Liest man die Nachrichten rund um Alemannia Aachen der vergangenen Wochen, könnte einem schwindelig werden. Der Sportetat erreicht ein Rekordniveau. Die Neuzugänge lassen aufhorchen. Knapp zwei Monate vor Saisonstart sind bereits mehr als 2.000 Dauerkarten über den Tresen gegangen. Zeit für IN DER PRATSCH, Aufsichtsratschef Marcel Moberz nach seinen Befindlichkeiten zu befragen. Rückblickend wie vorausschauend.
Die erste volle Saison seit Ihrer Wahl zum Aufsichtsratsvorsitzenden ist beendet. Es war eine ereignisreiche. Wie blicken Sie auf die Spielzeit zurück?
Zunächst einmal sind wir beruhigt, dass wir sportlich eine sorgenfreie Saison hinter uns gebracht haben. Aber wir wären nicht Alemannia Aachen, wenn es nicht auch die eine oder andere Aufregung gegeben hätte. So mussten wir dann und wann unvorhersehbare Entscheidungen treffen.
Sind Sie unter dem Strich zufrieden mit der Saison?
Aus sportlicher Sicht muss ich das mit einem deutlichen Nein beantworten. Platz Acht ist nicht das, was wir erwartet hatten. Für das Auftreten der Mannschaft in der Zeit nach dem Spiel gegen Preußen Münster habe ich kein Verständnis. Das war einer Alemannia nicht würdig.
„Wir haben durch das Nachlassen eine
mittelhohe fünfstellige Summe verspielt.“
Sie hatten vor Monaten behauptet, dass mit dieser Mannschaft der fünfte Platz erreicht werden müsse. Zudem wären mit Erreichen dieses Rangs zusätzliche Sponsorengelder geflossen.
Das ist richtig. Wir sind bis heute davon überzeugt, dass die Mannschaft ausreichend Qualität besaß, um Platz Fünf erreichen zu können. Und es sah ja auch einige Zeit danach aus. Doch auch wenn am Ende nur ein Punkt fehlte, haben wir durch das Nachlassen eine mittelhohe fünfstellige Summe verspielt. Das ärgert uns. Vor allem, weil es völlig unnötig war.
Wie erklären Sie sich den Leistungsabfall? War die Luft zu früh raus?
Diese immer gerne verwendete Floskel, dass die Luft raus gewesen sei und deshalb die Motivation gefehlt habe, lasse ich nicht gelten. Zur Professionalität eines Spielers gehört, dass man vom ersten bis zum letzten Tag einer Saison alles gibt. Schließlich ist man Angestellter des Vereins und trägt somit eine Verantwortung gegenüber seinem Arbeitgeber, dessen übrigen Mitarbeitern, den Sponsoren und den Fans. Die Beschäftigten auf der Geschäftsstelle arbeiten ja auch bis zum Schluss. Die Sponsoren geben ihr Geld für die gesamte Saison. Die Fans laufen uns bis zum Abpfiff des letzten Spiels die Bude ein. Der Respekt davor und die entsprechende Einstellung haben viele Spieler vermissen lassen. Ich weiß, dass das eine Unart ist, mit der man im Fußball vielerorten immer wieder zu kämpfen hat. Aber bei uns will ich so etwas nicht tolerieren. Und ich garantiere Ihnen, dass wir das unter unserer Führung am Tivoli so nicht mehr erleben werden.
Im Zuge des überraschenden Trainerwechsels nach elf Spieltagen hatten Sie den Erfolg dieser Maßnahme und das Abschneiden des Teams mit ihrem Schicksal verknüpft. Sie hatten gesagt, wenn diese Operation scheitern würde, wären Sie gescheitert und würden entsprechende Konsequenzen ziehen. Stehen Sie nach dem für Sie enttäuschenden achten Platz jetzt genau vor dieser Situation?
Ja und nein. Ja, weil wir nicht die Ziele erreicht haben, die wir mit dem Trainerwechsel angestrebt und offensiv kommuniziert hatten. Wir sind hinter unseren Erwartungen zurückgeblieben, von denen ich auch heute noch überzeugt bin, dass sie absolut realistisch waren. Deshalb kann ich verstehen, wenn einige Leute meinen, dass die Maßnahme nicht den gewünschten Erfolg gebracht hätte. Andererseits sind wir trotz dieser ernüchternden Bilanz davon überzeugt, dass sich der Austausch der sportlichen Leitung ausgezahlt hat. Sicherlich im Hinblick auf sportliche Faktoren, wie Spielidee und Taktik. Aber vor allem auch was die Zusammenarbeit aller Beteiligten von der Geschäftsstelle bis zum technischen Staff betrifft. Da sind hier eine wohltuende Ruhe und Sachlichkeit eingekehrt, die dem gesamten Verein guttun. Perspektivisch war der Trainerwechsel unausweichlich.
Dieses verbesserte Binnenklima scheint beim kickenden Personal allerdings nicht angekommen zu sein. Nach dem Trainingslager in Belek waren die Friktionen zwischen Mannschaft und Trainer nicht mehr zu kaschieren. Was ist in der Türkei schiefgelaufen?
In Belek ist gar nichts schiefgelaufen. Im Gegenteil. Wir hatten das Gefühl, dass wir alle noch enger zusammengerückt waren. Die Mannschaft, die Trainer, die Sponsoren und die Fans. Die Mannschaft arbeitete auf dem Trainingsplatz hochprofessionell. Die Jungs glaubten fest daran, noch etwas reißen zu können. Aber dann kam das Spiel in Münster, in dem wir nicht den Hauch einer Chance hatten. Den Spielern wurden ihre Grenzen aufgezeigt. Ihr Traum wurde pulverisiert. Das anschließende Heimspiel gegen den WSV, in dem wir nahezu vernichtet wurden, setzte dann noch einen drauf. Das haben die meisten Spieler nicht verpackt. Um solch eine harte Erfahrung verarbeiten zu können, war der Großteil des Teams meines Erachtens zu labil. Und in solch einer Situation kommen dann sehr schnell Probleme zutage, die während einer Erfolgsphase leicht übertüncht werden.
Von welchen Problemen sprechen Sie?
Wir bekamen immer mehr das Gefühl, dass wir es eher mit einem Freundeskreis als mit einer professionellen erfolgsorientierten Fußballmannschaft zu tun hatten. Der Arbeitsauftrag lautet, Spiele zu gewinnen und Punkte einzusammeln, um unser Saisonziel zu erreichen. Es darf nicht darum gehen, hier mit seinen Kumpels spaßeshalber kicken zu dürfen. Das ist ein Job und kein gut bezahltes Hobby.
„Wenn Kumpanei über Professionalität gestellt wird,
bekommt man Schwierigkeiten.“
Was ist so falsch daran, wenn es innerhalb der Mannschaft stimmt? Wie oft hört man, dass ein Team nur deshalb Erfolg haben würde, weil der innere Zusammenhalt so herausragend sei? In Heidenheim und Osnabrück betonen sie das beispielsweise gerade immer wieder.
Da sollte man differenzieren. Mannschaftliche Geschlossenheit, ein gesundes Betriebsklima und eine positive Atmosphäre sind Eckpfeiler des Erfolgs. Doch wenn die Kumpanei über die Professionalität gestellt wird, wenn der kollektive Wohlfühlgrad mehr zählt als der Erfolg, bekommt man Schwierigkeiten. Denn eine solche Gemeinschaft ist von Vorgesetzten, sprich Trainern, schlecht bis gar nicht zu führen. Genau das drohte uns. Es kann doch nicht sein, dass jedes Mal gleich ein halbes Dutzend Spieler hier beleidigt auf der Matte steht, weil der Coach einen aus der Truppe wie auch immer sanktioniert hat. Deshalb müssen wir neue Strukturen und eine neue Hierarchie schaffen.
Muss man vor diesem Hintergrund auch den wohl nicht ganz freiwilligen Abgang von Alexander Heinze beurteilen? Einer Integrationsfigur des Vereins, die sowohl sportlich als auch menschlich über jeden Zweifel erhaben ist.
Ich schätze Alexander Heinze als Sportler und als Mensch ungeheuer. Die Alemannia hat ihm unendlich viel zu verdanken. Deshalb haben wir uns gerade mit ihm vielleicht intensiver ausgetauscht als mit jedem anderen. Wir wollten nicht, dass er geht. Doch wir alle mussten verstehen, dass wir unter den gegebenen Voraussetzungen nicht mehr zusammenkommen konnten. Manchmal stimmt die Chemie zwischen den handelnden Personen eben nicht. Wie in diesem Fall zwischen Alexander Heinze und der sportlichen Leitung. In solch einem Fall können Sie auch mit gutem Zureden nichts machen und versuchen, etwas krampfhaft zu kitten, was nicht zu kitten ist. Die Entscheidung war von beiden Seiten professionell und konsequent. Aber sein Abschied schmerzt ungeheuer. Sascha Eller und mich auf jeden Fall und Alexander garantiert auch.
Ist also der nun erfolgte radikale Kaderumbruch diesen strukturellen Problemen und dem daraus resultierenden Konflikt zwischen Mannschaft und Trainerteam geschuldet? Schließlich hatten Sie einmal geplant, das in Ihren Augen stabile Grundgerüst erhalten und die Mannschaft nur punktuell verstärken zu wollen.
Zunächst einmal glaube ich nicht, dass man von einem radikalen Umbruch sprechen kann. Wir haben immerhin noch acht Spieler aus dem alten Kader unter Vertrag. Aber richtig ist, dass der Umbau umfangreicher ausgefallen ist, als wir zunächst geplant hatten. Wir hätten den einen oder anderen gerne hierbehalten. Es sollte nicht sein. Nur der Verein entscheidet, wer hier als Trainer arbeiten soll. Und wenn Menschen womöglich nicht mehr miteinander arbeiten möchten oder können, muss der Verein schnell und konsequent eine Lösung finden. Das ist unser Anspruch. Und entsprechend haben wir zum Wohle der Alemannia gehandelt.
Unter welchen Gesichtspunkten stand die Zusammenstellung des neuen Kaders?
Zuvorderst wurden die Planungen von sportlichen Faktoren bestimmt. Wir haben uns die Frage gestellt, mit welchen Spielern wir unsere sehr ambitionierten Ziele erreichen können. Wer die entsprechende Erfahrung und das notwendige Rüstzeug mitbringt. Und dann wollten wir Typen haben, um die Kaderstruktur und die Hierarchie zu verbessern.
Sie haben den alten Kader als „Freundeskreis“ beschrieben. Im Grunde genommen war dieser jedoch ein recht pflegeleichter. Notorische Quertreiber oder ausgemachte Stinkstiefel gab es nicht. Jetzt hat man es mit Spielern zu tun, die sehr viel Erfahrung mitbringen, über ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein verfügen und entsprechend meinungsstark auftreten dürften.
Das stimmt. Das ist aber auch so gewollt. Wir haben bewusst Führungsspieler mit Erfahrung geholt, weil wir eine andere klarere Mannschaftsstruktur benötigen. Und weil wir Köpfe auf dem Rasen benötigen, die die Ideen des Trainers verstehen und umsetzen können. Die aber auch gleichzeitig in der Lage sind, eigene Entscheidungen zu treffen und das Spiel ohne ständigen Input von der Seitenlinie zu gestalten. Ich bin überzeugt davon, dass das für ein professionelleres Miteinander auch zwischen Trainerteam und Mannschaft sorgen wird. Es wird weniger Missverständnisse und Reibungspunkte geben.
Foto: Carl Brunn
Reibungspunkte wird es doch automatisch dann geben, wenn sich solche Top-Spieler mit Stammplatzanspruch plötzlich auf der Bank oder gar Tribüne wiederfinden. Bei der Kaderdichte und vor allem vor dem Hintergrund der Verbandsregel, die vier U23-Spieler im Spieltagskader vorschreibt, wird es mit Sicherheit regelmäßig zu dieser Situation kommen.
Ich habe gehört, dass wir diese U23-Regel gar nicht kennen würden. Scherz beiseite. Ja, es wird zu solchen Konstellationen kommen. Aber das wissen die Spieler auch. Wir haben ihnen sehr deutlich klar gemacht, dass wir jede Position doppelt besetzen werden. Und zwar so, dass auch die zweite Elf in der Lage wäre, locker Platz fünf der Regionalliga erreichen zu können. Diesen Erfolgsgedanken wollen wir der Mannschaft von Tag eins an einimpfen. Die Spieler sollen diesen Grell haben und sich täglich untereinander fordern.
Was macht Sie so sicher, dass Helge Hohl diesen heiklen Prozess wird moderieren und meistern können? Schließlich gab es ja schon Probleme mit einem weit weniger breitbrüstigen Kader.
Ja, Helge Hohl ist ein vergleichsweise junger Trainer, der an der einen oder anderen Stelle vielleicht noch nicht über die gelassene Distanz und Lebenserfahrung zum Beispiel eines Frank Schmidt verfügt und gar nicht verfügen kann. Aber fachlich ist Helge für mich über jeden Zweifel erhaben. Wir sind überzeugt davon, mit seiner Spielidee und seinem taktischen Konzept unser großes Ziel erreichen zu können. Um ihn zu unterstützen, wollen wir in der Führung noch enger zusammenrücken. Wir werden die Kommunikation zwischen allen Beteiligten auf mehrere Schultern verteilen. Dazu gehört Sascha Eller. Dazu gehöre neben anderen auch ich.
Gab es einmal die Idee, Helge Hohl einen sturmerprobten Assistenten zur Seite zu stellen, der über eben diese gewisse Erfahrung verfügt?
Nein. Das halten wir absolut nicht für nötig. Helge Hohl und Gabriele Di Benedetto sind zwar jung. Doch beide verfügen über eine enorme fachliche Qualität. Zudem haben wir mit Hans Spillmann und Stephan Lämmermann zwei sehr erfahrene Praktiker im Team, die den Jungs eine ganze Menge zu erzählen haben.
Sie treten immer wieder forsch auf und formulieren die Ziele sehr offensiv. Haben Sie keine Angst, zu viel zu wollen?
Auf keinen Fall. Bei der Alemannia wurde sehr lange ein vorsichtiger Konsolidierungskurs gefahren. Eine Zeit lang war das notwendig. Aber irgendwann muss man diesen auch verlassen, weil einen eine ewige Konsolidierung nicht voranbringt, sondern Stagnation bedeutet. Wer weiterkommen will, muss die vorhandenen Potenziale nutzen und den Mut haben, die Chancen zu ergreifen, die sich einem bieten. Genau das machen wir jetzt.
„Selbst wenn wir wollten, könnten wir uns
nicht verstecken oder klein machen.“
Dennoch. Es herrscht eine lange nicht mehr gekannte Begeisterung rund um die Alemannia. Bei der Sponsorenakquise können Sie große Erfolge vermelden. Ängstigen Sie da nicht manchmal die Geister, die Sie rufen, weil der Erwartungsdruck ins Unermessliche steigt? Man muss ja nur mal in die sozialen Medien schauen.
Es ist doch nicht so, dass wir uns eine künstliche Blase schaffen und ohne Grundlagen sinnlos Druck aufbauen. Schauen Sie sich doch mal die Konstellation in der Liga an. Ich glaube, dass drei bis vier Teams in der Lage sein werden, bis zum Ende oben mitzuspielen. Das sind der WSV, Rödinghausen, die Alemannia und vielleicht noch Mönchengladbach zwei oder Schalke zwei, von denen man im Vorfeld nie richtig sagen kann, welche Ambitionen die hegen. Selbst wenn wir wollten, könnten wir uns nicht verstecken oder klein machen. Das zum einen. Zum anderen haben wir unsere Hausaufgaben gemacht und die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen, um offensiv auftreten zu können.
An Selbstbewusstsein mangelt es Ihnen nicht.
Noch einmal: Wir urteilen nicht im luftleeren Raum. Wir hören jeden Tag, wie die Liga die Alemannia sieht. Vereine bitten immer wieder ihre Spieler oder Kandidaten, Bescheid zu geben, bevor sie etwas mit Aachen machen würden. Wir sind mittlerweile über fast jeden Transfer, der in der Liga vor sich gehen soll, im Vorfeld informiert. Ganz einfach, weil wir automatisch mit in die Verlosung gesteckt werden. Ohne unser Zutun und völlig unabhängig davon, ob wir überhaupt interessiert sind. Weil man weiß, dass wir jeden Spieler holen könnten, den wir tatsächlich haben wollen. Ausgenommen diejenigen, die in die dritte oder zweite Liga gehen können beziehungsweise sich ganz bewusst für die zweite Mannschaft eines Bundesligisten entscheiden. So etwas hätte sich vor drei Jahren keiner vorstellen können.
Und dann bringt Ihr Geschäftsführer auch noch öffentlich Simon Terodde ins Spiel. War das eine ernsthafte Anfrage oder eher ein Marketing-Gag?
Foto: Carl Brunn
Wir sind bestimmt nicht größenwahnsinnig geworden. Nein, wir versuchen eben auch mal außergewöhnliche Dinge. Da ist ein Spieler, der im Herbst seiner Karriere steht, gerade aus der Bundesliga abgestiegen ist und hat verlauten lassen, jetzt irgendwo seine Karriere ausklingen lassen zu wollen. Was ist in solch einem Fall daran so merkwürdig, wenn man einen Dreizeiler an die jeweilige Agentur schreibt, um die Möglichkeiten auszuloten? Es ist kein großer Aufwand. Es kostet uns keinen Cent. Es schadet uns nicht. Mehr als dass wir eine Absage bekommen, kann nicht passieren.
Aber muss man so etwas denn gleich öffentlich machen? Damit schraubt man die Erwartungshaltungen doch noch einmal ein ganzes Stück nach oben, weil es Menschen gibt, die so etwas schlecht einordnen können. Prompt kursierten Namen wie Rouwen Hennings oder Lewis Holtby.
Darüber kann man in der Tat diskutieren. Man unterschätzt halt immer wieder die Reaktionen der Menschen.
Wenn man Ihnen zuhört, bekommt man den Eindruck, für die Alemannia dürfe in der kommenden Spielzeit allein der Aufstieg zählen. Oder woran werden Sie eine erfolgreiche Saison 23/24 messen?
Was sollen wir vor dem Hintergrund unserer Möglichkeiten, unseres Umfeldes und unserer Kaderplanung denn anderes als den Aufstieg als unser Saisonziel formulieren? Wir müssen den ersten Platz anvisieren. Alles andere wäre unglaubwürdig.
Alles andere wäre demnach ein Misserfolg? Preußen Münster hat in der vorvergangenen Saison herausragend abgeschnitten und musste am Ende dann doch ganz knapp in die Essener Rücklichter blicken. Was würde passieren, wenn die Alemannia es nicht schaffen würde.
Wenn wir wie die Preußen am Ende Zweiter würden, dann würden wir unsere Wunden lecken und noch einmal soviel Qualität aufladen, dass es ein Jahr später reichen würde. Aber ich würde mich bestimmt nicht hinstellen und mich laut über diese Platzierung freuen. Weil es eine verlorene Meisterschaft wäre und nicht ein gewonnener zweiter Platz.
Es ist spürbar, dass Ihre euphorisierende Herangehensweise auch die Sponsoren mitnimmt. Doch wie würden die Geldgeber reagieren, wenn deren Hoffnungen und Erwartungen im Mai 2024 unerfüllt bleiben würden?
Richtig ist, dass unsere Partner euphorisiert sind. Auch, weil sie in ihren eigenen Umfeldern täglich vor Augen geführt bekommen, dass sich am Tivoli etwas bewegt. Über die Alemannia wird wieder positiv geredet. Kids laufen wieder in Alemannia-Trikots rum. Und so weiter und so fort. Ich glaube nicht, dass diese Aufbruchstimmung umschlagen würde, wenn wir am Ende unglücklich als Zweiter einlaufen würden. Weil man dann anerkennen würde, dass unser Kurs erfolgreich sein kann. Man würde uns dann weiterhin unterstützen, damit es beim nächsten Anlauf klappt. Das wird uns in unseren Gesprächen stets vermittelt. Uns ist aber auch klar, dass die Situation eine völlig andere sein würde, wenn wir am Ende auf Platz vier, fünf oder sonst wo landen würden. In diesem Fall wären wir gescheitert und müssten die entsprechenden Konsequenzen ziehen. Denn wir können nicht Jahr für Jahr einen Angriff auf die Spitze ankündigen, um diese dann doch nicht zu erreichen.
„Wir machen keine verrückten Sachen.“
Spricht man von den Ambitionen der Alemannia, fällt oft der Begriff „all in“. Wie hoch ist das wirtschaftliche Risiko, dass Sie mit Ihrer Strategie eingehen?
Ich versichere Ihnen, dass wir keine verrückten Sachen machen. Unsere Einnahmen sind definitiv höher als unser Sportetat am Ende ausfallen wird. Schließlich wollen wir ja auch unsere Infrastruktur deutlich verbessern und zugleich Eigenkapital aufbauen.
In der vergangenen Saison haben Sie mit einem Sportetat von 1,65 Millionen Euro gearbeitet. Wie hoch wird das Budget für die kommende Spielzeit sein?
Als wir mit den Planungen für 23/24 begannen, haben wir genau diese 1,65 Millionen zugrunde gelegt. Weil wir diese Summe ganz sicher beisammen hatten. Dank des immer weiter gestiegenen Sponsorenzuspruchs und des kompletten Verkaufs der Logen haben sich unsere Spielräume schrittweise vergrößert. So hat zum Beispiel Zentis sein Engagement signifikant ausgeweitet. Stand heute sind uns 1,95 Millionen Euro sicher. Wenn ich die uns gerade im Laufe der vergangenen Tage gegebenen Zusagen berücksichtige, werden wir bei etwa 2,2 Millionen Euro landen.
Welcher Zuschauerschnitt liegt Ihren Planungen zugrunde?
Wir haben zwei erfolgsabhängige Szenarien zugrunde gelegt. Beide sind allerdings sehr konservativ gerechnet. Sollten wir von Beginn an und nachhaltig ganz oben mitspielen rechnen wir mit einem Schnitt von 9.000 Zuschauern. Im Falle, dass die sportlichen Erwartungen nicht ganz erfüllt werden, kalkulieren wir mit 6.000.
„Wir setzen Mannschaft und sportliche Leitung
unter einen positiven Druck.“
Sie setzen die sportliche Leitung und auch die neue Mannschaft mit Ihrer kategorischen Zielvorgabe von Beginn an unter einen erheblichen Druck.
Vielleicht tun wir das. Allerdings unter einen positiven. Mit dem Trainerteam haben wir das ganz offen besprochen. Ebenso haben wir dies jedem Spieler in den Verhandlungen ungeschminkt erklärt. Jeder Einzelne kennt unser Ziel und versteht jedoch auch, dass wir die Grundlagen dafür geschaffen haben. Ich wiederhole mich: Angesichts der Rahmenbedingungen wäre doch jede andere Zielvorgabe als der Aufstieg unglaubwürdig. Nein, jeder hier weiß, worauf er sich eingelassen hat. Die Truppe, die Sascha Eller da in bewundernswert akribischer und konsequenter Arbeit zusammengestellt hat, hat eine enorme sportliche und mentale Qualität. Die empfindet ihre Aufgabe in Aachen weniger als Druck denn als Motivation.
Sollten sich die Erwartungen an die kommende Saison erfüllen, muss man mit einem deutlich höheren Zuschauerzuspruch rechnen. Es werden dann wohl sogar mehr Menschen zum Tivoli pilgern als in der vergangenen Spielzeit. Doch schon jetzt ist die Kritik an der Logistik im Stadion erheblich. Das betrifft im Besonderen das Catering. Aber auch die Einlasskontrollen. Haben Sie das im Blick?
Ja, das haben wir ganz sicher auf dem Schirm. Nur haben wir jetzt die Zeit und die Gelegenheit, daran zu arbeiten. Während des laufenden Spielbetriebes ist so etwas kaum möglich. Beim Catering arbeiten wir mit Profis zusammen. Und von Profis erwarte ich, dass sie ihren Job professionell erledigen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass das nicht optimal funktioniert. Also haben wir das mit unserem Dienstleister ausführlich besprochen und ihm unsere Forderungen mitgeteilt. Jetzt erwarten wir Lösungen. Ein „geht nicht“ werden wir nicht akzeptieren. Zudem haben wir uns als Alemannia Aachen einen Catering-Profi an die Seite geholt, der uns und unseren Dienstleister ein Konzept vorlegen wird, wie man die Stadiongastronomie effizienter aufstellt. Da gibt es einige Ansätze. So erwarten wir, dass alle Stationen auf und ausreichend besetzt sind. Dabei ziehen wir auch in Betracht, die Stationen wieder von außen zugänglich zu machen. Wir gehen davon aus, dass das Catering in der kommenden Saison von Beginn an reibungsloser läuft.
Das Catering ist das eine. Der Einlass das andere.
Ja, auch da müssen wir anders planen. Wir müssen flexibler werden. Wir müssen in der Lage sein, entsprechend des zu erwartenden Andrangs alle Eingänge besetzen und die Tore früher öffnen zu können. Wir drehen an vielen Stellschrauben. Vom Einlass, über das Catering bis zum Fanartikelverkauf. Das Stadionerlebnis soll noch runder werden.
Sie scheinen alles dem Saisonziel Aufstieg unterzuordnen. Besteht bei einer solch starken Fokussierung nicht die Gefahr, die Nachwuchsförderung aus den Augen zu verlieren. Wie sieht es mit den von Ihnen immer wieder geforderten Planungen für ein NLZ aus?
Wir können es uns gar nicht leisten, die Nachwuchsförderung aus dem Blick zu verlieren. Die von mir vorhin erwähnte Verbesserung der Infrastruktur kommt zum größten Teil dem Nachwuchs sowie dem Frauenfußball zugute. Auf dem Gelände des Eisenbahnsportvereins errichten wir eine entsprechende moderne Sportstätte. Weitere neue Trainingsplätze werden folgen. Ziel ist es, dass alle unsere Fußballmannschaften hier ihre Heimat haben. Wir schaffen kurzfristig NLZ-ähnliche Strukturen, um dann ein NLZ aufbauen zu können. Dabei können wir jetzt schon auf Partner setzen, die uns finanziell beziehungsweise planerisch zur Seite stehen.
Gibt es inzwischen einen verbindlichen Zeitplan für den Aufbau des NLZ?
Nein. Ich kann heute nicht verbindlich sagen, wann das NLZ stehen wird. Was wir sagen können, ist, dass die auf dem Eisenbahnersportverein geplante Sportstätte bis Ende des Jahres fertig sein wird und als A‑Jugend-Bundesligastadion genutzt werden kann.
Seit Ihrer Wahl zum Aufsichtsratsvorsitzenden sind Sie zum Gesicht der Alemannia geworden. Auf Sie bündeln sich Lob wie Kritik. Nun scheinen Sie in jüngster Zeit etwas dünnhäutiger geworden zu sein. Jedenfalls reagieren Sie auf Kritik merklich empfindlicher, zuweilen sogar wenig reflektiert. Spüren Sie einen größeren Druck auch für Sie persönlich?
Wenn man solch ein Amt bei solch einem Verein bekleidet, ist Druck immer da. Würde ich den nicht aushalten können, hätte ich mich gar nicht erst zur Wahl gestellt. Nein, was mich zunehmend ärgert, ist ein Meckern um des Meckerns willen. An jeder Ecke im Verein entwickeln wir uns gerade weiter. Wir haben eine Perspektive, die noch vor drei Jahren undenkbar war. Statt öffentlich immer nur vorsichtig von einem Platz im oberen Mittelfeld zu sprechen, können wir heute mit Fug und Recht den Aufstieg als Ziel ausgeben. Die Alemannia ist nicht mehr Ziel von Spott, sondern Teil der Stadt. Zu einem Goldene-Ananas-Spiel der vierten Liga kommen fast 12.000 Menschen ins Stadion. Wir arbeiten an der Infrastruktur, die lange Zeit vernachlässigt wurde. Im eingetragenen Verein ist die einst eingeschlafene Zusammenarbeit der Abteilungen deutlich verbessert worden. Das Alles ist nur möglich, weil hier Menschen sehr sehr viel Herzblut reinstecken. Deshalb werde ich inzwischen ziemlich ungehalten, wenn Menschen, die keine Ahnung haben, was auf der Geschäftsstelle, beim Ticketing oder in den Gremien täglich geleistet wird, unbedingt ein Haar in der Suppe finden wollen. Selbstverständlich läuft nicht alles überall rund. Aber kann man nicht mal ein Auge zudrücken und auch etwas einfach hinnehmen?
Nehmen wir einmal an, wir würden Ende Mai 2024 wieder hier zusammensitzen: Ist Alemannia Aachen dann Drittligist?
Ja.