Warum haben Sie sich zur Kandidatur für das Alemannia-Präsidium entschlossen? Trauen Sie den bisher Verantwortlichen, von denen sich ein großer Teil um eine zweite Amtszeit bewirbt, den Job nicht zu?
Wir sind der Meinung, dass die Alemannia unbedingt eine andere Kultur benötigt als die, die man während der vergangenen Jahre gepflegt hat. Ich denke, dass wir als Team in der Lage sind zu helfen, eine bessere Vereinskultur zu bekommen.
Das klingt dann doch etwas sehr wolkig. Können Sie das präzisieren?
Wir haben das Gefühl, dass diese Weiter-so-Politik der vergangenen Jahre den Ambitionen des Vereins nicht gerecht wird. Es fehlt an Visionen und Ideen. Es wurde mehr verwaltet denn gestaltet. Deshalb sieht man im Laufe der vergangenen fünf Jahre an keiner Stelle eine Entwicklung des Vereins.
Sprechen Sie da über den Profifußball oder beziehen Sie das auf den gesamten Verein?
Nein, ich spreche bewusst über den gesamten Verein Alemannia Aachen. Man hat die Abteilungen abseits des Profifußballs doch kaum mehr richtig wahrgenommen. Oder wo haben wir es geschafft, etwas nachhaltig voranzutreiben oder gar neu aufzubauen? Andererseits: Trotz der einseitigen Fokussierung auf den Profifußball während der vergangenen Jahre wurde auch hier meist nur verwaltet.
„Die Abteilungen wurden allein gelassen.“
Vielleicht war das Verwalten nach zwei Insolvenzen im Kerngeschäft der Alemannia aber auch das Gebot der Stunde. Um ein Fundament zu schaffen, auf dem man später gestalten kann.
Ja, die Insolvenzen haben sicherlich viel absorbiert. Aber als Präsident trägt man Verantwortung für den gesamten Verein. Und hier wurden sogar die Basics vernachlässigt. Kommunikation und Dialog fanden nicht statt. Weder von den Verantwortlichen in Richtung der Abteilungen noch zwischen den Abteilungen. Die wurden alleinegelassen. Und mit den Mitgliedern und Fans wurde ebenfalls nicht geredet. Das wurde uns mehr als deutlich gemacht, als wir an die Türen der Abteilungen und Fangruppen angeklopft haben. Glauben Sie mir: Die waren ehrlich erstaunt, dass sie da mal jemand anhören wollte. Die kennen gar keinen aus dem aktuellen Präsidium persönlich, weil sich bei denen, von den Fußballdamen einmal abgesehen, noch nie jemand hat blicken lassen.
Ist das jetzt nicht ein wenig plakativ?
Gut, dann machen wir es konkret. Für jede Abteilung außerhalb der Fußball-GmbH sind 200 Euro, die ein Sponsor geben will, viel Geld. Höchst kontraproduktiv ist es jedoch, wenn die Abteilung dann sechs Wochen warten muss, bis das Präsidium Zeit und Muße findet, die Sponsoringvereinbarung zu unterschreiben. Dann ist dieser Sponsor weg. Oder: Warum hilft man den Abteilungen nicht, Unterstützer zu binden, die eventuell kein Geld geben wollen, aber stattdessen bereit wären, eine Sachspende zu leisten? Beispielsweise im Bereich Ausrüstung. Das mag für den Profifußball Kleinkram sein. Aber für jede andere Abteilung wäre das eine enorme Entlastung. Ich kann Ihnen garantieren, dass wir so etwas anders angehen würden.
Sie betonten gerade die große Verantwortung des Präsidenten für den Gesamtverein. Aktuell ist der als Vorsitzender des Aufsichtsrates auch verantwortlich für die Fußball-GmbH. Streben Sie ebenfalls den Vorsitz des Aufsichtsrates an, wenn Sie am 2. Oktober zum Vereinspräsidenten gewählt werden sollten? Unter den Mitgliedern ist eine Ämtertrennung Diskussionsstoff.
Grundsätzlich halte auch ich es für zumindest fragwürdig, beide Funktionen bei einer Person zu bündeln. Die beiden Posten sollten von unterschiedlichen Personen eingenommen werden, weil es nicht unproblematisch ist, beide Hüte zu tragen. Darüber haben wir in unserem Team intensiv gesprochen. Wer letztendlich den Vorsitz im Aufsichtsrat übernimmt, werden wir dann per Wahl im Laufe der konstituierenden Sitzung des Gremiums entscheiden.
Sie haben den Stillstand oder das bloße Verwalten auch auf den Fußballbereich bezogen.
Das ist richtig. Auch hier haben wir unter anderem von etlichen Sponsoren deutliche Signale bekommen, dass es an der Zeit sei, für frischen Wind zu sorgen. Weil man viele Dinge einfach hat schleifen lassen.
„Wir wollen viel Kraft in die Jugendarbeit investieren.“
Zum Beispiel?
Ganz prominent fällt mir die Jugendarbeit ein. Diese hat man über Jahre wie ein Stiefkind behandelt. Dabei ist eine konsequente Jugendarbeit nicht nur sportlich für einen Viertligisten enorm wichtig. Seriös betrieben, ist sie darüber hinaus eine Visitenkarte für den gesamten Verein. Deshalb wollen wir in diesen Bereich sehr viel Kraft investieren.
Sind das nicht typische Sätze aus einer Sonntagsrede, die ihre Bedeutung verlieren, sobald Wahlen entschieden sind und das Alltagsgeschäft Einzug gehalten hat?
Bestimmt nicht. Wir haben bereits sehr konkrete Maßnahmen in unser Aufgabenheft geschrieben. Wir wollen die Infrastruktur für die Jugendteams verbessern, die Trainerausbildung optimieren und die aktive Kooperation mit anderen Vereinen aus der Region angehen. Und wir wollen die Präsenz der Alemannia in der Region als gesellschaftlicher Faktor erhöhen. Augenhöhe, wenn nicht sogar ein wenig Demut sind die Stichworte. Wir sind weiß Gott nicht in der Position, den übrigen Vereinen mit der Arroganz der großen Fußballwelt gegenüberzutreten. Man muss sich wieder mit der Alemannia identifizieren können. Und am Ende des Prozesses muss ein Nachwuchsleistungszentrum stehen, das seinen Namen verdient hat. Uns allen ist allerdings auch klar, dass dies kein Prozess ist, der 2022 geschafft sein wird.
In der Theorie klingt das gut. Aber ist das in der Praxis nicht ein kleines Wolkenkuckucksheim? Immerhin müssen die von Ihnen genannten Maßnahmen finanziert werden. Und die Kassen der Alemannia sind bekanntlich nicht üppig gefüllt.
Entgegen der landläufigen Meinung sind bestimmt nicht alle Potenziale ausgeschöpft. Es sind etliche Unterstützer verprellt worden, die nur darauf warten, dass man alte Zöpfe abschneidet und ihnen endlich die Hand reicht. Das schließen wir aus unseren vielen Gesprächen. Einige von denen mögen vielleicht den Profifußball nicht mehr direkt unterstützen wollen. Doch für eine Förderung der Jugendarbeit oder auch anderer Abteilungen sind sie zu begeistern.
„Man wundert sich schon lange, warum bei der Alemannia immer wieder die gleichen Personenkreise eine Rolle spielen.“
Was verstehen Sie denn unter alten Zöpfen? Oder sollten wir besser fragen: wen?
Ganz schön provokativ gefragt. Es ist doch so, dass sich viele Menschen schon lange wundern, warum bei der Alemannia immer wieder die gleichen Personenkreise eine Rolle spielen. Aus immer wieder dem gleichen Umfeld. Aus immer wieder der gleichen Kanzlei, zum Beispiel. Man muss darüber nachdenken, ob das auf Dauer der beste Weg für den Verein ist. Oder ob es nicht besser wäre, die ewigen Zirkel aufzulösen, die sich nur noch mit sich selbst beschäftigen, anstatt sich auch mal andere Meinungen, Ideen und Vorstellungen anzuhören. Es bringt den Verein nicht unbedingt voran, wenn es am Ende nur noch um Eitelkeiten geht. So haben wir es jedenfalls vielerorts sehr deutlich zurückgespielt bekommen.
Ebenso eine gewisse Alemannia-Tradition scheint es zu sein, dass sich potente Gönner immer wieder gerne in das operative Fußballgeschäft einmischen. Muss man das als ein Verein einfach erdulden, weil man nicht auf Rosen gebettet ist, oder muss man dem entgegenwirken?
Da muss ganz eindeutig eine rote Linie gezogen werden. Kein Sponsor oder Gönner darf mit seiner Unterstützung erwarten, das Handeln des Vereins beeinflussen zu können. Schon gar nicht, wenn es um das operative Geschäft geht. In welcher Abteilung auch immer. Entscheidungen dürfen ausschließlich nur von den Verantwortlichen getroffen werden. Darauf würden wir bestehen.
Man benötigt keine große Fantasie, um zu erahnen, dass so etwas sehr schnell auch auf Sie zukommen könnte. Wie jüngst zum Beispiel im Laufe des sogenannten Spieleraufstandes oder anhand einer demonstrativ zur Schau gestellten Nähe zu Trainern und Sportdirektoren.
Da muss nicht unbedingt ein Konflikt entstehen. Man muss nur bereit sein, mit solchen Geldgebern in einen ehrlichen Dialog zu treten. Einerseits, um zu erfahren, was diese vielleicht stört, welche Ideen sie haben, was sie erwarten. Andererseits, um ihnen die Pläne und Entscheidungen des Vereins zu erläutern. Ohne dass man eine Einflussnahme dulden darf. Eine solche Einmischung vor allem über die Öffentlichkeit, wie sie es bei den Spielerprotesten gegeben hat, würden wir nicht hinnehmen. Kein Sponsor würde über die Besetzung des Trainerstuhls oder des Sportdirektorpostens mitbestimmen.
Haben Sie keine Bedenken, dass es deshalb im Falle Ihrer Wahl Probleme vor allem mit Wolfgang „Tim“ Hammer geben könnte, einem der mächtigsten Unterstützer der Alemannia? Der hat sich immerhin öffentlich für Thomas Gronen als künftigen Präsidenten ausgesprochen. Zum Beispiel im Rahmen einer Online-Veranstaltung der Aachener Zeitung.
Ich halte es für eine Mär, dass Tim Hammer einen Kandidaten präferiert. Immerhin sind zwei Mitglieder unseres Teams bei Hammer & Friends aktiv. Nein, ich bin mir sicher, dass wir keinen Sponsor verlieren würden, wenn ich zum Präsidenten gewählt werden würde. Im Gegenteil und wie ich bereits sagte: Wir haben gute Gründe, sehr zuversichtlich zu sein, weitere starke Unterstützer gewinnen zu können.
„Der Umgang mit den Spielerprotesten steht exemplarisch für ein oftmaliges Wegducken der Führungsriege.“
Wir hatten die Spielerproteste schon kurz angesprochen. Sie haben öffentlich betont, dass der Umgang des Aufsichtsrates unter Führung des Präsidenten mit dieser Affäre letztendlich den Ausschlag für Ihre Kandidatur gegeben hätte.
Das stimmt. Denn auch in diesem Fall sprechen wir über mangelnde Dialogbereitschaft und bloßes Verwalten. Da haben sich Menschen in letzter Konsequenz und weil sie an anderer Stelle kein Gehör gefunden hatten, an die schlussendlich Verantwortlichen gewandt. Und diese haben sie einfach abblitzen lassen. Mit der Begründung, man wolle sich nicht in sportliche Angelegenheiten einmischen. Dabei ging es zunächst einmal gar nicht um sportliche Angelegenheiten, sondern um erhebliche zwischenmenschliche Probleme. Und in solch einer Situation hört man Angestellten, und das sind die Spieler, einfach zu. Das ist Pflicht. Diese Pflicht hat man vernachlässigt. Ich glaube, dass man so nicht miteinander umgehen darf. Leider steht dieser Vorgang exemplarisch für ein oftmaliges Wegducken der Führungsriege. Insofern war der Umgang mit der Affäre tatsächlich ein Impuls für unsere Kandidatur. Weil wir anders ticken.
Martin Fröhlich hat immer kategorisch ausgeschlossen, dass unter seiner Präsidentschaft mehrheitlich Anteile der Fußball-GmbH an einen Investor verkauft werden. Weder unter einer trickreichen Umgehung der 50+1‑Regelung noch nach einem von vielen erwarteten Fall dieser Regelung. Gilt das auch für Sie?
Klipp und klar: ja. Auch ich bin ein absoluter Anhänger der 50+1‑Regelung und fände es furchtbar, wenn diese kippen würde. Das wäre eine Katastrophe für den deutschen Fußball in der Breite. Aus meiner Sicht muss man, wie von der Satzungskommission vorgeschlagen, das Festhalten an der 50+1‑Regelung sogar in der Vereinssatzung festschreiben.
Ein gutes Stichwort. Zurzeit gibt es einen Konflikt um die modifizierte Vereinssatzung. Die sollte eigentlich auf der kommenden Mitgliederversammlung zur Abstimmung gestellt werden. Die Satzungskommission und die organisierten Fans werfen dem Präsidium nun vor, dieses Vorhaben zu blockieren.
Von unserem Team ist Andreas Goertges ganz nahe an diesem Thema dran. Schließlich sitzt Andreas im Verwaltungsrat und steht somit in enger Abstimmung mit der Satzungskommission. Der Entwurf der modifizierten Satzung hätte unbedingt auf der kommenden Mitgliederversammlung zur Abstimmung gestellt werden müssen. Das war seit 2017 der Auftrag der Mitglieder an das Präsidium. Und einen solchen Auftrag hat das Präsidium zu erfüllen. Es ist ein Unding, dass im Präsidium über diese Neufassung anscheinend noch nicht einmal inhaltlich beraten wurde. Für die Versammlung im Oktober ist der Zug nun leider abgefahren. Wir versprechen, dass wir im Falle unserer Wahl die Angelegenheit auf die Tagesordnung der Mitgliederversammlung 2022 setzen werden.
„Das Präsidium hat sich von der Vereinsbasis völlig abgekoppelt.“
Können Sie abschließend den Mitgliedern kurz und knapp erklären, warum man Sie und nicht Thomas Gronen zum Präsidenten der Alemannia wählen sollte?
Mit uns wird ein Klima der offenen und ehrlichen Kommunikation in den Verein einziehen. Wir werden dazu beitragen können, die Alemannia als Verein im ursprünglichen Sinne zu revitalisieren. Indem wir wieder näher zusammenrücken und zu einem konstruktiven lebhaften Miteinander finden. Indem sich der Wünsche, Nöte und Probleme jeder einzelnen Abteilung gleichermaßen angenommen wird. Für Abteilungen, Fans und Mitglieder gibt es doch noch nicht einmal greifbare Ansprechpartner, geschweige denn, dass das Präsidium irgendwie zu packen sei. Das hat sich von der Vereinsbasis doch völlig abgekoppelt. In den vielen Gesprächen, die im Vorfeld geführt wurden, ist uns nachhaltig vermittelt worden, dass hierin ein Grundübel des Vereins liegt. Mit uns soll sich das grundlegend ändern.