Sie sind jetzt rund 100 Tage im Amt. Ein gern genommenes Datum, um eine erste Bilanz zu ziehen. Wie fällt Ihre aus?
Eine gute Frage. Eigentlich hatte ich noch gar keine Zeit, darüber nachzudenken. Wenn ich ehrlich bin, muss ich sagen, dass die Bilanz durchaus ambivalent ausfällt. Wir hätten uns die ersten Wochen sicherlich etwas weniger turbulent gewünscht, um die Dinge in Ruhe anpacken zu können. Das ist wohl vorrangig der sportlichen Situation geschuldet. Zudem sind wir vermutlich etwas blauäugig an die Sache herangegangen. Wir hatten gedacht, dass alle im Verein und im Umfeld zum Wohle der Alemannia an einem Strang ziehen würden. Wir mussten schmerzlich lernen, dass dem nicht so ist. Es gibt viel Unruhe von außerhalb. Andererseits haben wir auch sehr viele kompetente und aufrichtige Menschen kennengelernt, denen die Alemannia wirklich am Herzen liegt. So viel Unterstützung zu erfahren, macht das andere wett.
„Bei der Alemannia muss sich etwas komplett ändern.“
Und welche Lehren ziehen Sie aus Ihren ersten 100 Tagen als Aufsichtsratschef?
Zunächst einmal, dass man in diesem Umfeld nicht gleich jedem vertrauen darf, der einen lächelnd umarmt. Weil Sie nicht wissen, ob Sie im nächsten Moment das Messer im Rücken haben. Das zu erfahren, desillusioniert schon ein wenig. Das Wichtigste aber ist, dass wir mehr denn je davon überzeugt sind, dass sich bei der Alemannia etwas komplett ändern muss.
Nun wollen neue Amts- und Funktionsträger immer gerne ihre eigenen Duftmarken setzen und mahnen deshalb reflexartig Veränderungen an.
Das mag so sein. Aber die von uns vorgenommenen Veränderungen waren ja nun mal notwendig. Glauben Sie mir, ein achter Tabellenplatz und ein dadurch entspannteres Arbeiten wären uns lieber gewesen. Zudem sind aus unserer Sicht umfassende Renovierungsarbeiten notwendig – über die drängenden tagesaktuellen Themen hinaus.
Dann werden Sie doch mal konkret.
Zunächst einmal haben wir die Zusammenarbeit der Gremien neu gestaltet. Es muss sichergestellt werden, dass hier jeder seiner Verantwortung für den Verein entsprechend seiner Funktion gerecht wird. Man darf sich dieser Verantwortung nicht entziehen. Darüber hinaus muss es einen regelmäßigen Austausch geben. Jedem muss seine Rolle im Verein klar sein, damit wir diese ständige Unruhe endlich eindämmen können.
Wollen Sie damit etwa andeuten, dass man sich bei der Alemannia bisher vor der Verantwortung gedrückt und weggeduckt hat?
Richtig ist, dass der Aufsichtsrat ein Kontrollgremium ist und das operative Geschäft nicht steuern soll. Doch es ist durchaus die Aufgabe des Aufsichtsrats, Dinge zu hinterfragen und offen anzusprechen, wenn etwas falsch läuft. Und wenn sich diese Dinge dann nicht zum Besseren wenden, hat er die Verpflichtung, einzugreifen und alles dafür zu tun, das Schiff wieder auf Kurs zu bringen. Es ist sicherlich nicht angenehm, wenn man von einer langfristig angelegten Planung abrücken soll. Wenn man jedoch schmerzlich erleben muss, dass der Plan nicht funktioniert, muss man bereit sein, ihn zu korrigieren.
Spielen Sie auch auf die aktuelle sportliche Misere an? Hätte Ihr Vorgängergremium Ihrer Meinung nach schon früher die Reißleine ziehen müssen?
Ja, vielleicht hätte man beim Thema der sportlichen Leitung früher eingreifen müssen oder Experten zur Kaderplanung hinzuziehen sollen. Doch, wie gesagt, für mich ist das Problem grundsätzlicherer Natur. Wenn man nicht bereit ist, sich den Fragen zu stellen, die Verantwortung konsequent von sich wegschiebt und die Entscheidungen immer anderen überlässt, entsteht ein Führungsvakuum. Dadurch können einem die Dinge ganz schnell entgleiten. Wir wollen nicht, dass uns die Dinge entgleiten. Deshalb werden wir die tägliche Arbeit miteinander anders angehen.
Heißt das, dass Sie sich deutlich mehr um das operative Geschäft kümmern werden?
Nein, das heißt es nicht. Ich sagte ja bereits, dass das operative Geschäft nicht die Sache des Aufsichtsrats sein darf. Allerdings werden wir deutlich näher dran sein und die Dinge sich nicht selbst überlassen.
Sie hatten sich früh öffentlich erschrocken gegeben, weil die finanzielle Situation, die Sie vorgefunden hatten, nicht so solide gewesen sei, wie man es immer dargestellt hätte. Wie stellt sich die Finanzlage der GmbH denn zurzeit dar? Man zahlt Patrick Helmes weiterhin Gehalt, ebenso dem Athletiktrainer. Der Ausgang der Causa Bader ist ungewiss und kann der Alemannia zusätzliche Kosten bescheren. Der Kader ist verstärkt worden. Das Zuschaueraufkommen liegt unter der Kalkulation. Das sind nicht die besten Voraussetzungen.
Wir befinden uns sicherlich in keiner angenehmen Situation. Ich bin auch nicht sonderlich erfreut, dass wir einen Patrick Helmes und im Worst Case auch noch einen Martin Bader für ein Jahr auf der Payroll haben könnten. Doch zunächst können wir das über Rückstellungen abfangen, die der Verein dank der Coronahilfen bilden konnte. Für die Zukunft müssen wir die Einnahmen erhöhen. Deshalb sind wir glücklich und sehr dankbar, Partner gefunden zu haben, die unseren Weg mitgehen wollen. Bestehende aber auch neue und solche, die wir zurückholen konnten. So hat zum Beispiel Helmut Kutsch fest zugesagt, die Alemannia wieder unterstützen zu wollen. Wir konnten in diesem Bereich also zulegen, sodass wir zum Beispiel in der Lage waren, den Kader zu verstärken.
Und was würde passieren, wenn es pandemiebedingt erneut zu weitreichenden Einschränkungen bei der Zulassung von Zuschauern kommen würde?
Dann wären wir auf weitere Landeshilfen angewiesen. Allerdings betrifft das nahezu alle Regionalligisten gleichermaßen. Doch es gibt bereits deutliche Signale, dass die betroffenen Vereine im Fall des Falles damit rechnen können.
Die finanzielle Situation der Alemannia ist demnach nicht existenzbedrohend?
Nein, absolut nicht. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir nicht auf die Kosten achten müssten und Maßnahmen, wie zum Beispiel einen Trainerwechsel, sinnvoll absichern müssen. Wir müssen effektiver werden. Aufwand und Ertrag müssen dringend in ein besseres Gleichgewicht gebracht werden. Vor diesem Hintergrund sind wir glücklich, Dr. Dirk Kall ins Boot geholt haben zu können. Der kann uns entscheidend bei der Finanzplanung helfen.
Sie meinen jenen Dirk Kall, der in dem Aufsichtsrat verantwortlich tätig war, dem Sie öffentlich eine unsolide Finanzplanung und Untätigkeit attestiert hatten?
Dirk Kall ist ein Profi in Sachen Fußball und Finanzen. Er ist Alemanne und kennt den Verein genau. So ein Mann kann für uns nur von Vorteil sein. Er war in den vergangenen Jahren immer der Mahner, der die Probleme deutlich angesprochen hat. Solche kritischen und ehrlichen Meinungen sind Gold wert und sollten in die Überlegungen einbezogen werden. Auch, wenn es unbequem sein kann. Man kann nicht erfolgreich arbeiten, wenn man nur Jasager und Abnicker akzeptiert.
„Die Kaderplanung war amateurhaft.“
Effektiver werden. Aufwand und Ertrag in ein besseres Gleichgewicht bringen. Das klingt ein wenig nach Grundseminar in Unternehmensführung. Was bedeutet das im Klartext?
Nehmen Sie doch nur einmal die Kaderplanung. Die war amateurhaft. Die Mannschaft wurde für ein spezielles System zusammengestellt, das wir nie gespielt haben. De facto verfügten wir je nach Interpretation über fünf oder sechs gelernte Innenverteidiger. Fürs zentrale Mittelfeld hatten wir sieben oder acht Spieler. Auf den Außen hingegen herrschte Mangel. Aufwand und Ertrag stehen in keinem gesunden Verhältnis.
Aber die Kaderplanung wird nun nicht vom Aufsichtsrat verantwortet. Das kann man Ihren Vorgängern schwerlich ankreiden.
Ich will unseren Vorgängern auch gar nichts ankreiden. Ich bin überzeugt davon, dass man nur das Beste für die Alemannia wollte. Sie haben unseren Respekt verdient. Nein, die fehlerhafte Kaderplanung ist zunächst einmal die Schuld derjenigen, die für den Kader verantwortlich zeichneten. Nur hätte ich mir, als es in die falsche Richtung lief und die unmittelbar Verantwortlichen ihre Linie trotz anhaltenden Misserfolgs stur weiterverfolgten, den Mut gewünscht, sich mit dem Sachverhalt und den Personen auseinanderzusetzen. Wir haben das getan. Aber das Thema gelebte Verantwortung hatten wir ja bereits.
Und Martin Bader wollte seine Linie stur weiterverfolgen?
Ja. Martin Bader hat immer wieder deutlich gemacht, dass er an Patrick Helmes auch dann festhalten würde, wenn wir zum Abschluss der Hinserie auf dem letzten Tabellenplatz stehen würden. Weil er von dem eingeschlagenen Weg und Patrick Helmes überzeugt sei. Von der sportlichen Leitung wurde bis zum Schluss versichert, dass die Mannschaft spätestens zur Rückrunde abliefern würde. Mit dieser Truppe würde man niemals absteigen. Nach 13 Spielen und meist katastrophalen Leistungen, die in keinster Weise dem grundsätzlichen Leistungsvermögen der Spieler entsprachen, haben wir nicht mehr daran geglaubt. Wir hatten keine Hoffnung, dass es sich zum Besseren wenden könnte. Also waren wir in der Pflicht, Verantwortung zu übernehmen und eine Entscheidung zu treffen.
Nun soll es also Fuat Kilic richten. Warum er?
Weil Fuat Kilic ein absolutes Mentalitätsmonster ist. Weil er die Liga kennt und bewiesen hat, dass er Mannschaften formen kann. Er hat die Fähigkeiten, etwas aufzubauen. Zudem kennt er das Umfeld und weiß, was auf ihn zukommt. Man kann sehr konstruktiv mit ihm diskutieren.
Glaubt man der örtlichen Presse, so haben sich große Teile der Mannschaft nicht gerade glücklich über die Verpflichtung Fuat Kilics gezeigt. Droht hier der nächste Konflikt?
Davon habe ich auch gelesen. Aber das ist kein Thema. Ich habe mich deshalb sofort darum gekümmert. Nach den Gesprächen, die ich geführt habe, kann ich das Gerücht beim besten Willen nicht bestätigen. Von einem Konflikt zwischen der Mannschaft und dem Trainer kann keine Rede sein. Ich kann mir allerdings vorstellen, dass der ein oder andere Spieler mit der Situation nicht ganz so zufrieden ist. Aber vielleicht wäre es auch mal an der Zeit, sich an die eigene Nase zu packen.
Die drei nicht mehr berücksichtigten Spieler Tjorben Uphoff, Christian Gartner und Tim Buchheister wurden zum Training in die A‑Jugend verbannt. Warum hat man eine derart drastische Maßnahme gewählt? Schließlich haben sich die drei nichts zuschulden kommen lassen.
Die Entscheidung hat nicht der Aufsichtsrat getroffen. So etwas ist auch nicht unsere Aufgabe. Das fällt allein in den Kompetenzbereich der sportlichen Leitung. Ich habe von der Sache erst im Nachhinein erfahren und weiß auch nicht, was genau zu dieser Maßnahme geführt hat. Deshalb kann ich zu den genauen Umständen nichts sagen. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass man respektvoll miteinander umgehen und die Dinge vernünftig und anständig miteinander besprechen sollte. Das gilt für alle Beteiligten.
Ein weiteres problematisches Thema könnte die Besetzung des Sportdirektorpostens sein. Das würde bedeuten, dass Fuat Kilic einen Vorgesetzten in seinem ureigenen Beritt akzeptieren müsste. Schaffen Sie damit nicht einen weiteren Konfliktherd?
Zunächst einmal geht es uns ausschließlich um das Wohl und Wehe der Alemannia. Zum Zweiten stehen wir vor enormen Herausforderungen, die weit über die Kaderplanung hinausgehen. Wir benötigen Partnervereine für unsere Nachwuchsförderung. Wir wollen unseren eigenen Jungendbereich neu strukturieren. Wir müssen unsere Infrastruktur verbessern. Wir müssen uns mehr in den gesamten Fußball unserer Region einbringen, damit auch andere Vereine von uns profitieren. Am Ende wollen wir wieder als verlässliche und kollegiale Ansprechpartner gelten. Da fallen langfristige Aufgaben an, die eine Person nicht allein schultern kann. Also müssen wir uns breiter aufstellen.
„Wir dürfen uns in keinem Bereich von einer einzelnen Person abhängig machen.“
Das mag ja richtig sein. Aber dennoch wird es zu Kompetenzüberschneidungen und dadurch eventuell zu Konflikten kommen können.
Nein. Unser unmissverständlicher Auftrag an die Verantwortlichen wird sein, Lösungen im Team zu erarbeiten. Denn auch hier denken wir grundsätzlich und perspektivisch. Wir dürfen uns in keinem Bereich von einer einzelnen Person abhängig machen. Nicht von einem Trainer und nicht von einem Sportdirektor. Es ist nicht förderlich, das Rad jedes Mal neu zu erfinden, wenn man einen Wechsel in der sportlichen Leitung vornehmen muss. Die Konstante muss die Alemannia mit ihrer spezifischen DNA und ihrer Art zu agieren sein. Das Personal muss sich an dieser Konstante orientieren. Wenn der eine rechtsherum laufen lässt und der Nächste linksherum, macht es uns beliebig. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wir müssen dahin kommen, dass nicht der Trainer das vermeintlich richtige Spielsystem für die Alemannia vorgibt. Vielmehr müssen wir es schaffen, ein Spielsystem zu etablieren, für das wir dann den passenden Trainer suchen.
Bei allem Respekt – das klingt ein wenig nach idealer heiler Fußballwelt. Der schnelllebige Alltag lässt einen da doch rasch an seine Grenzen stoßen.
Nein, das hat nichts mit heiler Welt zu tun. Das ist eine Überlebensstrategie. Wir sind dazu verdammt, eine unverwechselbare und jederzeit verlässliche Identität zu leben. Die haben wir im Laufe der vergangenen Jahre schleifen lassen. Und ein großer Name allein reicht nicht. Unsere Partner, unsere Mitarbeiter, unsere Fans müssen sich sicher sein, mit wem sie es zu tun haben. Was sie von uns erwarten können. Auf und neben dem Rasen. Nur dann ist man bereit, uns zu folgen und zu unterstützen. Das ist umso wichtiger in einer Situation, in der wir mit dem GAU rechnen müssen.
Sie planen also bereits auch für die fünfte Liga?
Selbstverständlich planen wir zweigleisig, auch wenn wir fest vom Klassenerhalt überzeugt sind. Alles andere wäre fahrlässig. Schließlich müssten wir uns in so ziemlich allen Bereichen neu aufstellen, ohne dass alles zusammenbricht. Wir hätten keine Mannschaft. Die Organisation der Geschäftsstelle würde sich ändern. Alles würde auf den Prüfstand kommen. Vor diesem Hintergrund denken wir ja auch über die Position des Sportdirektors nach. Wir benötigen kompetente Leute mit einem Herz für die Alemannia.
Sie hatten bereits mehrfach versichert, dass die Alemannia im Falle des GAU auch in der fünften Liga überleben könnte. Nun diskutiert man im Umfeld, ob es für den Verein nicht sogar gesünder wäre, abzusteigen, um sich dann in der Mittelrheinliga wieder zu konsolidieren.
Für mich ist das ausgemachter Blödsinn. Landauf, landab hat man doch schon bei den Abstiegen in Liga drei und Liga vier so argumentiert. Haben sich solche Prognosen bewahrheitet? Nein, haben sie nicht. Aber was noch viel schlimmer ist: Denkt man dabei auch mal an die Konsequenzen für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter? Im Falle des Falles müssten wir zum Beispiel in der Geschäftsstelle Personal abbauen. Da arbeiten Menschen seit Jahren für ein Gehalt, für das die meisten dieser Neunmalklugen noch nicht einmal aus dem Bett steigen würden. Die Existenz dieser Menschen wäre akut gefährdet. Wir stehen da in der Verantwortung. Also soll man mich mit solchen Ideen verschonen.
Können Sie uns über den Stand der Dinge bei Ihrer Suche nach einem geeigneten Sportdirektor aufklären?
Wir gehen davon aus, dass wir zeitnah Vollzug melden können.
„Helge Hohl hat in Bergisch Gladbach herausragende Arbeit abgeliefert.“
Einen Namen wollen Sie uns wahrscheinlich nicht nennen. Seit Wochen schwirrt der Name Helge Hohl durch die Gerüchteküche.
Nein, einen Namen bekommen Sie von mir nicht. Zu Helge Hohl: Der hat in Bergisch Gladbach herausragende Arbeit abgeliefert und den Verein mit einem Minietat in die Regionalliga geführt. Er kennt die Liga und ihre ganz speziellen Anforderungen. Er hat interessante Vorstellungen und Ideen. Bei ihm spürt man die Begeisterung für den Fußball. Entsprechend gut ist sein Leumund in der Branche. Zudem war er bereits in der Aachener Region tätig. Da liegt es auf der Hand, dass er mit der Alemannia in Zusammenhang gebracht wird. Und wir haben uns mit ihm in der Tat intensiv auseinandergesetzt. Mehr will ich heute dazu nicht sagen.
Würde ein Abstieg bedeuten, dass die GmbH liquidiert werden und der gesamte Fußballbereich zurück unter das Dach des eingetragenen Vereins gehen würde?
Ehrlich gesagt haben wir uns mit dieser Frage noch gar nicht beschäftigt. Ich sehe jedoch keinen Grund, warum wir alles wieder unter das Dach des Vereins schieben sollten. Die Ausgliederung weiter Teile des Fußballbereiches geschah ja aus gutem Grund. Immerhin bleibt der e. V. auf diese Weise unberührt von negativen Entwicklungen im Profifußballsegment. Blickt man auf die beiden Insolvenzen der GmbH zurück, muss man glücklich sein, dass die Alemannia 2006 ausgegliedert hat. Ein Fortbestehen der GmbH hätte aus meiner Sicht keine Nachteile. Eher im Gegenteil.
Gehört die Spielstätte auch zu den Dingen, die dann infrage gestellt werden würden? Fünftligafußball in diesem 32.000-Zuschauer-Stadion kann man sich kaum vorstellen.
Es gibt keine Alternative zum Tivoli. Nirgendwo in der Stadt oder im Umland. Wir sind da auch bereits in einem engen Austausch mit den Verantwortlichen bei der Stadt und deren Stadionbetreibergesellschaft. Ich habe das Gefühl, dass es uns gelungen ist, ein gutes und vertrauensvolles Verhältnis zu den dort Handelnden aufzubauen. Die Bereitschaft, uns zu helfen, ist groß. Aber jetzt müssen wir liefern. Das betrifft vor allem auch das Thema Jugend- und Nachwuchsförderung. Das liegt der Stadt verständlicherweise sehr am Herzen. Wir müssen glaubhaft darlegen, dass dieses Thema in Zukunft einen deutlich höheren Stellenwert besitzen wird, als es zuletzt der Fall war.
Sie hatten erwähnt, dass die Jugendarbeit ganz oben auf der Agenda stehen würde. Bisher hatte man sich bewusst und kategorisch gegen den Aufbau entsprechender Strukturen entschieden. Die Einrichtung eines Nachwuchsleistungszentrums wurde abgelehnt.
Wir denken hier völlig anders. Ich wiederhole mich ungern, aber wir müssen perspektivisch denken. Dazu gehört auch, dass wir endlich akzeptieren, aufgrund unserer Rahmenbedingungen zunächst einmal ein Ausbildungsverein zu sein. Wir werden nur dann langfristig erfolgreich sein können, wenn es uns gelingt, Talente professionell auszubilden, sie für unsere erste Mannschaft fit zu machen und ihnen so im besten Fall ein Sprungbrett zu einer Karriere in höheren Gefilden zu bieten. Zum Vorteil aller Beteiligten. So etwas geht aber nur, wenn die Nachwuchsförderung auf einem Niveau geschieht, das in der Branche akzeptiert ist. Und damit wären wir bei einem zertifizierten Nachwuchsleistungszentrum.
Finden Sie, dass das Nachwuchstraining bei der Alemannia gehobenen Ansprüchen nicht genügt? Immerhin spielen zwei Jugendmannschaften in der Bundesliga.
Wir bieten zweifellos ein gutes Training. Wir haben gute, engagierte Trainer und Koordinatoren. Was unsere Jugendabteilung aus den vorhandenen Mitteln macht, verdient allergrößten Respekt. Schauen Sie sich doch nur einmal unsere B‑Jugend an. Die steht in der Bundesliga vor den Nachwuchsteams aus Köln und Leverkusen. Aber zu einer anerkannten und attraktiven Förderung gehört viel mehr. Hierzu zählen beispielsweise eine fundierte Trainerausbildung für Partnervereine, adäquate Trainings- und Spielanlagen, eine umfassende medizinische Versorgung, psychologische Begleitung, schulische Betreuung oder berufliche Ausbildungsmöglichkeiten. Erst ein solches Gesamtpaket macht einen attraktiv im Wettbewerb um die Talente. Wir stehen da zurzeit erst am Anfang eines Weges und sind deshalb für viele Talente wenig spannend.
„Wir müssen uns ein Nachwuchsleistungszentrum leisten, wenn wir wettbewerbsfähig sein wollen.“
Die Einrichtung eines Nachwuchsleistungszentrums ist aber doch auch eine finanzielle Frage. Kann die Alemannia sich so etwas leisten?
Dieses Argument lasse ich nicht gelten. Wir müssen uns das leisten, wenn wir wettbewerbsfähig sein wollen. Es gibt sinnvolle und weniger sinnvolle Investitionen. Ein professionelles Nachwuchsleistungszentrum ist definitiv eine der sinnvollsten Investitionen überhaupt. Das mal grundsätzlich. Zum Thema Kosten: Ich werde wütend, wenn besonders Schlaue immer wieder Millionensummen nennen, die aufgebracht werden müssten. Das ist Humbug von Leuten, die viel reden, aber sich nie um die Details gekümmert haben. Ein NLZ kostet in der Einrichtung 250.000 Euro jährlich. Davon bekommt man vom DFB im Falle einer Zertifizierung 50.000 Euro zurück. Unser Investment wären also 200.000 Euro pro Jahr. Uns haben schon einige potenzielle Partner signalisiert, dass sie den Profifußball zwar nicht unterstützen wollen, doch sehr gerne ihren Beitrag zur Jugendförderung leisten wollten. Wenn man diesen Plan energisch und seriös angeht, ist er gut umzusetzen. Man muss halt bereit sein, sich damit intensiv zu beschäftigen und Energie darauf zu verwenden. Etwas erst gar nicht anzupacken und unreflektiert die Kostenkeule zu schwingen, ist einfach, aber nicht perspektivisch gedacht. Zumal eine fundierte Jugendarbeit ein entscheidender Faktor ist, um die Alemannia-DNA zurück an den Tivoli zu bringen.
Ihr Vorhaben klingt äußerst ambitioniert. Welchen Zeitrahmen haben Sie sich dafür gesteckt?
Dieses Thema wurde während der vergangenen Jahre vernachlässigt. Dementsprechend fangen wir ganz unten an. Allerdings stecken wir bereits in der konkreten Planung. Einen genauen Zeitrahmen kann ich Ihnen dennoch nicht nennen. Aber es darf bestimmt keine fünf Jahre dauern.
Allen grundsätzlichen und langfristigen Überlegungen zum Trotz, darf man den Alltag nicht aus dem Blick verlieren. Und da scheint es zurzeit auch abseits des Platzes etwas zu knirschen. Ex-Aufsichtsrat Johannes Delheid geht Sie via örtlicher Presse an. Dann äußert der Hauptsponsor ebenfalls via Lokalblatt seinen Unmut. Was ist da los?
Ich kann verstehen, wenn die Öffentlichkeit sich fragt, was bei der Alemannia los ist. Unsere Außendarstellung ist zurzeit vielleicht nicht die beste. Wir haben da sicher Fehler gemacht und müssen besser werden. Die Kommunikation über Facebook zum Beispiel war dann doch eher semioptimal. Das würden wir heute nicht mehr so machen. Wir lernen dazu. Über die beiden von Ihnen zitierten Fälle kann ich allerdings nur den Kopf schütteln. Da sehe ich zwischen der Berichterstattung und den tatsächlichen Umständen erhebliche Diskrepanzen.
Dann klären Sie uns doch auf.
Die Geschichte mit Johannes Delheid war albern. Ich kenne Herrn Delheid nicht persönlich. Er kennt mich nicht persönlich. Wir haben niemals ein längeres Wort miteinander gesprochen. Hätte Herr Delheid zum Telefonhörer gegriffen, hätten wir uns aussprechen und die Sache klarstellen können. So aber hat das Vorgehen der Alemannia nicht gutgetan. Mehr wollte ich nicht ausdrücken. Vielleicht wäre es eine gute Idee gewesen, wenn der Redakteur auch einmal bei mir nachgefragt und sich meine Sichtweise der Dinge angehört hätte. Dann hätte er ganz schnell gemerkt, dass das Ganze nur ein Sturm im Wasserglas war. Sei es, wie es ist: Ich bin jederzeit bereit, mit Johannes Delheid zu sprechen und werde deshalb auf ihn zugehen. Ich bin mir sicher, dass wir die Differenzen im Sinne der Alemannia beiseiteräumen können. Immerhin hat Johannes Delheid mit seiner Kanzlei viel für die Alemannia geleistet.
Dann wären da noch die Einlassungen Roger Lothmanns, des Chefs Ihres Hauptsponsors.
Die Meinungen unserer Sponsoren sind uns wichtig. Sie sind für uns ein entscheidender Indikator. Und das gilt ganz besonders für Roger Lothmann, der uns vorbildlich unterstützt. Wir werden zeitnah Gespräche mit ihm führen.
Dennoch vermittelt der Artikel den Eindruck, dass der Hauptsponsor mit der Entlassung Martin Baders nicht glücklich sei.
Es ist nie leicht, wenn die Ansprechpartner wechseln und sich vielleicht die ein oder andere Herangehensweise ändert. Man muss sich kennenlernen. Vertrauen muss neu aufgebaut werden. Es gibt keine Anzeichen, dass uns das nicht gelingen wird. Warum die Lokalpresse daraus einen grundsätzlichen Konflikt konstruieren will, ist mir schleierhaft. Zumal das der Alemannia auch schaden kann.
Ohnehin scheint Ihr Verhältnis zur Lokalpresse, vorsichtig geurteilt, eher unterkühlt zu sein. Ihr jüngstes Interview mit der Aachener Zeitung liest sich jedenfalls so.
Ach, ich möchte das gar nicht hoch aufhängen. Ich hatte mich lediglich geärgert, dass die Berichterstattung zuletzt sehr negativ war. Ständig wurde kritisiert und alles in Frage gestellt. Aber wir haben es ja selbst in der Hand. Wenn wir Erfolg haben, ändert sich auch die Berichterstattung. Hoffentlich.
„Man fragt nicht, warum wir etwas verändern, sondern man klagt an, dass wir etwas verändern.“
Nun sind die Medien aber genau dafür da, die Entwicklungen kritisch zu begleiten und den Verantwortlichen auf die Finger zu schauen. Hofberichterstattung oder Gefälligkeitsjournalismus dürfen Sie nicht erwarten.
Das erwarte ich beileibe nicht. Kritische Berichterstattung muss sein. Die müssen wir aushalten. Aber sie sollte fair, faktenorientiert und objektiv sein. Wo fand denn die kritische Auseinandersetzung mit dem statt, was war? Wir stehen doch nicht aus Zufall mit einem Bein im Abgrund. Die Gründe dafür werden jedoch überhaupt nicht hinterfragt und thematisiert. Stattdessen geht man diejenigen an, die gerade einmal 100 Tage im Amt sind. Man fragt nicht, warum wir etwas verändern, sondern man klagt an, dass wir etwas verändern. Zudem habe ich mal gehört, dass man immer möglichst alle Aspekte eines Sachverhaltes beleuchten und sich nicht nur eine Meinung zu eigen machen sollte. Aber eigentlich habe ich keine Lust, mich mit solchen Nebenkriegsschauplätzen zu beschäftigen. Wir haben genügend andere und deutlich wichtigere Dinge zu erledigen.
Warum muss es bei der Alemannia immer Trara geben? Warum können die Dinge nicht einmal ruhig und professionell laufen?
Die Frage habe ich mir auch schon oft gestellt. Ich glaube, dass es in der Vergangenheit zu oft um Egos ging, statt um die Sache. Immer wieder bestimmten eher Eitelkeiten den Lauf als Sachzwänge – innerhalb und außerhalb des Vereins. Das muss sich ändern. Wir benötigen Mitstreiter, die auf dem Boden unserer Möglichkeiten handeln, den Blick für die Realitäten haben und die zuvorderst an die Alemannia denken, indem sie sich selber etwas zurücknehmen. Klingt nach einer Binsenweisheit, ist aber wahr.