truppe nicht wirklich funktioniert hat. Wäre ein spürbarer Schnitt nicht besser?
Nein. Wir wollen keinen grundsätzlichen Umbruch. Weil so etwas nicht gesund ist. Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass sich ein Entwicklungsprozess in der Regel um ein Jahr verlängert, wenn man nur 30 bis 40 Prozent eines Kaders erneuert. Das würden wir uns gerne ersparen. Deshalb würde ich gerne mit acht bis zehn Spielern des bestehenden Kaders weiterarbeiten. Aber ich kann nicht sagen, ob uns das gelingt. Hier kommt wieder die wirtschaftliche Vernunft ins Spiel. So hätten wir zum Beispiel Nick Galle gerne behalten. Da mussten wir leider passen.
Sie werden die Regionalliga und schon gar nicht die Oberligen so gut kennen, wie Sie sich in den höheren Klassen auskennen. Andererseits verfügt die Alemannia zwangsläufig über keine breit aufgestellte Scoutingabteilung. Wie kann da die Identifizierung geeigneter Nachwuchskräfte gelingen?
Zum einen wäre etwas verkehrt gelaufen, wenn ich nach nun 25 Jahren im Geschäft nicht über ein gut gefülltes Adressbuch und ein vernünftiges Kontaktnetz verfügen würde. Und diese Kontakte haben nicht nur Spieler für die erste oder zweite Liga in ihrem Blickfeld. In Nürnberg haben wir auch viele Spieler aus zwei Ligen unter uns geholt. Mit Erfolg. Weil unser Kontaktnetz funktionierte. Zum zweiten bin ich dankbar, mich auf Jörg Laufenberg verlassen zu können. Der kennt nun wirklich fast jeden Spieler und Verein in jeder Liga in- und auswendig. Kris Anderson ist ebenfalls sehr gut vernetzt. Und Patrick Helmes hat auch schon in der Regionalliga gearbeitet und hat da seine Verbindungen. Nein, das Scouting bereitet uns wirklich keine schlaflosen Nächte.
Foto: Carl Brunn
In der Öffentlichkeit wird Kritik laut, die Kaderzusammenstellung ginge zu träge voran. Die Konkurrenz sei viel weiter und laufe uns davon.
Ich bin am 1. März gekommen und habe erst seitdem Eindrücke sammeln können. Dann mussten wir einen Trainer finden. Seitdem arbeiten wir mit Hochdruck an der Kaderzusammenstellung. Schlussendlich kann man eine seriöse Kaderplanung jedoch erst dann betreiben, wenn man weiß, welchen Etat man zur Verfügung hat. Jetzt kennen wir alle Parameter und arbeiten. Doch ich versichere Ihnen, dass wir zum Trainingsauftakt in sechs bis sieben Wochen den Kader größtenteils zusammen haben werden. Ungeachtet dessen, dass wir nicht jeden Tag eine Wasserstandsmeldung abgeben können.
„Regionalligaspieler haben alle ein mehr oder weniger großes Fragezeichen über dem Kopf.“
An welchen Stellschrauben wollen und müssen Sie im Hinblick auf das Team drehen? Welchen Spielertypus benötigt die Alemannia unbedingt?
Regionalligaspieler haben alle ein mehr oder weniger großes Fragezeichen über dem Kopf. Den perfekten Fußballer findet man in diesen Gefilden eher nicht. Also schauen wir nach ein oder zwei Attributen und Fähigkeiten, die für uns interessant sind. Zum Beispiel, wenn einer groß ist und ein gutes Kopfballspiel hat. Oder wenn jemand schnell oder spielstark ist. Oder wenn da einer ist, der besonders ausdauernd und zweikampfstark ist. So grenzen wir das ein. Dabei sind das System des Trainers, die Anforderungen an den Spieler für die beschriebene Position sowie die wirtschaftliche Machbarkeit wichtige Parameter.
Sie werden aber doch Positionen identifiziert haben, auf denen unbedingt Verbesserungspotenzial besteht.
Nahezu alle Positionen sind in der Prüfung. Ein Augenmerk wollen wir auf die defensive Stabilität legen. Hierzu benötigen wir unter anderem gestandene Innenverteidiger mit jungen Nachwuchsspielern als Backup. Wir wollen junge, schnelle Außenverteidiger holen, die in mehreren Systemen einsetzbar sind. Ebenso einen Sechser mit Erfahrung sowie junge Mittelfeldspieler für mehrere Positionen. Dann stehen noch spielstarke schnelle Außenspieler auf unserem Zettel. Zudem hätten wir gerne in der Offensive, entwicklungsfähige Spieler als Ergänzung für Hamdi Dahmani. Das sind die Baustellen und unsere hoffentlich zu realisierende Wunschkonstellationen.
„Marco Müller und Matti Cebulla hatten für uns erste Priorität.“
Und welche Prioritäten setzen Sie bei der Verlängerung auslaufender Verträge?
Marco Müller und Matti Cebulla hatten für uns aus unterschiedlichen Erwägungen heraus erste Priorität. Matti Cebulla steht für das, was wir hier sehen wollen. Der lässt sein Herz auf dem Platz, läuft, hängt sich rein, ist positiv auf dem Trainingsgelände und in der Kabine. Marco Müller ist gut ausgebildet und kann auf verschiedenen Positionen eingesetzt werden. Und er bringt eine unglaubliche Identifikation mit diesem Verein mit. Man merkt ihm bei allem, was er tut, an, dass der es einfach toll hier findet. Auch Joshua Mroß war für uns eine Personalie mit Vorrang. Selbstverständlich führen wir mit weiteren Spielern unseres aktuellen Kaders ebenfalls Gespräche. Aber immer auch mit der Idee im Hinterkopf, Alternativen zu prüfen.
Auch mit Peter Hackenberg und Alexander Heinze?
Ich sagte ja bereits, dass wir unter Abwägung der Alternativen, des Spielsystems von Patrick Helmes sowie der wirtschaftlichen Möglichkeiten, uns in alle Richtungen Gedanken machen. Franko Uzelac hat noch Vertrag. Also fehlen noch Spieler.
Jetzt weichen Sie aber aus. Zu Peter Hackenberg und Alexander Heinze wollen Sie sich also nicht konkret äußern?
Generell möchte ich zu einzelnen Spielern keine Zwischenmeldungen geben. Aber beide gehören sicherlich zu den Spielern, die wir nicht zuletzt auf Grund ihrer Verdienste in unsere Überlegungen einbeziehen
„Die Mannschaft war kein Team.“
Nominell scheint die aktuelle Mannschaft besser besetzt zu sein als es deren Auftritte und Abschneiden widerspiegeln. Können Sie den Versuch einer Erklärung für eine derart missratene Saison wagen?
Als ich hier ankam, habe ich eine Mannschaft vorgefunden, die extrem verunsichert war. In der eine enorme Unruhe herrschte. Die aus zu vielen Einzelspielern bestand, aber kein wirkliches Team war. Da schienen eine Menge Faktoren eine Rolle zu spielen. Auf die will ich jedoch hier nicht näher eingehen, weil ich zu dieser Zeit nicht dabei war. Zudem besaßen nur vier der Spieler einen Vertrag über die Saison hinaus. Der Rest wusste nicht, wie die berufliche Zukunft und damit die Existenz aussehen würde. Da kommen grundlegende Fragen auf einen zu: Muss ich mich arbeitslos melden? Muss ich die Kita kündigen? Das macht etwas mit einem jungen Menschen. Das kostet Prozente und ist am Ende leistungshemmend. Also haben wir direkt einige konkrete Maßnahmen ergriffen, um etwas Ruhe in die Truppe zu bringen. Wir haben einen neuen Mannschaftsrat wählen lassen. Der besteht jetzt aus Alexander Heinze, Joshua Mroß und Hamdi Dahmani. Mit denen habe ich alle Themen rund um die Mannschaft besprochen. Dann haben wir zum Beispiel eine neue Punktprämienregelung und einen Strafenkatalog eingeführt. Und vor allem kümmern wir uns sehr intensiv um Vertragsverlängerungen.
Die Mannschaft ist das eine. Der Trainer ist ein weiterer wichtiger Baustein. Patrick Helmes hatte eigentlich keiner auf der Rechnung.
Spielt das eine Rolle? Wichtig ist, dass er Fußballlehrer ist, zu uns und zu dem, was wir vorhaben, passt und begeistern kann. Das bedeutet zunächst einmal, dass er gewillt ist, unseren Weg einer längerfristigen Planung mitzugehen und nicht schon für seine erste Saison einen Aufstiegskader verlangt. Denn das funktioniert hier nicht. Außerdem sollte er die Regionalliga schon einmal kennengelernt haben. Und er muss die Art Fußball verkörpern, die uns vorschwebt, um den Menschen Spaß zu bereiten. Nämlich aktiven und intensiven Fußball, basierend auf einer hohen körperlichen Präsenz. Mit dem sichtbaren Willen, den Ball haben und marschieren zu wollen und am Ende erfolgreich zu sein. Und genau so wurde Patrick Helmes geprägt und hat das bereits bei seinen Stationen praktiziert. Jörg Schmadtke und Felix Magath haben mir beide unabhängig voneinander bestätigt, dass Patrick dafür der richtige Trainer ist.
In diesem Gespräch sprechen Sie ausführlich und detailliert über die kurz- bis mittelfristigen Planungen. Das hätte man sich schon viel früher gewünscht. Warum ist die Alemannia vor ihrer zahlenden Klientel in den vergangenen Wochen derart abgetaucht, anstatt sie in schwierigen Zeiten mitzunehmen?
Andersherum. Warum hat man uns nicht gefragt? Nein, im Ernst. Ob in Nürnberg, Hannover oder selbst in Kaiserslautern. Ich war es gewohnt, dass der Verein und die handelnden Personen von derart großem Interesse sind, dass sich an jedem Tag der Woche mindestens ein Journalist bei mir gemeldet hat, um etwas von mir zu hören. Ich musste erst lernen, dass das in Aachen nicht so ist. Und ich bin eigentlich nicht der Typ, der sich von sich aus ins Gespräch bringen will. Ich arbeite lieber.
Aber der Dialog ist keine Holschuld des Fans. Man kann proaktiv handeln. Gerade in Zeiten, in denen der Kontakt zwischen der Öffentlichkeit und dem Verein ohnehin deutlich erschwert ist. Vereine, wie zum Beispiel Oberhausen, haben es vorgemacht.
Sie haben ja Recht. Ich kann die Kritik nachvollziehen. Wir tauchen zu wenig auf. Grundsätzlich sollte man Kommunikation anders handhaben als es hier in der Vergangenheit praktiziert wurde.
„Hier muss Jede und Jeder alles machen.“
Wir werden also demnächst regelmäßiger etwas von der Alemannia hören.
Wir werden versuchen, uns auch in diesem Bereich zu verbessern. Aber auch hier müssen wir uns an den Realitäten orientieren. Wer soll es machen? Das Engagement der Mitarbeiter ist bei der Alemannia sensationell. So etwas habe ich woanders kaum erleben dürfen. Aber sie arbeiten am Anschlag. Weil sie, wie unter anderem Lutz van Hasselt, 24/7 für den Verein im Einsatz sind. Und das nicht selten für geringe Entlohnung. Es gibt kaum Jobbeschreibungen oder Zuständigkeiten. Hier muss Jede und Jeder alles machen. Ansonsten würde der Verein aber auch gegen die Wand fahren. Susanne Czennia, zum Beispiel, ist unersetzlich. Ein Jörg Laufenberg scoutet, macht Videoanalysen, unterstützt die Trainer und mich bei der Analyse des Kaders sowie der Kaderplanung, bestellt das Essen für die Mannschaft und organisiert den Bus und schreibt nebenbei Pressemitteilungen. Und genauso sind die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Marketing– und PR-Abteilung wie alle hier Tätigen rund um die Uhr unterwegs. Dass da etwas auf der Strecke bleibt, ist zwangsläufig. Das ist nicht gut. Aber wir müssen es hinnehmen. Doch auf Sicht müssen wir auch in diese Abläufe Struktur hineinbringen, um im Ganzen besser zu werden. Auch im regelmäßigen Dialog mit unseren Fans und Sponsoren.