Hap­py Auer

Benny Auer hat sich für eine Vertragsverlängerung entschieden. Vielleicht wird er in Aachen sogar seine Karriere beenden. Für die Zeit nach dem Fußball hat er schon lange vorgesorgt. Eine schwere Verletzung zu Beginn seiner Karriere lässt ihn heute gelassen in die Zukunft blicken.
Foto: Carl Brunn

5 Min. Lesezeit

Mitt­woch, 27.6.2001. Nur noch weni­ge Minu­ten sind im U20-WM-Ach­tel­fi­na­le zwi­schen Frank­reich und Deutsch­land zu spie­len. Beim Stand von 2:2 muss Ben­ny Auer ver­letzt aus­ge­wech­selt wer­den. Dass sein Team mit dem Schluss­pfiff den ent­schei­den­den Tref­fer kas­siert, bekommt der Mit­tel­stür­mer nur am Ran­de mit. Er hat ande­re Sor­gen. Sei­ne noch jun­ge Kar­rie­re steht auf dem Spiel. Die Dia­gno­se lau­tet Kreuzbandriss.

„Die­se Ver­let­zung war der größ­te Glücks­fall mei­nes Lebens.“ Auers heu­ti­ge Bewer­tung die­ser Ereig­nis­se ver­blüfft. Ist ihm vom Schick­sal nicht eine glän­zen­de Zukunft ver­baut wor­den? Immer­hin wird er, damals gera­de ein­mal 20-jäh­rig, als aus­sichts­reichs­tes deut­sches Offen­siv­ta­lent gehan­delt. Eine gro­ße Ehre. Aber auch eine eben­so gro­ße Bür­de. Ers­te Anzei­chen von Star­al­lü­ren las­sen nicht lan­ge auf sich warten.

In Mön­chen­glad­bach strau­chelt der Jung­pro­fi über all­zu arro­gan­te Aus­sa­gen in einem Inter­view. Kaum ist die Tin­te unter sei­nem Ver­trag am Bökel­berg getrock­net, hat sich Auer schon hoff­nungs­los mit Trai­ner Hans Mey­er über­wor­fen. Sich selbst über­schät­zend, scheint er sei­ne Kar­rie­re ziel­stre­big in eine Sack­gas­se zu len­ken. Gera­de recht­zei­tig öff­net ihm die U20-WM in Argen­ti­ni­en die Augen – in man­cher­lei Hinsicht.

Bei Aus­flü­gen mit dem Team wird ihm der eige­ne Wohl­stand erst­mals in vol­lem Umfang bewusst. Die Armut in den Vier­teln rund um das DFB-Quar­tier scho­ckiert ihn. Oben­drein gibt der Kreuz­band­riss jeg­li­chen selbst­herr­li­chen Ten­den­zen in ihm den Rest. Eine neue Beschei­den­heit hält Einzug.

Auer ver­zwei­felt nicht an der Erkennt­nis, dass eine Fuß­bal­ler­kar­rie­re jeder­zeit von heu­te auf mor­gen vor­bei sein könn­te. Er ver­steht sie als Her­aus­for­de­rung. Eben noch von Tau­sen­den beju­belt und plötz­lich gäh­nen­de Lee­re. In die­ses Loch möch­te er am Ende sei­ner Lauf­bahn nicht fal­len. Wäh­rend der Reha macht sich Auer erst­ma­lig Gedan­ken über die Zeit nach dem Fuß­ball. Als er nach sei­ner Gene­sung wie­der ins Mann­schafts­trai­ning ein­steigt, ist aus einer vagen Idee ein fes­tes Vor­ha­ben geworden.

Jen­seits des Tellerrands

Neun Jah­re spä­ter ist Auer in sei­ner Zukunfts­pla­nung an einem Punkt ange­langt, an dem er die Fuß­ball­schu­he getrost an den Nagel hän­gen könn­te. Drei Reha-Stu­di­os betreibt der 29-Jäh­ri­ge in sei­ner pfäl­zi­schen Hei­mat. Jeder­zeit stün­de der Pos­ten des Geschäfts­füh­rers in einer der Ein­rich­tun­gen für ihn bereit. Die Grund­vor­aus­set­zung dafür, ein Diplom in Fit­ness-Öko­no­mie, hat er per Fern­stu­di­um erwor­ben. Nach dem Abschluss im Som­mer 2008 hat er sich mit Gesund­heits­ma­nage­ment gleich noch für einen zwei­ten Stu­di­en­gang eingeschrieben.

Längst ist der Blick über den fuß­bal­le­ri­schen Tel­ler­rand für Auer zu einer Pas­si­on gewor­den. Stän­dig ist er auf der Suche nach neu­en Erfah­run­gen. Er wol­le ein­fach etwas für den Kopf tun, sagt er, nicht ver­blö­den. Er spricht von Selbstverwirklichung.

Foto: Ima­go

Fast wirkt es so, als sei der Fuß­ball ein Hemm­schuh für die­se Erwei­te­rung sei­nes Hori­zonts. Etwa, wenn Auer vom Rei­sen erzählt. All­jähr­lich zieht es ihn mit Ehe­frau Sabri­na in die Fer­ne. Ent­span­nung am Strand suchen die Auers eher sel­ten. Mal genie­ßen die bei­den die unbe­rühr­te Natur, mal erfor­schen sie das kul­tu­rel­le Ange­bot des jewei­li­gen Lan­des. Thai­land und Tan­sa­nia, Kenia und Kam­bo­dscha: Bei der Aus­wahl des Urlaubs­zie­les sind ihnen kei­ne Gren­zen gesetzt.

Bei der Aus­wahl des Urlaubs­zeit­punk­tes hin­ge­gen schon. Durch Ben­nys Beruf ist die­ser auf die spiel­freie Zeit redu­ziert. Wäh­rend der Sai­son blei­ben allen­falls Tages­aus­flü­ge. Selbst die Hoch­zeits­rei­se fand gezwun­ge­ner­ma­ßen im Som­mer statt. Für die Dau­er sei­ner Lauf­bahn kann sich Auer mit die­ser Situa­ti­on arran­gie­ren. Ent­spre­chend anders lau­ten­de Rei­se­plä­ne ver­schiebt er auf später.

„Das mache ich nach dem Fuß­ball.“ Ben­ny Auer sagt die­sen Satz häu­fig. Sel­ten schwingt beim Erwäh­nen des Kar­rie­re­en­des Bedau­ern mit; weit häu­fi­ger Vor­freu­de. Früh hat er sich dank des Kreuz­band­ris­ses um eine Zukunfts­per­spek­ti­ve küm­mern müs­sen. Die Ver­let­zung ist für Auers per­sön­li­che Ent­wick­lung extrem wich­tig gewesen.

Doch hat die­ser „Glücks­fall“ nicht auch eine enge emo­tio­na­le Bin­dung zur aktu­el­len Tätig­keit ver­hin­dert? Der Fuß­ball scheint für Auer nicht mehr als einen Abschnitt sei­nes Lebens dar­zu­stel­len, rela­tiv kurz und defi­ni­tiv end­lich. Dass er sei­nen Beruf mehr mit dem Kopf als mit dem Her­zen aus­übt, spü­ren auch die Fans. Allen guten Leis­tun­gen zum Trotz hat es Auer in sei­ner bis­he­ri­gen Zeit bei der Alemannia nicht zum Publi­kums­lieb­ling geschafft. Zum viel­stim­mig besun­ge­nen Fuß­ball­gott erst recht nicht.

Für Team und Ego

Man­geln­de Ein­stel­lung kann man ihm dabei kei­nes­wegs vor­wer­fen. In sei­ner zwei­ten schwarz-gel­ben Sai­son hat Auer über wei­te Stre­cken als ein­zi­ge Spit­ze fun­giert, vor­ne oft auf ver­lo­re­nem Pos­ten gestan­den. Ohne Mur­ren hat er sich in den Dienst der Mann­schaft gestellt. Dass er seit Cris­ti­an Fiels Rück­tritt die Kapi­täns­bin­de trägt, kommt nicht von unge­fähr. Auer ver­steht sich als Führungsspieler.

Wenn es die Situa­ti­on sei­ner Mei­nung nach erfor­dert, spricht er im Sin­ne des Teams auch Klar­text. Wie nach dem pein­li­chen Pokalaus in Wehen. Oder nach dem 3:0‑Heimsieg gegen den FSV Frank­furt im ver­gan­ge­nen August. Sei­ner­zeit trat er mit einem Fern­seh-Inter­view eine Lawi­ne los, die an ihrem Ende den Trai­ner über­rol­len soll­te. Sechs Tage spä­ter war die­ser sei­nen Job los.

Auer sieht sei­ne deut­li­chen Wor­te nach wie vor als gerecht­fer­tigt; selbst im Hin­blick auf die dar­aus resul­tie­ren­den Tur­bu­len­zen. „Es war bestimmt nicht mei­ne Absicht, Jür­gen See­ber­ger abzu­sä­gen“, weist er die Legen­de vom vor­sätz­li­chen Königs­mord weit von sich. Als zu schlecht hat­te er das Spiel der eige­nen Mann­schaft emp­fun­den, als zu groß die Gefahr, dass das kla­re Ergeb­nis dar­über hin­weg­täu­schen könn­te. Es wider­strebt ihm, Din­ge zu beschö­ni­gen, die er nicht gut findet.

Öffent­li­che Aus­brü­che wie nach dem Frank­furt­spiel blei­ben den­noch die Sel­ten­heit. Auf dem Platz lässt Auer am liebs­ten Tore spre­chen. Ob sehens­wert ver­senkt oder schmut­zig ein­ge­scho­ben, ist ihm dabei völ­lig gleich. Bei der Alemannia erlebt er in die­ser Hin­sicht eine der erfolg­reichs­ten Pha­sen sei­ner Lauf­bahn. Sta­tis­tisch gese­hen netzt er jede zwei­te Par­tie ein. Von den übli­chen Unken­ru­fern bei sei­ner Ver­pflich­tung als ewi­ges Talent abge­stem­pelt, hat er sich zu einem Leis­tungs­trä­ger gemau­sert, bereits meh­re­re schwarz-gel­be Mei­len­stei­ne gesetzt.

„Wir Fuß­bal­ler sind doch alle ver­kapp­te Pro­fil­neu­ro­ti­ker. Jeder von uns möch­te auf sei­ne Wei­se nach­hal­tig in Erin­ne­rung bleiben.“

Ben­ny Auer spielt natür­lich für sein Team, aber eben auch für den eige­nen Wikipedia-Eintrag

Sei­ne sech­zehn Tref­fer am Ende der Sai­son 2008/​09 mach­ten ihn zum ers­ten Tor­schüt­zen­kö­nig in der Zweit­li­ga­his­to­rie der Alemannia. Zudem geht sowohl das letz­te Pflicht­spiel­tor auf dem Tivo­li, als auch der ers­te Heim­tref­fer im neu­en Sta­di­on auf sein Kon­to. Dass die­se Ein­tra­gun­gen in die Geschichts­bü­cher sein Ego strei­cheln, gibt der Tor­jä­ger eben­so unum­wun­den wie augen­zwin­kernd zu. „Wir Fuß­bal­ler sind doch alle ver­kapp­te Pro­fil­neu­ro­ti­ker. Jeder von uns möch­te auf sei­ne Wei­se nach­hal­tig in Erin­ne­rung bleiben.“

Auch auf ewig mit dem Namen Ben­ny Auer ver­bun­den: das letz­te Tivo­li-Test­spiel­tor (der ers­ten Mannschaft)

Eine tra­gen­de Rolle

Foto: Carl Brunn

Schon vor lan­ger Zeit hat Auer auf­ge­hört, sich und sein Schaf­fen all­zu wich­tig zu neh­men. Ein gesun­des Maß an Selbst­kri­tik hat er sich erhal­ten. Zu gern erzielt er Tore, als dass ihn ver­ge­be­ne Groß­chan­cen kalt lie­ßen. Doch selbst meh­re­re Spie­le ohne Erfolgs­er­leb­nis las­sen ihn nicht mehr an sei­nen Fähig­kei­ten zwei­feln. Das stän­di­ge Auf und Ab im Tages­ge­schäft Fuß­ball bringt ihn nicht aus der Ruhe.

Auch die­se Gelas­sen­heit führt Auer auf sei­ne Erfah­run­gen nach dem Kreuz­band­riss zurück. Früh habe er gelernt, jedem nega­ti­ven Erleb­nis posi­ti­ve Aspek­te abzu­ge­win­nen. Wäh­rend, wie in der Hin­run­de 2009/​10, alle Erb­sen­zäh­ler unter den Jour­na­lis­ten die erfolg­lo­sen Minu­ten hoch­rech­nen, bleibt der Mit­tel­stür­mer gedul­dig. Der nächs­te Tref­fer kommt bestimmt. Der nächs­te Ver­ein nicht.

Nach zwei Mona­ten zäher Ver­hand­lun­gen hat sich Ben­ny Auer Anfang Mai für eine Ver­län­ge­rung sei­nes aus­lau­fen­den Kon­trak­tes ent­schie­den. Nur noch weni­ge Opti­mis­ten hat­ten mit die­ser Ent­wick­lung gerech­net. Schließ­lich hat­te sich Auer vor sei­nem Enga­ge­ment bei der Alemannia als nicht son­der­lich sess­haf­ter Fuß­ball­va­ga­bund erwie­sen. Doch dies­mal hat der Kopf­mensch mit dem Her­zen ent­schie­den. Sei­ne Wan­der­jah­re enden in Aachen.

Sport­di­rek­tor Erik Mei­jer misst ihm bei der Neu­ge­stal­tung des Teams eine tra­gen­de Rol­le zu. Und Auer nimmt die Her­aus­for­de­rung an. Auch weil er nach eige­nem Bekun­den erst­ma­lig in sei­ner Kar­rie­re eine sport­li­che Hei­mat gefun­den hat. Im bes­ten Fuß­bal­ler­al­ter möch­te er die­se nun zurück nach vor­ne brin­gen. Die Zukunft als Fit­ness-Öko­nom wird noch eine Wei­le war­ten müs­sen. Der Kapi­tän hat für drei Jah­re unterschrieben.

Vorheriger Beitrag

Ach, Du Schande

Nächster Beitrag

Auf Zwei und Vier

Sozia­le Aachener

Pratsch ins Postfach

Trag Dich ein, um von uns hin und wieder mit Neuigkeiten versorgt zu werden.

Mails kommen häufiger als unsere Hefte, aber garantiert nicht so, dass es nerven würde. Wir senden auch keinen Spam! Erfahre mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Insta­gram

Über den Pratsch

Als wir die ersten Buchstaben tippten, um unsere fixe Idee eines Alemannia-Magazins in die Tat umzusetzen, spielte Henri Heeren noch in Schwarz-Gelb. Jupp Ivanovic machte drei Buden am Millerntor und trotzdem träumte niemand von Bundesliga oder Europapokal. Das ist lange her. In der Zwischenzeit waren wir mit dem TSV ganz oben. Wir sind mit ihm ziemlich unten. Aufgehört haben wir unterwegs irgendwie nie. Neue Ausgaben kamen mal in größeren, mal in kleineren Abständen. Und jetzt schreiben wir halt auch noch das Internet voll.

Letz­te Ausgabe